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Diese psychologische Sicht schmähten die Kritiker im Wien von 1911 als »Hypergrotesken«, »Pestbeulen« und »Wahngebilde einer krankhaften Jugend«. Die Nazis setzten das später fort. Die sexuelle Phantasie der frühen Kritiker entdeckte »Abgründe geheimer Laster«, erfüllt von »wüster Erotik«. Und was war? Die beiden Kinder des Buchhändlers Richard Stein, 1909 gemalt, Junge und Mädchen, nebeneinander liegend, sich neckend, nicht nackt. Der Bruder berührt die Schwester – am Arm. 1924, als das Bild wieder in Wien ausgestellt war, wurde es mit einem Messer zerstochen. Ein anderes Kinderbild (ganz untypisch für Kokoschka, der männliche Modelle bevorzugte, Künstler und Literaten Wiens und Berlins) zeigt das Baby Fred Goldmann, großäugig, mit ernstem Gesicht, ganz hell vor schmutzig-rotem Hintergrund, gehalten von den Händen seiner Eltern, die es schützen – auch bewahren? Im erläuternden Text des Katalogs (256 Seiten, 26 Euro) erfahren wir, daß Fred Goldmann 1941 in Wien starb und der Vater 1942 von den Nazis ermordet wurde: »abgemeldet nach Minsk« – die Lakonie der Meldeunterlagen. Viele der Bilder sind erhalten, weil die Dargestellten, wenn sie emigrierten, ihre Porträts mitnehmen konnten. So gelangten die Gemälde in die USA – die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der »Neuen Galerie« New York. Ein besonders plastisch wirkendes Beispiel der damals experimentellen Malweise Kokoschkas ist das 1910 entstandene Bildnis Herwarth Waldens. Das Charakteristische einer Persönlichkeit, das, was sich einprägt – im Gegensatz zu anatomischen Präparaten -, zeigen die Bilder des frühen Kokoschka exemplarisch. Auch die Hände sind als Ausdrucksmittel wichtig. Da konnte es passieren, daß der Maler im Porträt seines Freundes, des Schauspielers Ernst Reinhold, an der linken Hand einen Finger vergaß. Kokoschka: »Ich selber vermisse ihn nicht, weil die Aufhellung der Psyche des Modells mir wichtiger war als die Aufzählung von Details: fünf Finger, zwei Ohren, eine Nase.« Der Anatomie, der »Abformung des Lebens«, ist die zweite, kleinere Ausstellung in der Kunsthalle unter dem Titel »hautnah« gewidmet: Abgüsse, meist in Gips, vom lebenden Modell. Sie wurde konzipiert vom Konservator für Skulptur am Musée d´Orsay in Paris, Edouard Papet. Ausgangspunkt war für ihn ein Bild von Adolf Menzel, »Die Atelierwand« von 1872, wo all die Köpfe, Masken, Torsi, auch Hände, aufgereiht hängen wie in der Reservatenkammer. Der zerstückelte Mensch. Oder der zerstückelte Blick auf den Menschen. Gleich am Eingang erschreckt der lebensgroße »Ganzkörperabguß« eines Pygmäen aus der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin von 1880. Mit aufgetriebenem Bauch und gelblicher Haut im dunklen Raum stehend, ruft dieses Abbild eines Menschen zwiespältige Gefühle hervor, auch den kolonialistischen Blick des Betrachters. Im kleinen Katalog (8 Euro) wird dieses Problem nur auf die Vergangenheit bezogen: »Die angeblich wissenschaftliche Neutralität dieser Forschungen« könne nicht »darüber hinwegtäuschen, daß sie Ausdruck einer ideologischen Haltung sind, die den europäischen Kolonialstaaten zur Demonstration der eigenen Überlegenheit diente.« 2000 ethnographische Gipsplastiken gibt es noch immer im Studiensaal des Anthropologischen Museums in Paris und 800 Schädel-Gipsabdrücke. Der deutsche Arzt Franz Josef Gall hatte sich auf Gehirnanatomie spezialisiert und trug gemeinsam mit Alexandre Pierre Marie Dumoutier diese »Funde« zusammen. Erwähnt wird im Katalog, daß in Frankreich die Phrenologie offizielle Anerkennung fand – nicht aber was im Nazi-Deutschland daraus wurde: Schädel-Vermessung in Auschwitz nach anthropologischen Kriterien und Tötung der »rassisch« interessanten KZ-Häftlinge, um ein Museum der Untermenschen zu errichten, in Frankreich, in Straßburg, vom SS-Anatomie-Professor August Hirt geplant. In der Hamburger Ausstellung (bis 1. September) liegt eine Frau – 1895 »Ataxische Venus« genannt – in verkrampfter Haltung vor dem Besucher, sehr nackt und schutzlos den sezierenden Blicken ausgeliefert; ein Knie ist deformiert. Der Körper farbiges Wachs, das Haar scheint echt. Man wagt nicht, ihr ins Gesicht zu sehen, als könnte man ihr die Seele rauben – ein Exponat aus der pathologischen Lehrsammlung. Dazu die Hand eines Riesen aus dem Zirkus Barnum. Das Aneignen des Körpers durch den voyeuristischen Blick und das Zerstückeln, die Fragmentierung in Einzelteile – in der Kunst verweisen sie auf ein Prinzip der Moderne.
Erschienen in Ossietzky 14/2002 |
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