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Das Fahrrad ist neben der Straßenbahn ein übliches Transportmittel, und dafür braucht man weder Sturzhelm noch besondere Kleidung, noch müssen es kostspielige Rennräder sein (nur eine dicke Sicherungskette ist vonnöten). Wir bummeln durch die Grachtenviertel mit den schön herausgeputzten alten Häusern, wir schauen uns am Dam, dem zentralen Platz, das Königliche Palais an, das bis 1808 noch Rathaus war. Auf der anderen Seite des Platzes, nahe dem Krasnapolsky-Hotel, steht ein 22 Meter hoher weißer Obelisk, das Nationaldenkmal zur Erinnerung an den Tag der Befreiung von der deutschen Besetzung. Vor dem Anne-Frank-Haus an der Prinsengracht bilden sich lange Warteschlangen; ein paar Schritte weiter sammelt sich eine Touristengruppe aus den USA, um auf den Turm der Westerkerk zu steigen. Dann kommen wir im Café Americain am Leidseplein, in den 30er Jahren Treffpunkt vieler deutscher Emigranten, mit einem niederländischen Journalisten ins Gespräch, und er hört sich amüsiert unsere Lobreden an. »Was Sie hier sehen«, meint er schließlich, »ist die Kulisse, zugegeben eine hübsche und sympathische. Aber als in den 60er und 70er Jahren viele der baufällig gewordenen alten Häuser abgerissen werden sollten, gab es Hausbesetzungen und heftige Straßenkämpfe. Damals konnte zwar die alte Bausubstanz, die heute das Stadtbild prägt, erhalten werden, aber nach der Erneuerung und Umgestaltung der Innenstadt verwandelte sie sich in eine Vergnügungs- und Konsumgegend, durchsetzt mit teuren Luxuswohnungen; die ursprünglichen Bewohner, die berufstätige Bevölkerung, wurde in die Außenbezirke abgedrängt. Nehmen Sie das frühere Arbeiterviertel Jordaan: Statt Arbeitern wohnen dort heute mittlere Angestellte, Journalisten, Lehrer, Rechtsanwälte oder junge Banker, deren Arbeitsstellen sich beispielsweise in den wunderbar renovierten repräsentativen Bürgerhäusern an der Heren-, Keizers- oder Prinsengracht befinden.« Also doch eine ganz »normale« Stadt, denn solche Vorgänge kennen wir zur Genüge. Im Volksmund heißt das überall: Geld regiert die Welt. Daß dies nichts Neues ist, wird dem aufmerksamen Besucher des Amsterdamer Rijksmuseums deutlich, wo nicht nur Rembrandts »Nachtwache« zu finden ist, sondern auch eine Abteilung für niederländische Geschichte. Hier erfahren wir, woher der Wohlstand so mancher Amsterdamer Handelsherren stammte. Wer sich die Gemälde mit exotischen Landschaften, die Nachbildungen waffenstarrender Schiffe und die düsteren Porträts der Notablen und Seehelden genauer anschaut, erhält eine Ahnung von Unterdrückung und Ausbeutung, von Brutalität und Grauen damaliger Zeiten, auch wenn das nicht intendiert ist. Er habe seinen Reichtum schon in jungen Jahren durch den Handel mit Gold und Sklaven erworben, heißt es da, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, über einen dieser in Eisen gewappneten Glücksritter, der später zu den Honoratioren gehörte. »Es wäre an der Zeit, Museen und Gedenkstätten für die Opfer des Kolonialismus einzurichten«, meint unser niederländischer Gesprächsfreund. Das erinnert mich daran, daß ich in New York wie auch in Paris auf die Notwendigkeit eines Holocaust-Museums in Berlin angesprochen worden war, wie auch ich es fordere. Ich hatte aber bei US-Amerikanern und Franzosen keinerlei Problembewußtsein hinsichtlich des Genozids an den Indianern und der Versklavung Millionen deportierter Afrikaner gefunden; die brutalen Kolonialkriege in Indien, Indonesien, Vietnam, Algerien oder Afrika sind dem Vergessen anheimgegeben. Ein heikles Thema! Es klingt nach Aufrechnungswünschen, nach Entlastungsversuchen großmäuliger Deutschnationaler – als könnte die fabrikmäßige Vernichtung von Millionen Juden, Hunderttausenden Sinti und Roma, unzähligen sowjetischen Kriegsgefangenen gegen irgendetwas aufgerechnet werden. Aber man darf den Holocaust auch nicht ganz isoliert, außerhalb aller historischen und sozialen Zusammenhänge sehen – als ginge es schlicht um genetisch-moralische Identitäten: gute Deutsche gegen böse Juden oder böse Deutsche gegen gute Juden. Nationales wie antinationales Eiferertum behindert jede Aufklärung. Auch in den jüngsten Debatten über Möllemann/Friedmann und Walser/Reich-Ranicki hörte ich falsche Töne von allen Seiten. Unser Amsterdamer Gespräch erbringt: Es kommt auf die Konsequenzen an, die wir aus der Vergangenheit ziehen, auf eine Politik, die alle Menschen und ihre Rechte respektiert, die UNO-Charta, das Völkerrecht. Wie aber steht es heute damit? Schon lange erfahren wir – in den Niederlanden wie in Deutschland – fast nichts mehr über die Lage in Afghanistan, im Kosovo, in Belgrad und über »unsere Jungs« im Indischen Ozean. Wir führen wieder Kriege, aber wer spricht darüber? Man beschäftigt sich mit kleinlichem Gezänk, einer Fußballweltmeisterschaft und immer neuen Korruptionsfällen. Stärker beachtet wird in den Niederlanden allerdings, daß der US-amerikanische Präsident George W. Bush die Unterschrift seines Vorgängers Clinton unter dem Statut von Rom zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag – völkerrechtswidrig - zurückgezogen hat, daß die USA (ebenso wie Israel) das Gericht nicht anerkennen und sich sogar die Befreiung ihrer Staatsangehörigen aus Haager Gewahrsam vorbehalten, sollten sie dort wegen Kriegsverbrechen unter Anklage gestellt werden. Eine Drohung mit militärischer Gewalt gegen die Niederlande - welche Anmaßung, welche Mißachtung der Menschenrechte und der sie endlich einfordernden Völkergemeinschaft! Vielleicht befürchtet Bush (wie Scharon) selber eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kolonialistische Unterdrückung und Ausbeutung gehen weiter, allerdings meist anders, subtiler als früher. Wir müssen es aus unscheinbaren kleinen Meldungen herauslesen, die zumeist im Wirtschaftsteil versteckt sind. Da erfahren wir, daß die drohende Zahlungsunfähigkeit der amerikanischen Regierung abgewendet ist. Sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus in Washington haben der Erhöhung der Höchstgrenze für die Staatsverschuldung von 5,95 Billionen auf 6,4 Billionen Dollar zugestimmt. Und einer weiteren kleinen Notiz ist zu entnehmen, daß US-amerikanische Regierungskreise vor Investitionen in Brasilien gewarnt haben, weil dort nach den im Herbst stattfindenden Neuwahlen eventuell eine linksgerichtete Partei die Regierung stellen könnte. Ich schließe daraus, daß die Wallstreet nun nach der argentinischen noch die brasilianische Wirtschaft in den Ruin treibt. Wen interessieren diese Nachrichten in den Niederlanden, wen in Deutschland? Wahrscheinlich nur ein paar Geldanleger. Im Amsterdamer Tropenmuseum tritt uns das Elend der Völker der sogenannten Dritten Welt eindringlich vor Augen. Wir stehen vor den Vitrinen mit Kunsthandwerk, Spielen, Kultgegenständen, Werkzeugen oder wundervollen Musikinstrumenten aus aller Welt, drücken eine Taste und hören eigentümlich zu Herzen gehende fremdländische Klänge, werden konfrontiert mit der Spiritualität, Kunstfertigkeit und Lebensart der Ureinwohner. Dann sehen wir Filme über die heutigen Verhältnisse in Ländern wie Surinam, Indonesien oder Südafrika und nehmen schmerzhaft wahr, was da alles bis heute wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fällt, wieviel Kreativität, wieviel Lebensfreude. Dies noch zum Schluß: Ein Amsterdamer Hochschullehrer erläutert uns die Situation der niederländischen Germanistik: Das Interesse an der deutschen Sprache wie auch an deutscher Literatur habe in den letzten Jahren dramatisch abgenommen, sagt er. Deutsch werde zwar in der Schule noch als zweite Fremdsprache neben Französisch gelehrt, diene dann jedoch überwiegend der Verständigung mit den vielen Touristen aus dem ungeliebten Nachbarland. An den niederländischen Universitäten, so erfahren wir, studieren nur noch ein paar hundert Studenten Germanistik, zumeist um später Lehrer zu werden oder in die freie Wirtschaft zu gehen. Aber der Bedarf an Deutschlehrern wird sich in einigen Jahren nicht mehr decken lassen. Handel und Tourismus, schön und gut, ansonsten ist Deutsch nicht gefragt. Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll. Wer lernt bei uns Niederländisch, wer interessiert sich für niederländische Kultur?
Erschienen in Ossietzky 14/2002 |
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