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Aber sein Gedächtnis funktioniert, und mit Schreibmaschine und Bleistift entsteht eine »Charakterologie« von 150 Mitläufern und Antinazis, die damals in Deutschland geblieben waren: »Hans Reimann ist von allen Nazi-Kreaturen die übelste Erscheinung«, schreibt Zuckmayer über den Komiker-Kollegen. Als »dauernder Mitarbeiter der gefährlichsten und mächtigsten Nazizeitschrift, des himmler'schen Schwarzen Korps«, habe er sich 1938 seine »übelste Schurken- und Feiglingstat« geleistet, »als man unmittelbar nach dem Überfall auf Österreich einige frühere Kollegen und Freunde von ihm, verhältnismäßig harmlose jüdische Komiker aus Wien, die sich ... einige Antinazi-Witze geleistet hatten, einfing, mißhandelte und in die KZ's sperrte – unter anderem Reimanns besonderen Intimus aus alten Kabarettzeiten, Paul Morgan. Das Schwarze Korps brachte eine jener Fotografien, wie sie als Zeugnis tiefster Niedertracht, unausdenkbarer Gemeinheit und größter Schande des Menschengeschlechts bestehen bleiben: der hilf- und wehrlose Paul Morgan (inzwischen in einem KZ elend verstorben) und ein paar andere Juden, wie gefangene Tiere ausgestellt, verprügelt, unrasiert, ohne Kragen, mit verschmutzter Kleidung, geduckt, vor Angst und Schlägen halb verblödet, ein Bild des Jammers und der Zerbrochenheit, zwischen zwei stolz in die Brust geworfenen, schwer bewaffneten SA-Männern, aufgenommen bei der Einlieferung von einem KZ ins andere. Darunter ein Artikel, geschrieben und gezeichnet von Hans Reimann, in dem diese menschlichen Wracks beschimpft und verspottet wurden und es der SA und SS sozusagen schriftlich gegeben und klar gemacht, warum man solche Schädlinge mit Fug und Recht zu mißhandeln habe. Dies ist wohl die denkbar größte Erbärmlichkeit, die mir von einem Nazianschmeißer bekannt geworden ist.« Wer kennt heute noch diesen Reimann? Nur ältere Leute wie ich vielleicht. Also fragt man sich: Was nützt ein Buch wie Zuckmayers »Geheimreport«? Jedenfalls ist es ein historisches Lehrbuch. Denn weshalb hat Zuckmayer die trübe Geschichte Reimanns aufgeschrieben? Er wollte eine bessere Zukunft in Deutschland, und eine unentbehrliche Vorarbeit dafür war es, mitten im Faschismus eine Bestandsaufnahme zu machen: Wie verhält sich die Intelligenz in solchen Zeiten? Gebeten war er um diese Zusammenstellung von Emmy Rado, einer Emigrantin aus Ungarn. Sie arbeitete für den gerade von Roosevelt gegründeten amerikanischen Geheimdienst OSS, Office of Strategic Services. Wie konnte ein so geradliniger Mann wie Carl Zuckmayer für einen Geheimdienst arbeiten (übrigens zur selben Zeit, als ein anderer amerikanischer Geheimdienst, der CIA, ihn schon bespitzelte)? Heute, nach den Erfahrungen mit NKWD, Stasi, Verfassungsschutz, BND und vor allem den diversen US-amerikanischen Agentenzentralen mit ihren Mordkommandos und Giftküchen, kann man sich kaum vorstellen, daß ein integrer Geist für einen Geheimdienst arbeitet. Aber 1943, als nach Stalingrad endlich die Weltgefahr Hitler besiegt schien und das Amerika Roosevelts – glaubhaft – an einer demokratischen Ordnung für das Nachkriegsdeutschland arbeitete, waren viele deutsche Emigranten zur Zusammenarbeit bereit. Erika Mann, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer, Robert Kempner, Stefan Heym zum Beispiel. Und eben auch »die allersympathischste Erscheinung unter den Emigranten«, so hatte Helene Thimig, die Schauspielerin und Frau von Max Reinhardt, über ihn geschrieben: Carl Zuckmayer. Sie alle wußten wohl nicht, daß es der amerikanischen Regierung bei dieser Zusammenarbeit mit den deutschen Emigranten darauf ankam, die Linken und Kommunisten aus dem künftigen Kulturleben herauszuhalten und den damals starken Einfluß des Moskauer »Nationalkomitees Freies Deutschland« zu neutralisieren. Für ein Honorar von 450 Dollar schrieb Zuckmayer in kurzer Zeit sein Kaleidoskop. Strich die Standfestigkeit der »Positiven« heraus, die nach seiner Meinung »vom Nazi-Einfluß unberührt« geblieben waFren: Peter Suhrkamp und Henry Goverts, Ernst Barlach und Heinz Hilpert, Käthe Dorsch und Heinz Rühmann, Werner Finck und Weiss Ferdl. Charakterisierte die »Negativen« (Nazis, Nutzniesser, Kreaturen) wie Gottfried Benn, Friedrich Sieburg, Heinrich George. Und die »Sonderfälle (teils positiv, teils negativ)« wie Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler, Gustav Gründgens. Schließlich die »Indifferenten, Undurchsichtigen, Verschwommenen« wie Anton Kippenberg, Wilhelm von Scholz, Marianne Hoppe. Interessant sind seine Fehlurteile. Zum Beispiel über Leni Riefenstahl. Für den rücksichtsvollen Carl Zuckmayer war sie trotz ihrer dröhnenden Olympia- und Reichsparteitagsfilme keine »Nazisse«, sondern er hielt ihr spöttisch »zu gute..., daß sie keine Renegatin ist, sondern immer an Hitler glaubte als den Erlöser.« Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Hitler hält sie immer noch nicht ihre Klappe. Ernst Jünger, dessen schriftstellerische Bedeutung er maßlos überschätzte (wie Kohl und Mitterrand), schrieb er gar eine »Opposition gegen das Naziregime« zu und wünschte ihm für die Zeit nach den Nazis »größte Aufmerksamkeit und Vorurteilslosigkeit«. Sein größtes Fehlurteil galt Veit Harlan. Er glaubte, der Regisseur des Nazi-Hetzfilms »Jud Süß« wie auch dessen damalige Frau Hilde Körber seien weder »potentielle oder politisch aktive Nazis«: »Ich habe von zuverlässigen Leuten aus der Nazizeit nur Gutes von ihnen gehört.« Wer kennt heute noch den »Dichter« Hans Friedrich Blunck? In der Schule haben sie uns gequält mit seinen Absonderungen, die Zuckmayer »stinkende Langweiligkeit« nannte. Die Nazis hatten keinen Besseren, sie gaben ihm eine »Goethemedaille« und machten ihn zum Präsidenten ihrer »Reichsschrifttumskammer«. Nun erfahre ich aus den gründlichen Anmerkungen dieses Buches (von Gunther Nickel und Johanna Schrön), daß es heute eine »Gesellschaft zur Förderung des Werkes von Hans Friedrich Blunck« gibt. Der Nazismus stirbt eben nicht so schnell aus, wie ich 1945 dachte. Den zwei schreibenden Damen Ina Seidel und Agnes Miegel, die selbst im »Dritten Reich« heimlich »Nazissen« genannt wurden, gab Carl Zuckmayer großzügig das Prädikat, sie seien zwar keine »Nazimegären oder Frauenschaftsführerinnen« geworden, aber »einer völligen Hirnvernebelung« verfallen, »in deren trübem Qualm sich Hitler als der gottgesandte Erlöser der Deutschen« dargestellt habe. Hat Zuckmayers »Charakterologie« nach dem Krieg politisch irgend etwas bewirkt? Nein. Roosevelt war tot, Truman hatte kein Interesse an Kultur, die Administration in Washington organisierte den Kalten Krieg gegen die Kommunisten, in den USA wurden die deutschen Emigranten vor den McCarthy-Aus-schuß gezerrt, und in der Bundesrepublik machten die »Negativen«, die Nazis und Nutznießer, neue Karrieren. Selbst Hans Reimann, »von allen Nazi-Kreaturen die übelste Erscheinung«, brachte ein neues Buch heraus: »Mein blaues Wunder«. Darin waren seine antijüdischen Hetzartikel nichts als »Schutzmaßnahmen« gegen die Gefährdung, von den Nazis verhaftet zu werden, seine üblen »Schurken- und Feiglingstaten« reiner Widerstand gewesen. Carl Zuckmayer: »Geheimreport«, herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön, 528 Seiten, Wallstein-Verlag Göttingen, 32 €
Erschienen in Ossietzky 14/2002 |
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