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Als ich nach dem verschwundenen Denkmal suchte, hieß es, das lagere im Keller des Stadtmuseums. Das Museum war inzwischen abgerissen worden. Was sich im Keller befunden hatte, wurde exmittiert. Feinden setzen wir kein Denkmal. Das Dorf. Es brachte es früher auf tausend Einwohner. Zwei Dutzend Bauersfamilien. Der große Rest kleine Arbeitsleute, die in den Fabriken der umliegenden Städte schafften. Das Dorf der billigen Mieten. Das rote Dorf. Noch 1933 wählten doppelt so viele links als rechts. Das Dorf ist die Zelle des Widerstandes. Im April 1934 kommt es hier und im Umland zu 165 Festnahmen und 125 Anklagen wegen Hochverrats. Die ganze Gegend steht in Verdacht. Lauter Kommunisten und ein paar versprengte Sozialdemokraten. Der aktivste Widerständler ist Alfred Eickworth, der erst endet, als er am 29. November 1943 in Griechenland von einer SS-Streife gestellt und beim Schußwechsel tödlich verwundet wird. Ein Jahrzehnt darauf erhält er sein Denkmal. Anfang der neunziger Jahre wird das Denkmal zeitgemäß entsorgt. Der Feind Alfred Eickworth arbeitete als Schlosser, Weber, Friseur und im Untergrund. 1931 ist er SAPPER (SAP: Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands – in Opposition zur SPD). 1932 Übertritt zur KPD. Juli 1933 bis März 1934 Leiter der kommunistischen Widerstandsgruppe im Dorf. Von März 1934 bis Oktober 1936 in Haft. Am 4. Februar 1943 Einberufung des Wehrunwürdigen zum Strafbataillon 999. Im Herbst 1943 schlägt er sich nach Liquidierung einer dreiköpfigen SS-Wachmannschaft durch zu griechischen Partisanen. Am 29. November tödlich verwundet. Ein erledigter Feind eben. Alternative Lesart: Möglicherweise beruhen die Angaben teilweise auf kommunistischer Legendierung. Sicher ist, Eickworth wollte zu griechischen Partisanen. Wurde gestellt und inhaftiert. Entkam mit Hilfe eines jungen Griechen, den die Deutschen zur Strafe zu Tode foltern. Der entflohene Deserteur erleidet, als er gestellt wird, einen Bauchstreifschuß, entkommt erneut, wird zwei Wochen später wieder aufgespürt und stirbt an Schußverletzungen. Die Soldaten verscharren seine Leiche. Nach ihrem Abzug setzt die Bevölkerung den Deutschen auf dem Friedhof von Kárpathos bei und pflegt das Grab wie die Gräber der eigenen Opfer. * Daß Eickworth bei seiner Flucht oder den folgenden Schußwechseln drei SS-Wachsoldaten getötet hat, wird kolportiert, ist aber nicht nachweisbar. Auch wenn nicht so geschehen, fällt der Widerständler keinesfalls unter das Rehabilitierungsgesetz für Deserteure, das der Deutsche Bundestag am schönen 17. Mai 2002 mit den Stimmen von rotgrüner Regierungskoalition und PDS gegen die schwarze Opposition annahm, denn der Deserteur Eickworth setzte sich gegen nazitreue Soldaten, die ihn einfangen und zur Erschießung abliefern wollten, zur Wehr, womit er gegen § 57 des Militärstrafgesetzbuches verstieß, welcher Paragraph, wie vom Deutschen Bundestag beschlossen, weiterhin gültig bleibt. Ergo wurde der Soldat A.E. vom Strafbataillon 999 am 29. November 1943 rechtmäßig tödlich verletzt. Doch selbst wenn er infolge göttlicher Gnade den Krieg überlebt hätte, fiele er nicht unter das am 17. Mai 2002 verkündete Gesetz zur Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren, sondern bliebe akkurat nach § 57 Militärstrafgesetzbuch bis zum Weltenende kriminalisiert. Ganz abgesehen davon, daß der kommunistische Widerständler als wehrunwürdiger Strafsoldat anzusehen ist, dem der 59 Jahre später verkündete parlamentarische Freispruch vorenthalten zu bleiben hat. Falls der Deserteur tatsächlich drei seiner Bewacher oder Verfolger, die ihn an den Todespfahl bringen wollten, besiegte, fordert das Exempel den Vergleich mit Oberleutnant Hans Georg Lehmann heraus, der Ende 1942 drei seiner Soldaten erschoß. Wegen Zigarettendiebstahls. Der Offizier wurde degradiert, zum Tode verurteilt, von Hitler begnadigt, erneut befördert und am 10.10.1944 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, wie die Luftwaffen-Panzer-Divison Hermann Göring im Divisionsbuch stolz den Nachgeborenen mitteilt. Wie viele Soldaten für Lehmanns Ritterkreuz sterben mußten, bleibt unerwähnt. Lehmann ist ein deutscher Held, Eickworth bleibt ein Kriegsverbrecher. * Zurück zum winzigen Dorf G., das inzwischen der benachbarten ehemaligen Textilarbeiter-Stadt C. einverleibt wurde. Im letzten Jahrzehnt verlor die Tausendseelengemeinde eine halbe Einwohnerschaft. Die Hauptstraße, zu DDR-Zeiten auf Alfred-Eickworth umgetauft, heißt wieder Hauptstraße. Auf ihr braust der Durchgangsverkehr. Fußgängerüberwege gibt es nicht. Fußgänger sind eine aussterbende Spezies. Die Häuser beidseits bleiben potemkinsche Staffage. Wohnungsleerstand herrscht. Abseits zeugen an die hundert schön restaurierte Häuser vom neuen Wohlstand. Die 209 Einwohner, die bei der letzten Reichstagswahl am 5. März 1933 NSDAP wählten, zählten bis zum 8. Mai 1945 zu den Siegern. Die 199, die ihre Stimme der SPD gaben, verhielten sich bis 1945 vorwiegend stumm und dürfen sich ab 1989 als Sieger fühlen. Die 187 KPD-Wähler von 1933 schwiegen oder wurden verfolgt. Wer überlebte, machte in der DDR Karriere oder auch nicht. Ab 1989 sind die Machtverhältnisse endgültig klar – die Kommunisten standen von 1918 über 1933 bis 1989 auf Seiten der Unfreiheit. Die Söhne und Enkel der Täter vor 1945 rächen sich an den Opfern ihrer Väter bis ins vierte oder fünfte Glied. Eine 74jährige Dame erinnert sich: »Ja, den Eickworth haben sie im Krieg erschossen. Er hatte mal ein Denkmal. Ist nicht mehr da. Wohl abgerissen.« Auf Nachfrage ist zu erfahren: Das Denkmal wurde ins Stadtmuseum gebracht. Das fiel dem Abbruch anheim. Eine wie üblich funktionslos gewordene Textilfabrik verbirgt die musealen Überbleibsel. Anwesende ABM-Leute, um Auskunft bemüht, sind nicht informiert. Ihre Jobs laufen bald aus. Die Stadt hat kein Geld. Ein pensionierter Diplom-Ingenieur weiß Bescheid: Das Denkmal ist vorhanden. Irgendwo zwischen den eingelagerten Objekten dämmert die Büste der besseren Unendlichkeit entgegen. Ich betrachte die Photographie der Büste. Markanter Kopf. Darunter die Inschrift: Alfred Eickwort / geb. 11.6.1907 / von Faschisten erschossen / 24.11.1943. Das Todesdatum ist nicht ganz korrekt. Zugegeben, die Büste ist kein avantgardistisches Kunstwerk. Postmoderne Ästhetik fehlt. Ist eben nur der Gedenkstein für einen Verschollenen mit inzwischen anstößig gewordener Inschrift. Die Denkmalspflege verlangt, so etwas wegzuräumen, zu verbergen, zu vergessen. Der Deutsche Bundestag sprach am 17. Mai 2002 das endgültige Vernichtungsurteil über den erschossenen Widerständler Alfred Eickworth. Es soll ihn nie gegeben haben. Es war einmal ein junger Arbeitersportler. Als Hitler vor der Tür stand, warf er den Sozialdemokraten Versagen vor, kam von der SAP zur KPD und über den antifaschistischen Widerstand ins Zuchthaus, bis er im Kriege als Zwangssoldat desertierte. Da holte ihn der Teufel in Gestalt deutscher Soldaten. Die Revolution von 1989 besiegte ihn ein zweites Mal. Ein drittes Mal erschießen wir ihn mit dem Blei verordneter Verleugnung. Damit endet die reale Parabel vom kleinen verratenen Genossen in den Eingeweiden eines abgerissenen Museums an der Pleiße, ganz wie die sächsische Landesregierung in Dresden empfiehlt, die so heftig wie Dregger, Kohl, Stoiber samt den Soldatenverbänden gegen die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren protestierte. Denn die Fahne ist ihnen mehr als der Tod.
Erschienen in Ossietzky 14/2002 |
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