Wie werde ich sofort gesund?

von Lothar Kusche

Diese Frage ist – wenn man an die drohenden Reformen und Sparmaßnahmen denkt – nicht leicht zu beantworten. Zunächst! Denn wie so oft im menschlichen Leben trügt auch hier der erste Blick. Man verlasse sich nicht auf altbewährte künstliche Tabletten oder Tropfen wie beispielsweise »Gurgelgurgolan, der flüssige Retter der Hälse«, »Mayers Darmfeger«, »Anti-Schmalz-Malz«, »Nagelbetthupfer« und so weiter.

Man verjage Schmerz und Unbehagen mit jenen Mitteln, welche die Natur aus ihrem schier unerschöpflichen Chloro-Füllhorn auf uns herabschüttet. Und diese zaubrischen Salben, Tränke und Mixturen verdanken wir insonderheit – wie jeder eingeschworene Reformhäusler weiß – den geheimnisvollen mexikanischen Kakteen sowie dem köstlichen Honig, mit welchem unsere bienenfleißigen Immen ihre bekannten Waben füllen.

Der Zusammenhang zwischen mexikanischen Kakteen und hiesigen Bienen ist keineswegs zufällig. Man denke nur an den bekannten Heilpraktiker Dr. Waldemar Bonsels, den Züchter der Biene Maja, und die alte und große Kultur der Maya im Südosten Mexikos.

Um also gesund zu werden und danach auch zu bleiben, bedarf unser Körper der Abnahme. Die Abnahme ist keine bloße Annahme, keine Hypothese, sondern eine ganz gewisse Gewißheit.

»Sind wir dazu verurteilt, zu dick zu sein? Wußten Sie, daß die meisten Schlankheitsspezialisten der Meinung sind, daß Sie wohl ein paar Kilogramm verlieren können, daß Sie diese aber unweigerlich wieder zunehmen? Vorher gab es strikte Diäten und intensives körperliches Training. Dies bedeutete, daß Sie selbst mit ständiger Einschränkung und Frustration nicht mehr als 2,5 bis 5 kg (selten mehr) abnehmen konnten; ganz zu schweigen von Begleiterscheinungen wie Müdigkeit und Nervosität... Nach einigen Monaten befinden Sie sich wieder am Ausgangspunkt (und nicht selten mit einigen Kilos mehr).«

Ist das nicht deprimierend? Doch gemach! Leib und Seele fühlen sich bald froh durch den guten Kaktus aus Mexiko. Zwar hat dieser außen Stacheln, innen aber enthält er Nopal. Ein Name, den wir uns merken müssen. »Nopal ist kein neues Produkt. Dieser aus mexikanischem Kaktus gewonnene Extrakt ist eine natürliche Substanz, die erstaunliche Gewichtsabnahme bewirkt.« Es wirkt, so erfahren wir weiter, »bei der Verbrennung aller Kalorien, welche Fettzellen nähren, und bei der Verbrennung von Zuckern und Fetten. Wenn Ihre Fettzellen nicht genährt werden, verschwinden sie von selbst. Da Zucker und Fette nicht mehr von Ihrem Organismus absorbiert werden, gibt es keinen Grund, sich etwas nicht zu gönnen. Das bedeutet letztendlich, daß Sie vom ersten Tag an bis zu 1 kg abnehmen!«

Speck, was willst du mehr!

Sollten Sie aber »um bis zu 15 kg abzunehmen« wünschen, so schickt Ihnen das Versandgeschäft »Nopal für die ultra-aktivierte Behandlung«, und es kostet nur um die 100 Euro + Versand- und Umschlagspesen zuzügl. Nachnahme.

Vorfreudig stimmen wir eines der schönen alten deutschen Volkslieder an, mit dem uns in vergangenen Tagen die Comedian Harmonists erfreuten: »Mein kleiner grüner Kaktus steht draußen am Balkon...« Und falls der uns nicht mitsamt seinem harten Keramiktopf auf den Kopf gefallen ist, so werden wir sogleich jenes Nopal bestellen, das ich genau so wenig erfunden habe wie den verheißungsvollen Reklametext, der hier wörtlich zitiert wurde.

Ein Universalheilmittel von fast unvorstellbaren Anwendungs- und Wirkungsmöglichkeiten entdeckte unser Freund Benno F. Walder auf einer seiner Forschungsreisen durch Böhmen in der so genannten Honigstube des Klosters T. Den Prospekt wollte (oder konnte) Benno leider nicht in verständliches Deutsch übersetzen. Bitte, versuchen Sie selbst, das dunkle Geheimnis der Propolistinktur zu enträtseln:

»Propolis – eine Substanz, die von den Bienen produziert wird und run Einkapseln der fremden Tieren. Damit wird die Verbreitung der Infektion im Bienenstock verbindert. Die Eindringlinge werden zu Tode gestorben und diese Substanz gepakt.«

Nun folgt eine Auswahl der möglichen Anwendungen und Dosierungen der Propolistinktur, die dem Filmschöpfer Fritz Lang (»Mepropolis«) unbekannt gewesen sein dürfte.

»- bei allen inneren Infektionen, die Tiefer zustände vermachen (5-mal täglich 15 Tropfen),
- beim Klimakterium benutz man es 1 Jahr lang 10 Tropfen täglich;
- bei erhöhten Bluhdruck (nicht zu verwechseln mit Blaudruck, L. K.) 1 mal täglich 10 Tropfen abends vor dem Schlafen, bis der Druck singt;
- bei einer Angine, Holzschmerzen von Erkältung geben wir 10 Tropfen in 2 dcl warmes Wasser und gurgeln mehrmals Täglich:
- bei der Magen und Zwölffinger geschwir trinken wir morgens 1 dcl Milch mit 5 Tropfen der Tinktur;
- Hautdefekt, die gut Spiritus vertragen, bestreichen wir mit der Tinktur;
- Bei Hünerangen, Quetschwenden und Gichtgswüren geben wir immer nachts Propolisumschlage;
- Rasierenwasser – 10 Tropfen in 1 dcl warmes Wasser, damit wir die Haut waschen. Es eignet sich auch für die Damenkosmetik.«

Und es eignet sich sogar (wenn ich das hinzufügen darf) run Einkapseln der fremden Tieren. Sowie zur Vermeidung jenes ärgerlichen Unwohlseins, in dessen Verlauf harmlose Leute zu Tode gestorben oder in irgendeine Substanz gepakt werden, welche Holzschmerzen, Bluhdruck oder in besonders schlimmen Fällen Rasierenwasser verursachen kann.

Also bleiben Sie schön gesund. Alles wird gut!

Erschienen in Ossietzky 13/2002