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Er gehört zur Familie, ist Vater eines Sohnes, der irgendwann auftaucht: Jeremy (Tim Severloh), ein Werwolf, Menschliches und Tierisches in sich vereinigend. Dann der Menschen-Sohn Philip (Jan Buchwald), ein Trottel im Lodenmantel, der trinkt und seine junge Frau abschreckt. Sie, Theodora (Frèdèrique Friess), aufmüpfig, im Minirock, entzieht sich ihm, zieht sich zurück ins imaginäre Kinderzimmer, in eine Welt, die heil scheint. Die tot geglaubte erste Schwiegertochter von Mrs. Carnis, Elizabeth (Aleksandra Kurzak), kommt von draußen aus der Zwischenwelt, dick vermummt im weißen Pelz, den eisigen Glamour des Todes verbreitend. Ein Schäfer (Michael Smallwood) bringt den Tod sichtbar, anfaßbar ins Wohnzimmer, ein blutiges Menschen-Lamm, dem ein Untier den Kopf abgebissen hat. Das geschieht in der Oper einer jungen Komponistin aus Österreich, Olga Neuwirth. Das Libretto stammt von Elfriede Jelinek, nach einem surrealistischen Stück von Leonora Carrington, Freundin von Max Ernst. Sie schrieb es 1940, als die Deutschen in Frankreich einmarschierten und ihr Lebensgefährte in ein Lager kam. Das Musiktheater »Bählamms Fest« wurde 1999 in Wien uraufgeführt. Jetzt die deutsche Erstaufführung durch Vera Nemirova. Die junge Regisseurin, in Bulgarien geboren, war Meisterschülerin bei Peter Konwitschny. Das albtraumartige Bühnenbild schuf Stefan Heyne. Die graugrüne Mustertapete öffnet sich später zu einer Riesenschrankwand mit Fenstern, Türen, keinen Büchern, aber Fernsehschirmen, die anfangs Wärme vorspiegeln: Sommer, Sonne, Strand – dann Eisberge, das Erkalten. Ruhepunkte zwischen den einzelnen Szenen, ein Innehalten, musikalisch ausgedrückt durch ein fast vergessenes Instrument, ein Theremin-Vox, das klagt wie eine menschliche Stimme. Das Orchester, klein, aber Großes leistend, wird geleitet von dem jungen Patrick Davin. Die Musiker und Sänger müssen hinnehmen, daß ihre Stimmen verfremdet, überlagert, verdoppelt werden, die Live-Elektronik spielt mit – bis zum Wegsterben, Verstummen. Geigentöne, schmerzhaft wie auf der nackten Haut gestrichen. Ein Kinderlied von weit her, Akkordeonfetzen, eine Spieluhr, ein jiddisches Lied. Die Musik illustriert, liegt quer, scheint klüger als die Sänger, die als Familienmitglieder eingebunden sind in eine Ordnung, die blind macht. Theodora will weg, flieht in die Kindheit, die in Form eines Mobiles mit Spielsachen von der Decke schwebt. Ihr Kinderstühlchen ist immer dabei. Teddys trösten nicht, werden gequält, weggeworfen. Der Wer-Wolf als Hoffnung für Theodora? Seine Stimme ist die eines Counter-Tenors, weiblich. Sie will sich ihm hingeben. Er muß töten. Aus seinem Heulen wird ein Sirenenton. Längst hat sich über dem Wohnzimmer ein Himmel aufgetan, ganz aus Fleisch und Wurst, ein riesiges Supermarktregal, vollgepackt mit dem, was aus den Lämmern wurde, nicht animalisch – synthetisch, luftdicht verpackt. Das Fest der Lämmer ist eine Ganoven-Party. Aus den mitgebrachten Müllsäcken werden Schaffelle gezogen, übergestreift. Zu simpel ist die Verwandlung. Revuegirls heizen ein. Alle ordnen sich unter dem Schafbock in goldenem Glitter. Alle machen mit und lassen alles mit sich machen. Der Werwolf wird zum Erzengel Gabriel, dem die Menschenschafe huldigen. Hier wird es mir zu plakativ, nicht die Musik, die reißt nur an, ironisiert, verfremdet. Elizabeth, eiskalt, ihr Koloratursopran wie zersplitterndes Glas, führt eine Todesschwadron an, nein, eher gemütliche Polizisten. Als die Schafherde sich wegschleicht, als Mrs. Carnis im Boden versinkt, ist es Henry, der Hund, dessen Heulen nun die menschlichste Stimme ist. Nur noch das Bild Jeremys, des Wer-Wolfs, gibt der nach Nähe, animalischer Wärme sich sehnenden Theodora Befehle vom Fernsehschirm herab: Nicht altern soll sie, immer schön sein – was nicht nur Wölfe wollen. Doch Theodora reißt sich ihr Haar aus, wählt das Weiterleben als Widerstand. Musikalisch und darstellerisch ist diese Aufführung ein Höhepunkt. Die Regie hätte Akzente setzen, die Ruheinseln der Musik aufnehmen sollen, vor allem aber hätte sie deutlicher machen müssen, was Leonora Carrington 1940 dazu brachte, dieses Stück zu schreiben: Das kollektive Blöken der Lämmer.
Erschienen in Ossietzky 13/2002 |
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