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Wallraffs Recherche »Der Aufmacher« belegte, was viele schon ahnten, was aber vorher noch nie konkret nachgewiesen worden war, nämlich »wie Springer den kleinen Mann hereinlegt« (Eckart Spoo im Nachwort zu Wallraffs Buch). Schon die erste große überparteiliche Nachkriegs-Protestbewegung »Ostermarsch der Atomwaffengegner – Kampagne für Abrüstung und Demokratie« (1961-1969) hatte bald erkannt, daß man Bild nicht ignorieren durfte. Wer für Abrüstung und Frieden demonstrierte und Demokratie einforderte, bekam es zwangsläufig mit Bild zu tun. 1963 wurde in die zentralen Ostermarsch-Slogans die Parole »Bild macht dumm« aufgenommen. Es folgte »Enteignet Springer!« Am 24. Juni 1966 (Bild hatte die Auflage von täglich über fünf Millionen Exemplaren erreicht) meldete dpa: »Unter dem Titel Baldzeitung wurde heute morgen von Mitgliedern der Kampagne für Abrüstung und Demokratie (›Ostermarschbewegung‹) in hessischen Städten und Gemeinden ein Flugblatt gegen die geplante Notstandsgesetzgebung verteilt. – Graphisch und stilistisch wird eine bekannte Boulevardzeitung in Millionenauflage parodiert. Die Baldzeitung zeigt unter dem fiktiven Datum 26. Juni 1969 auf drei Seiten in Wort und Bild Ereignisse, die eintreten können, wenn die Notstandsgesetzgebung durch Bundestag und Bundesrat verabschiedet würde. Auf einer vierten Seite wird eine Dokumentation über die geplante Gesetzgebung gegeben. – Die Verteilung der Baldzeitung, deren erste Auflage fast vergriffen ist, war mit einigen Zwischenfällen verbunden. So beschwerte man sich bei Opel über den Artikel ›Schüsse hallen durch Rüsselsheim‹, der Streikverbot und Zwangsverpflichtung im Notstandsfalle schildert. Ein Sprecher der Polizei erklärte, daß die Rüsselsheimer Polizei nicht schießen würde. Ein zweiter Zwischenfall ereignete sich in Offenbach am Main, wo einer der weißbemützten Verteiler der Baldzeitung kurze Zeit festgenommen wurde.« Der Festgenommene war ich. Als damaliger Sekretär der Kampagne für Abrüstung und Demokratie zeichnete ich presserechtlich verantwortlich für das Zeitungsflugblatt, das nach meiner Erinnerung in einer Auflage von einhunderttausend Exemplaren erschien. Der Verlag der Frankfurter Rundschau befürchtete presserechtliche Probleme und war deswegen nicht bereit, die Bald-Zeitung herzustellen. Bald wurde dann von der Fuldaer Verlagsanstalt GmbH gedruckt. * Ich besitze noch ein vergilbtes Exemplar. Unter der halbseitigen Schlagzeile »Schüsse hallen durch Rüsselsheim!« und den kleineren Balkenüberschriften »Bei Opel ist die Hölle los« und »Streikende Arbeiter im Feuer der Polizei zusammengebrochen« wird berichtet, wie ein von der IG Metall ausgerufener Streik um Lohnerhöhung per Notverordnung ausgehebelt worden sei. Die Notverordnung Nr. 63 verpflichte alle Beschäftigten in »rüstungswichtigen Betrieben«, im »Verteidigungs- und Spannungsfall« ihre Arbeitsplätze nur auf Anordnung zu verlassen. Der Leitartikel »Das ist die Stunde der Bewährung« zitiert Bundeskanzler Erhard: »Ich kenne keine Gewerkschaften und keine Interessenklüngel mehr. Ich kenne nur noch deutsche Männer und Frauen, die in Staat, Wirtschaft und Bundeswehr ihre Pflicht erfüllen.« Franz Josef Strauß telegrafiert von seinem südfranzösischen Urlaubsort »Komme per Jet! Stop. Begrüße Verkündung des Notstandsrechts. Stop. Jeden Ansatz von Opposition im Keim ersticken. Stop. Bolschewismus droht überall. Stop. Stunde der Entscheidung des Notstandes. Stop. Zur Übernahme aller Aufgaben bereit...« Selbstverständlich droht in Bald wie in Bild »die Zone«, aber Verteidigungsminister von Hassel beruhigt: »Wir haben die Lage fest in der Hand.« In Seligenstadt gerät jedoch das Rentner-Ehepaar Kunkel bei einer »erfolgreichen Entrümpelungsaktion« in Flammen, im Vollzuge einer Notstandsanweisung, nach der in vollgestopften Kellern Luftschutzraum geschaffen werden soll. Der Bezirksselbstschutzbeauftragte Klotz zu Bald: »Viele Alte wollten sich nicht von ihrem Gerümpel trennen. Sie konnten den Sinn der Sache nicht begreifen.« Die Frankfurter Polizei schickt sich an, »falsche Luftschutzwarte« festzunehmen, die die Dunkelheit benutzen, um Geld zu entwenden. Aufmerksame Hausbewohner schöpfen Verdacht und verständigen die Polizei. Bei einer Fürstenhochzeit gibt es Erbsensuppe. Die Frischvermählten: »In solcher Not ist jeder Prunk eine Beleidigung für alle. Wir essen Eintopf! Basta!« Die Bundesregierung protestiert gegen die geplante Lieferung von 30 000 Kinderwagen aus Frankreich in die »Sowjetzone«. Der deutsche Botschafter in Paris zu Bald: »Das Projekt unterliegt zwar nicht den Embargobestimmungen gegen die SBZ, aber wir hätten es in dieser zugespitzten Lage lieber gehabt, wenn man uns vorher gefragt hätte.« Der Bauarbeiterboß Georg Leber bestreitet, daß seine Zustimmung zu den Notstandsgesetzen am 24.6.1968 nur erfolgt sei, weil die mit dem Bunkerbau verbundene Ausweitung der Bauwirtschaft auch seiner Gewerkschaft zugute komme. Diese Unterstellung aus Unternehmerkreisen treffe ihn um so weniger, als in erster Linie die Unternehmer selbst am staatlichen Bunkerbau verdient hätten. Unter der Kopfleiste »Unsere Frauen sprachen mit dem Bundesminister: Steht euren Mann«, berichtet die Bald-Leserin Sigrid Elke B. von einem Treffen mit dem Bundesinnenminister Paul Lücke: »Wir haben mit dem Herrn Minister völlige Übereinstimmung erzielt: mehr denn je hat die deutsche Frau jetzt ihren Mann zu stehen. Zuchtvoll übernimmt sie für ihn, der opfermütig seinen Dienstverpflichtungen nachkommt, die Pflichten für Haus und Familie.« Befriedigt über eine »Blitzaktion« berichtet Bald-Reporter Willi Hagedorn: »Metall-Brenner, Spiegel-Augstein, der ultralinke Professor Abendroth, Schmierfink-Haffner und Panorama-Kogon sitzen seit gestern abend im Untersuchungsgefängnis Frankfurt in der Hammelgasse... Empörend allerdings: diese Volksschädlinge bekommen die volle Lebensmittelration der Verbrauchergruppe D (Dienstleistungsberufe). Bald meint: Wer dem Volk jahrelang Bärendienste erwiesen hat, der sollte an trockenem Brot genug haben.« * Die Notstandsgesetze wurden am 26. Juni 1968 mit der Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition von CDU/CSU/SPD beschlossen. Gegen diese Gesetze stand die größte Protestbewegung der deutschen Nachkriegszeit. Bis heute bedrohen die Notstandsgesetze – auch wenn in der Öffentlichkeit kaum mehr von ihnen die Rede ist – alle Ansätze für einen demokratischen Wandel, und die »Blödzeitung« (Kommissar Stöver im »Tatort«) verdummt weiter die Köpfe ungezählter Menschen. Auch in den nachgewachsenen und nachwachsenden Generationen. Bild blieb der angeblich »unpolitische« Mittäter, wenn es um die Entpolitisierung von Politik und die Politisierung von Unpolitik, wenn es um das Schüren dumpfer, aber gefährlicher Vorurteile, um das Verbreiten von Lügen, Niederträchtigkeiten und Haß geht. Bild hat mitgeschossen, und zwar nicht nur 1968 beim Mordanschlag auf Rudi Dutschke. Bild schießt auch weiter mit, ob im Irak, in Jugoslawien oder in Afghanistan wie einst in Vietnam. Versuchten wir die Opfer auf der fünfzigjährigen Blutspur von Bild aufzufinden, so stünden wir vor zahllosen Massengräbern dieser Welt. Und ungeniert bedienen sich Vertreter aller Schattierungen der politischen Klasse (schwarz-gelb-braun-rot-grün) dieses Blattes und dienen zugleich dem Blatte. Eckart Spoo resümierte 1977 bei Wallraff: »Die Opfer müssen sich wehren!« Das gilt auch nach dem 50jährigen Bild-Jubiläum.
Erschienen in Ossietzky 13/2002 |
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