Gepflegte Langeweile

von Anne Dessau

Das Bayerische Staatsschauspiel gastierte im Berliner Ensemble mit August Strindbergs »Der Vater«, inszeniert von Thomas Langhoff in großer Besetzung (Lambert Hamel, Cornelia Froboess, Inge Keller, Lisa Wagner, Stefan Hunstein, Claus Eberth, Andreas Bittl). Die vorauseilenden Botschaften klangen euphorisch: »Langhoff zurück in alter Form!« In diesem Sinne etwa. Die Vorstellungen waren ausverkauft, im Haus brodelte es, Ensemblemitglieder, ehemalige und noch agierende, des Deutschen Theaters, Honoratioren aus Wirtschaft, Kunst und Politik flanierten angeregt im Halbrund der Gänge. Gespannte Erwartung also. Der eiserne Vorhang trennte hermetisch die zu erwartende Welt von der unseren, hochgefahren offenbarte er einen Raum unwirtlich, kahl wie die Ehe des Rittmeisters und seiner Frau Laura (Bühne, Kostüm: Jürgen Rose).

Das ist ein böses Stück über böse Männer, noch bösere Weiber. Thema: Fesselung und Erdrosselung des Menschen in der und durch die Ehe. Mordlustig, wie kann es bei Strindberg anders sein, ist das Weib. Der Geschlechterkampf tobt bis zum tödlichen Ende. Er ein gnadenloser Patriarch (der Dichter erteilt ihm das Recht auf diesen Anspruch), sie treibt ihn eiskalt in den Wahnsinn, die Tochter, Objekt des Streites, wankt hin- und hergerissen zwischen beiden. Pfarrer, Arzt, Amme und Schwiegermutter, dazu Dienstboten ergänzen den Familienverband, führen uns vor, wie Familie zu sein hat. Ein ewig aktuelles Stück, Schauspieler, die ihr Handwerk können und mehr. Man durfte gespannt sein.

Meine Spannung wurde schnell überwuchert von Langeweile - gepflegter Langeweile. Edelsteine in unangemessener Fassung. So etwa. Ich sehe hohe Schauspielkunst auf der Bühne, die Interpretation dessen, was der Dichter geschrieben hat, aber der Zugriff des Regisseurs sollte, Dissonanzen nicht ausgeschlossen, insgesamt klangrein sein. Hier stimmte das Tempo nicht, Dramatik versandete in Leerlauf, da war keine Dichte, Reibungen führten nicht zu Explosionen. Es blieb konventionell gespieltes Theater. Die Kunst hervorragender Schauspieler/innen tröstete kurzfristig darüber hinweg, das Fazit änderte sich dadurch nicht. Mit Anlaufschwierigkeit jauchzte und lobte das Publikum. Vorwiegend aus sentimentalen Gründen, denke ich. Man wollte freundlich sein zu Langhoff. Keller, Hamel und Froboess sind oftmals bewunderte Akteure, auch Stefan Hunstein und Lisa Wagner werden den Berlinern im Gedächtnis bleiben. Ihnen ward Jubel, aber gebremst. Geht man viel ins Theater, hört man genau, aus welchen Zutaten Applaus entsteht. So habe ich diesen Abend erlebt.

Erschienen in Ossietzky 12/2002