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Gerd Conradt hat einen Film über den ersten der RAF-Häftlinge gemacht, die im Knast ums Leben kamen. Meins und er gehörten 1966-68 zum Gründungssemester an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Eine Generation im Aufbruch, die noch die Hoffnung hatte, auch mit Filmen die Welt verändern zu können. In seiner Jugend war Holger 13 Jahre bei den christlichen Pfadfindern gewesen - eine Prägung, die in seinem Gerechtigkeitsempfinden und seinem moralischen Rigorismus wirksam blieb. Auch Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin kamen aus einer christlichen Erziehung. Nach dem Abitur studierte er an der Hochschule für bildende Künste Hamburg-Lerchenfeld, arbeitete als Bühnenbild- und Kameraassistent. »Er hätte eine große Karriere vor sich gehabt, weil er zu den besten jungen Kameraleuten der Bundesrepublik gehörte«, bescheinigten ihm die Filmemacher Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Sein erster Film, in dem er Regie führte, »Oskar Langenfeld«, war die genaue Beobachtung eines Lumpensammlers. Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, Agitation für eine bessere Gesellschaft blieben seine Themen. Ein Titel mit der Aufforderung »BZ ins Klosett« ist bis heute aktuell ... Die Hetze der Springer-Presse gegen die Studenten und deren Engagement gegen den Vietnam-Krieg, der Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 während des Schah-Besuchs und das Attentat auf Rudi Dutschke führten zur Radikalisierung der außerparlamentarischen Opposition. Holger Meins wurde mit 17 weiteren Studenten Ende 1968 wegen Besetzung des Rektorats von der Hochschule relegiert, blieb aber filmisch aktiv. Eine einmonatige Haft unter falscher Anschuldigung im August/September 1970 mag der letzte Anstoß gewesen sein, sich der RAF anzuschließen. »Starbuck Holger Meins«, der Titel von Conradts Film über seinen Kommilitonen, spielt an auf dessen Decknamen nach einer Figur aus Herman Melvilles Roman »Moby Dick«. Bei einer Durchsuchung von Ulrike Meinhofs Gefängniszelle wurde ein Kassiber von Gudrun Ensslin gefunden. Er enthielt Decknamen der RAF-Mitglieder, die sie diesem Roman entnommen hatte. Heute wirkt die Vorlage symbolisch: die Geschichte einer Jagd, die für Kapitän Ahab zur Obsession wird und zum Schluß alle in den Untergang reißt. Starbuck war der Steuermann der »Pequod«. War Holger Meins Steuermann der Baader-Meinhof-Gruppe? Mit einer Überhöhung zwischen Schillers »Räubern«, Western und antikem Drama versucht übrigens auch Christopher Roth in seinem von der Kritik zu Unrecht überwiegend negativ eingeschätzten Film »Baader« einen neuen Zugang zu dem Stoff. Fast könnte man inzwischen von einer ganzen Welle deutscher RAF-Filme sprechen: Volker Schlöndorffs »Die Stille nach dem Schuß«, Christian Petzolds »Die innere Sicherheit«, Christopher Roths »Baader«, Andres Veiels »Blackbox BRD«; geplant ist - nach Margarethe von Trottas »Die bleierne Zeit« - ein neuer Film über Gudrun Ensslin, ausgerechnet mit Heike Makatsch in der Hauptrolle. Am meisten gemein hat Conradts Film mit Andres Veiels Porträt von Wolfgang Grams. Nicht nur weil beide Dokumentationen sind, sondern auch weil sein Film über Holger Meins gleichfalls mehr Fragen offen läßt, als er Antworten gibt, und vor allem weil er den Menschen hinter dem Etikett »Terrorist« zeigt - ein Begriff, der zur Zeit wieder inflationär durch die Medien geistert. (Wer erinnert sich zum Beispiel noch daran, daß - Achtung: Kein Antisemitismus! - der Staat Israel von »Terroristen« gegründet wurde, die gegen britische Besatzer kämpften, um eine Heimat für die europäischen Überlebenden des Holocaust zu schaffen?) Conradt folgt visuellen Spuren: Neben zeitgenössischen Dokumentaraufnahmen legt er einen starken Akzent auf Bilder, die Holger Meins gemalt hat - eine künstlerische Begabung, von der selbst Conradt zu Lebzeiten seines Protagonisten nichts wußte und erst durch dessen Vater erfuhr, dem er den Film gewidmet hat. »Ich denke viel an Dich«, schrieb Wilhelm Meins dem Sohn in die Haft, »und kann nur nochmals beteuern, daß ich 100 % zu Dir halte, was auch kommen mag, und Dir jede Hilfe gebe, die mir möglich ist.« Beim ersten Besuch war er über die Spuren der Mißhandlungen entsetzt, die Holger nach der Verhaftung durch Polizisten erlitten hatte. Zuletzt unterließ es die Justizverwaltung, ihn über den bedrohlichen Zustand seines künstlich ernährten Sohnes zu informieren. Neben dem Vater, der 1986 verstarb, kommen in dem Film viele Weggefährten von Holger Meins zu Wort: die Filmhochschuldozenten Peter Lilienthal und Michael Ballhaus, die Kommilitonen Harun Farocki und Thomas Giefer, Malerfreunde als Interpreten seiner Bilder, Rainer Langhans, Mitbewohner in der Kommune 1, die RAF-Gefährtin Margrit Schiller und Gretchen Dutschke. Holger Meins' Anwalt, der nach seinem Tode von einer »Hinrichtung auf Raten« sprach, ist allerdings nur beim Begräbnis neben Rudi Dutschke im Bild zu sehen: Otto Schily berief sich auf seine auch über den Tod des Mandanten hinaus gültige Schweigepflicht als Anwalt. Vielleicht erklärt sich das wiedererwachte Interesse an einer dreißig Jahre und mehr zurückliegenden Vergangenheit auch aus der heutigen politischen Friedhofsruhe. »Nur wenn wir die Letzten gewesen sind, die gesucht haben, dann sind wir gescheitert«, resümiert »Sonja«, ein Mitglied der »Bewegung 2. Juni«, für die Inge Viett als Vorbild stand, am Ende des jüngst in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin uraufgeführten Stückes »Zeugenstand - Stadtguerilla-Monologe«. Autor und Regisseur Andreas Dresen nähert sich dem Stoff eher mit privatistischen Erinnerungen auch der Witwe des erschossenen Kammergerichtspräsidenten Drenkmann, des entführten Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz, dessen Fahrers sowie einer Hausfrau. Nach Ulrich Plenzdorfs Fernsehfilm »Vater Mutter Mörderkind« (1993) und Wolfgang Kohlhaases Drehbuch zu »Die Stille nach dem Schuß« (2000) ist dies der dritte Versuch eines ostdeutschen Autors, sich mit einem Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen, das jenseits der Mauer damals nur aus der Distanz betrachtet wurde, wenn auch etwa Karge/Langhoffs Volksbühneninszenierung der »Räuber« oder Lothar Warnekes Büchner-Film »Addio piccola mia« indirekt darauf reagierten. Daß jetzt ein erfolgreicher ostdeutscher Filmemacher wie Dresen (»Nachtgestalten«, »Halbe Treppe«) vom Jahrgang 1963 in einer weitgehend entpolitisierten Theaterlandschaft ein Zeichen setzt, läßt wie das bei einem Dokumentarfilm ungewöhnliche Interesse für Gerd Conradts Meins-Porträt (allein in Berlin in fünf Kinos) hoffen, daß die heute so viel geschmähten »68er« doch nicht die letzten Suchenden waren. Und schließlich sollte »Starbuck« daran erinnern, daß noch heute sieben einstige RAF-Mitglieder hinter Gittern sitzen: Christian Klar (49, seit 1982, in Bruchsal), Brigitte Mohnhaupt (52, seit 1977, in Aichach), Rolf-Clemens Wagner (seit 22 Jahren in Schwalmstadt), Rolf Heissler (53, 1971-75 und seit 1979, in Frankenthal), Eva Haule (47, seit 1986, in Frankfurt a.M.), Birgit Hogefeld (45, seit 1993, in Frankfurt), Andrea Klump (seit 2000). Welche Spuren die nicht endenwollende Rache des Staates bei einem Menschen hinterläßt, machte auf erschütternde Weise das Fernseh-Interview von Günter Gaus mit Christian Klar deutlich. Der ORB wiederholt es in der Reihe »Zur Person« in der Nacht vom 28. zum 29. Juni, 0.45 Uhr, zuvor um Mitternacht das Interview mit Inge Viett, die an der Entführung von Peter Lorenz beteiligt war und später bis zur Inhaftierung (1990 bis 1997) in der DDR lebte.
Erschienen in Ossietzky 12/2002 |
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