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Schließlich hätten dieselben Terrororganisationen, die für die Attentate auf Welthandelszentrum und Pentagon verantwortlich gemacht werden, auch hinter den Massakern auf algerische Intellektuelle, Schulen und Dörfer gestanden. Aber, wird dann gesagt, bei einem Teil der Massaker soll doch auch die Armee ihre Hand im Spiele gehabt haben? Richtig. Auch hier dürfen wir die Parallele nicht scheuen: Die angegriffene Supermacht wußte keine bessere Antwort als die algerischen Machthaber. Sie stellte ebenfalls einen allen Menschenrechtsvorstellungen widersprechenden Kriegszustand her, mit der Folge, daß es nicht mehr darauf ankommt, ob die Strafe die wirklichen Drahtzieher trifft oder Zivilisten, die willentlich oder gezwungenermaßen Unterstützer des Terrors waren, oder Unbeteiligte. Vernünftigere Zuhörer seufzen dann und bemerken, daß es eben generell besser wäre, den Terror, anstatt ihn militärisch besiegen zu wollen, durch ökonomische Hilfe zur Selbsthilfe auszutrocknen. Im afghanischen Falle hieße das, jedem waffenfähigen Mann - und den Frauen ebenso - irgendeine zivile Berufsperspektive zu eröffnen. Das wäre auch die Lösung für Algerien. Aber während die Weltmacht immerhin das Privileg hat, ihre Politik wählen zu können, bleibt es ein Rätsel, wie eine durch Internationalen Währungsfonds und Weltbank zu Privatisierungen gezwungene Regierung Arbeitsplätze schaffen könnte. Die durch die weltweite Installierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells gegebene Mitverantwortung des Westens an der Tragödie anderer Völker wird einfach nicht reflektiert. Lieber pflegen wir unsere alte Gewißheit, daß gewisse Völker eben Barbaren bleiben und andere nicht. Es hat mich sehr verwundert, daß in den Radiosendern die algerische Parlamentswahl am 30. Mai als die erste seit der 1991 durch die Islamische Heilsfront gewonnenen und durch die Armee annullierten Wahl dargestellt wurde. In Wirklichkeit sind in Algerien seitdem schon mehrere Parlamente gewählt worden, zweifellos mehr oder weniger manipuliert. Weniger auf jeden Fall als im Nachbarland Tunesien, wo sich Präsident Ben Ali einige Tage zuvor mit 99 Prozent bestätigen ließ, ein Ergebnis, das in Algerien seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1988 (ein Jahr vor dem Zusammenbruch des Ostblocks) nicht mehr vorkommt. Da selbst unser Bundeskanzler für sich in Anspruch nimmt, wegen der weltweiten Flaute unsere Wirtschaft nicht in Trab setzen zu können, müßten wir auch Algerien zubilligen, daß es das Problem seiner immensen Jugendarbeitslosigkeit nur lösen kann, wenn eine völlig andere Weltwirtschaftsordnung zustande kommt. Die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher war von nationalen und internationalen Islamisten instrumentalisiert worden. Zur Zeit erfährt sie eine andere Fokalisierung: einen Regionalkonflikt in der Kabylei, der bereits in einen offenen Flächenbrand übergegangen ist. Die karge Bergzone östlich von Algier besitzt keine Bodenschätze, und die begrenzten Möglichkeiten der Landwirtschaft nähren die ständig wachsende Bevölkerung schon lange nicht mehr. Zahlreiche Kabylen leben in den arabophonen Gebieten und in Frankreich. Der einzige Reichtum der Region ist ihre Kultur, die sich bis auf die Sprache - die heutige Form des schon in der Antike in Nordafrika gesprochenen Berberisch - von der Kultur der Arabophonen nicht mehr unterscheidet als die von Württemberg und Bayern. Denn die arabophonen Algerier sind nichts anderes als arabisierte Berber. Couscous, das berberische Urgericht, essen alle. Leider haben die Zentralregierungen seit der Unabhängigkeit versucht, die berberische Sprache zu unterdrücken. Es war das beste Mittel, um sie zu einem zärtlich geliebten Identitätssymbol zu machen, obwohl heute niemand mehr einen Beruf in dieser eigentlich nur noch in den Familien gebräuchlichen Sprache ausüben kann. Schon der 1980 in der Kabylei stattfindende, als ›Berberfrühling‹ bekannte Aufstand prangerte die Vernachlässigung aller, also auch der arabophonen Volkskulturen und die mißliche soziale Lage vieler Menschen im ganzen Land an. Damit gewann er Sympathien zumindest bei arabophonen Intellektuellen. Sie wurden in den Jahren des Terrors weitgehend verspielt, u.a. weil die größte in der Kabylei verwurzelte Partei, die Front des Forces Socialistes, nicht müde wurde, die Wiederzulassung der Islamischen Heilsfront zu verlangen, und politisch den Terrorismus begünstigte. Was dieser in den arabophonen Gebieten letztlich nicht zuwege brachte, scheint jetzt in der Kabylei zu gelingen: den Staat definitiv zu delegitimieren. Seit über einem Jahr dauern blutige Konfrontationen zwischen jugendlichen Demonstranten und Ordnungskräften an, die weit über hundert Tote forderten. Achtzehn Kommunen erzwangen den Abzug der Gendarmen, die lokale Macht wird von Volkskomitees wahrgenommen, die sich Arush nennen (Singular: Arch). Es handelt sich um die Wiederbelebung der alten patriarchalen Dorfräte, Frauen sind hier nicht zugelassen. Die Arush haben heute mehr Einfluß als die FFS und die andere in der Kabylei verwurzelte Partei, das Rassemblement pour la Démocratie et la Culture (RDC). Aber sie haben keine Persönlichkeiten wie im Berberfrühling von 1980, um Programme zu formulieren, die auch im arabophonen Teil Algeriens ein Echo fänden. Hier hält man die Kabylen schlichtweg für verrückt. Der Ethnokonflikt, den es im Wortsinne gar nicht gibt, ist bereits programmiert. Gut nur, daß bislang keine ausländische Macht eine kabylische Autonomie unterstützt. Auch die westlichen Medien, denen zum Thema der algerischen Parlamentswahl nichts anderes einfiel, als sich über die Bilder der aufständischen Region zu freuen, sollten darüber nachdenken, was geschehen wird, wenn hunderttausende Kabylen aus den arabophonen Gebieten zurückgejagt werden sollten. Arush, FFS und RDC hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Jeder, der sich den Wahllokalen näherte, und auch die, die darin arbeiteten, wurden von Gewalt bedroht. Deshalb schlossen die Wahllokale in der Kabylei vielerorts schon am Vormittag. Die Befürchtung, daß der Ausfall eines so großen Teils der Wählerschaft zu einem Wahlsieg des islamistischen Blocks führen könnte, bestätigte sich nicht. Der Teil der Algerier, der in Brot und Arbeit steht, wählte nostalgisch und brachte die - vor allem durch Weiblichkeit auf den vorderen Listenplätzen - ein wenig modernisierte alte Einheitspartei Front de Liberation Nationale zum Wahlsieg, gefolgt vom Rassemblement National Démocratique, wie die FLN eine Partei der Administration. Bemerkenswert sind die 22 Mandate, die die trotzkistische Partei der Arbeit einfuhr, ein in der islamischen Welt bislang einmaliger Erfolg. Ihre Wortführerin Louisa Hanoun - früher eine lautstarke Befürworterin der Wiederzulassung der islamistischen Heilsfront - war die einzige, die ökonomischen Klartext redete. Scharf geißelte sie die bevorstehenden Privatisierungen und Massenentlassungen tausender Arbeiter. Das mit nur 48 Prozent Wahlbeteiligung zustandegekommene Ergebnis spiegelt sicher auch qualitativ nicht den Willen der Volksmassen wieder. Immerhin können aber die von Präsident Bouteflika bereits angestoßenen grundlegenden Reformen des bislang mit islamistischen Inhalten verseuchten Bildungswesens und der Justiz weiter verfolgt werden. Bisher wird der auf verschiedenen Ebenen aufkeimenden Gewalt nur mit der Aufrüstung der Ordnungskräfte begegnet. Auch hier verliert das Wählen von Parteien und Parlamenten für immer mehr Menschen den Sinn. Ob sich das brennende Schiff auf schwerer See überhaupt halten, geschweige denn vorwärts bewegen kann, bleibt ungewiß.
Erschienen in Ossietzky 12/2002 |
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