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Die folgenlose Distanzierung begann schon mit der unfrommen Legende von der Stunde Null. Als ob es einen Neuanfang ohne dieses schuldbeladene Davor geben konnte. Doch da man kollektiv nicht schuldig sein wollte (die Stuttgarter Schulderklärung des Rates der Evangelischen Kirche im Oktober 1945 wurde vehement zurückgewiesen), beschwieg und verdrängte man das kaum Vergangene. Mit offizieller Unterstützung übrigens, wie der Bochumer Historiker Norbert Frey in seinem Buch über die »Vergangenheitspolitik« der Adenauer-Ära erschreckend anschaulich darlegt. Die Brüder und Schwestern in der Deutschen Demokratischen Republik erhielten Generalabsolution von ihrer antifaschistischen Regierung. Der Kalte Krieg enthob dann die beiden ihm entsprungenen deutschen Teilstaaten der notwendigen Pflicht zum Blick zurück. Aus ihm aber hätte das helfende und heilende Erschrecken im Nachhinein erwachsen können. Wir haben es uns nicht gestattet. Vielleicht auch nicht für nötig gehalten. Ist die Welt nicht auch nach Hitler voller Vernichtungsfeldzüge und Völkermord? Und war nicht der Despot Stalin ursächlicher für die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts als unser eigener Diktator? Der Historiker Ernst Nolte stieß mit dieser Behauptung den Historikerstreit an, der die Öffentlichkeit viele Wochen lang bewegte, doch keine Erlösung von der eigenen Befangenheit brachte. Nicht anders die Auseinandersetzung um das Buch »Hitlers willige Vollstrecker« des jungen US-amerikanischen Historikers Daniel Jonah Goldhagen. Die Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff verstieg sich in die »Befürchtung, daß das Goldhagen-Buch den mehr oder weniger verstummten Antisemitismus wieder neu beleben könnte«. Den entrüsteten Stimmen in den Leserbriefen entgegnete sie: »Den, der sich diese Sorge (um den selbsterzeugten Antisemitismus) macht, als Antisemit zu diffamieren, ist so, als wollte man den, der vor einem möglicherweise bevorstehenden Terrorakt warnt, als Komplicen verdächtigen«. Als wär's ein Stück von Möllemann, schon damals im Oktober 1996. Nur ist der Ton schärfer geworden, auf beiden Seiten. Ignatz Bubis litt unter der Auseinandersetzung um Martin Walsers Brandstifterrede 1998 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main. Sein Nachfolger im Zentralrat der Juden, Paul Spiegel, und der Stellvertreter und Medienstar Michel Friedman geben zurück und fordern Satisfaktion. Zu recht. Und doch klingt es wie auf dem Paukboden: »Mein Herr, Sie haben mich fixiert!« Das Ungute an diesen Aufwallungen ist die hysterische Grundstimmung, die Mischung aus Trotzreaktion und schlechtem Gewissen, die sich in Vorwürfen, Unterstellungen und Behauptungen erschöpft. Da wird gleich die ganze FDP, die man nach dem 22. September als möglichen Koalitionspartner noch dringend brauchen wird, abgeschrieben, als würde die Partei von Hamm-Brücher, Hirsch und Leuthäuser-Schnarrenberger mit der NPD fusionieren. Da wird der wuselige Martin Walser zur Jagd freigegeben, noch ehe das Beweisstück veröffentlicht ist. Da wird mit dem Vorwurf des Antisemitismus so leichtfertig und diskriminierend umgegangen wie seit dem ominösen 11. September mit dem Wort Terrorismus. Diskurs und Differenzierung haben da keinen Platz. Schon ist der Auslöser für den aufgeregten Antisemitismusverdacht in Deutschland, die Kritik an den militärischen Exzessen des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Wer wagt noch über die willkürlichen Säuberungsaktionen der israelischen Soldaten in den besetzten Gebieten zu reden? Wer nach dem Verbleib der palästinensischen Männer zu fragen, die bei den Razzien in den Flüchtlingslagern mitgenommen werden? Das Schweigen des deutschen Außenministers Joseph Fischer, der eigene Ziele verfolgt, sollte nicht die einzige zulässige Reaktion sein dürfen. Zuvor aber müssen wir unsere Vergangenheit annehmen, ehe es zu spät ist. Die Zeit rinnt aus für ein Schuldeingeständnis der Kriegsgeneration. Sie eroberte die Länder, in denen die Arbeits- und Todeslager errichtet wurden. In ihrer Mehrheit glaubt sie noch heute, nur ihre Pflicht getan zu haben. Helmut Schmidt, der zweite sozialdemokratische Bundeskanzler, ist einer von ihnen. Er könnte eine vom Bundestag beauftragte Delegation zusammenstellen, die am 27. Januar, dem seinerzeit von Bundespräsident Roman Herzog dekretierten Gedenktag, in Auschwitz um Versöhnung bittet. Eine Geste, die dem Kniefall von Willy Brandt gleichkäme. Wirksamer und sinnstiftender als monumentale Betonstelen.
Erschienen in Ossietzky 12/2002 |
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