Zur normalen Fassung

Die Umarmung der unverbrüchlichen Freunde

Bushs historische Rede vor dem Bundestag

von Oliver Klauke


"Nach der Tragödie kommt die Farce."
Heinrich Heine


Die gemeinsamen Anstrengungen der sogenannten Anti-Terrorkoalition, die Bush als Anti-Hitlerkoalition zu kostümieren wünscht, werden nicht den bisher schlimmsten Krieg der Weltgeschichte beenden. Sie drohen ihn - im Gegenteil - zu entfesseln.

In seiner als historisch angekündigten Rede während seines Staatsbesuches in Berlin benahm sich Bush laut einhelliger Meinung aller Kommentatoren überhaupt nicht wie ein Kriegstreiber, sondern - auf die europäischen Befindlichkeiten eingehend - wie ein wahrhaft weltmännischer Diplomat. Standing ovations donnerten dem amerikanischen Präsidenten aus den Reihen des Bundestages entgegen. Mit großem Pathos versicherte man sich der gegenseitigen unverbrüchlichen Freundschaft. Bush versicherte, er hege keine konkreten Angriffspläne gegen den Irak und würde bei jedem Schritt in diese Richtung seine europäischen Verbündeten konsultieren.

Als hätte er ein Flugblatt der Globalisierungskritiker von attac gelesen, betonte er, daß der internationale Terrorismus sich in Ländern festsetze, in denen Armut und Elend vorherrschend seien und man deshalb eine bessere Welt schaffen müsse, um den Terror endgültig zu besiegen.

Ein Schlüsselwort in Bushs Rede entging aufmerksamen Zuhörer jedoch nicht: Pearl Harbor.

Diesen Vergleich des 11. Septembers mit dem Anlaß für den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ergänzte Bush einige Tage später in Paris: Der "Krieg gegen den Terror" fände seine historische Entsprechung nur in dem Krieg der Anti-Hitlerkoalition gegen Nazi-Deutschland.

Es lohnt sich, diesen Vergleich genauer zu betrachten. Nazi-Deutschland war die zweitgrößte imperialistische Macht der Welt, deren gigantische Militärmaschinerie sich bei Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 bereits mitten in der Offensive befand, in deren Verlauf sie zweidrittel Europas, Teile des Nahen Ostens und von Afrika überrollte. Im Schatten der Panzerfronten trieb Nazi-Deutschland das Morden in ein vorher nicht vorstellbares und bis heute nicht faßbares Ausmaß - Auschwitz, Treblinka, Sobibor...

Entspricht der unsichtbare Feind von George Bushs "Krieg gegen Terror" diesem Behemoth?

Der Kriegseintritt der USA und der Aufbau der Anti-Hitlerkoalition beendete schließlich unter unvorstellbaren Opfern auf allen Seiten das große imperialistische Schlachten des Zweiten Weltkrieges. Welchen Krieg wollen die USA aber heute eigentlich beenden?

Tatsächlich erscheinen die historischen Vergleiche des George W. Bush, mit denen er unter dem schallenden Applaus seiner unverbrüchlichen Freunde den "Krieg gegen den Terror" auf die Höhe der geschichtlichen Tragödie zu heben sucht, schon nach kurzem Hinsehen als eine Farce.

"Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigten scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in altehrwürdiger Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen." (Marx im 18. Brummaire)

Der Bush ist nackt: Die Gesellschaft erbricht unverdaute Barbarei

Die gemeinsamen Anstrengungen der sogenannten Anti-Terrorkoalition, die Bush als Anti-Hitlerkoalition zu kostümieren wünscht, werden nicht den bisher schlimmsten Krieg der Weltgeschichte beenden. Sie drohen ihn - im Gegenteil - zu entfesseln.

Bush hat Libyen, Sudan, Irak, Iran, Jemen, Pakistan, Nordkorea - Länder von Nahost bis Fernasien - auf die Achse des Bösen gesetzt. Die Liste des CIA umfaßt über 50 sogenannte Schurkenstaaten, gegen die Militäreinsätze in Frage kommen sollen. Der Einsatz von Nuklearwaffen, auch gegen Nicht-Atommächte - überhaupt bei "unvorhergesehenen militärischen Entwicklungen" - wird nicht mehr ausgeschlossen. Auch China wird nebenbei als potentieller Kandidat genannt für die Behandlung mit "Mini-Nukes" - gemeint sind damit "kleine" Atombomben, die "lediglich" ein Drittel der Vernichtungskraft der Bomben von Hiroshima und Nagasaki besitzen. Sprachlich freilich erinnern "Mini-Nukes" eher an Knallerbsen. In Katar bauen die USA eine der modernsten Militärbasen der Welt für den Angriff auf den Irak. Deutsche Truppen stehen in Kabul, Kuwait, im Golf vor Somalia, in Dschibuti, in Kenia, in Mazedonien und im Kosovo. Unter dem Motto Krieg gegen Terror firmiert ebenso Putins Offensive gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung wie Sharons brutaler Krieg gegen die Palästinenser. Die westliche Staatenwelt hat eine Aufrüstungskampagne sondergleichen eingeleitet. Der Afghanistankrieg ist nicht beendet, sondern wird auf kleiner Flamme weitergeführt. Durch die westliche Intervention ist das gesamte Kräfteverhältnis in der Region durcheinander geraten. In Kaschmir haben Indien und Pakistan eine Million Soldaten an der Demarkationslinie zusammengezogen und führen eifrig Raketentests durch. Während in Indien fundamentalistische Hindus mit Duldung des Militärs tausende von Muslimen abschlachten, schaut Ministerpräsident Vajpayee von der hinduistischen BJP in den blauen Himmel und droht Richtung Pakistan, das den "Krieg gegen Terror" angeblich nicht konsequent genug führt: "Auch aus wolkenlosem Himmel kann manchmal ein Blitz schlagen." Vor allem deutsche Konzerne lieferten seit 1974 Material und Know-how für die Bombe an beide Länder. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann und wo das Tabu gebrochen wird. Auf der anderen Seite des Globus sollen in Kolumbien eine Million Mann für eine Offensive im "Krieg gegen den Terror" mobilisiert werden, und im Nachbarland Venezuela scheiterte vor einigen Wochen ein vom CIA unterstützter Militärputsch.

All dies spielt sich ab vor dem Hintergrund der tiefsten Strukturkrise der kapitalistischen Weltwirtschaft seit der großen Depression der 30er Jahre. Schon die Asienkrise 1997/98 ruinierte ganze Volkswirtschaften und rollte über Rußland bis Lateinamerika. Im Frühjahr 2001 griff die Krise ins Zentrum des Systems über. Die US-Konjunktur brach nach ihrem zehnjährigen kreditfinanzierten Boom ein. Ende des Jahres waren die drei führenden Wirtschaftsregionen der Welt (USA, EU und Japan) das erste Mal seit '45 gemeinsam in der Rezession. Mittlere Ökonomien wie die Türkei und Argentinien erlebten Zusammenbrüche, aus denen sie bis heute keinen Ausweg fanden.

In Europa tauchen auf der politischen Bühne Gespenster auf, die vor drei Jahren noch brauner Vorzeit angerechnet wurden. In einem Land nach dem anderen gelangen konservative Parteien in Koalitionen mit Rechtspopulisten und offenen Faschisten an die Regierung. Schüssel/Haider in Österreich, Berlusconi/Fini in Italien, Chiracs Neo-Gaullisten teilen sich in Frankreich mit Le Pens Front National kommunale Wahlkreise auf, in Belgien bildet der Vlams Blok ein expandierendes faschistisches Lager, die Niederländischen Konservativen koalieren mit der rassistischen Fortuyn Partei, deren Anhänger durch Amsterdam toben und "Schwarze ins Gas" skandieren. Rechtspopulistische Regierungen lösten auch die Sozialdemokraten in Dänemark und Norwegen ab. In Deutschland geben die Vorstöße Möllemanns, der diese Wahlergebnisse als Ausdruck "demokratischer Emanzipation" bezeichnet, einen Vorgeschmack auf die Stoiberwahl.

Nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung 1989 scheint die Geschichte mit zunehmender Geschwindigkeit rückwärts zu laufen. Die Globalisierung nimmt seit dem 11. September Gestalt an als Wettlauf einer Handvoll Großmächte um die militärische Sicherung von Einflußzonen auf der Suche nach neuen Profitquellen. Der "Krieg gegen Terror" hat die immanente Logik, zu einem Krieg gegen den Widerstand der Bevölkerungen aller Länder zu werden. In der internationalen Hackordnung herrscht ein Krieg zwischen Oben und Unten, den eine verschwindende Minderheit von Unterdrückern zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft über die überwältigende Mehrheit führt. Dieses Projekt "Krieg gegen Terror" (manchmal auch "clash of civilisations" genannt) verbleibt als die einzig wirkliche Gemeinsamkeit, die die unverbrüchlichen Freunde zusammenhält. Dies beinhaltet auch die Arbeit am Untergang des Freundes. Vor noch nicht allzu langer Zeit tönte Schröder, die Europäische Union würde die USA binnen 5 Jahren ökonomisch überholen. Heute gehen die Vereinigten Staaten mit den Stahlprotektionen in einen offenen Handelskrieg gegen die EU über, während sie sie gleichzeitig in eine militärische Rüstungskonkurrenz zwingen. Für das heiß ersehnte Mitspracherecht bei der Neuaufteilung der Welt hat auch die BRD enorme Rüstungsinvestitionen auf die Agenda gesetzt. Der amerikanische Ökonom John F. Galbraith zeigte, daß die große Krise der 1930er niemals durch die Wunderkräfte des freien Marktes gelöst wurde, sondern in fast allen fortgeschrittenen Ländern schlicht in der Mobilisierung für den militärischen Staatskapitalismus verschwand. In der Geschichte sind diese Sorte unverbrüchlicher Freunde sich beim gemeinsamen Unterjochen und Ausplündern schwächerer Länder schon zweimal so sehr gegenseitig in die Quere gekommen, daß sie - trotz aller Freundschafts- und Friedensbekundungen - nicht zögerten, auch übereinander herzufallen.

Wären heute die deutschen Huckepackimperialisten wirklich die Freunde der Amerikaner, hätten sie ihnen die Erfahrung aus der "deutschen" Geschichte angetragen: Nie wieder Krieg! - statt bedingungsloser Solidarität. Stattdessen verkaufen sie der Bevölkerung die Regression der deutschen Gesellschaft in die Barbarei von Krieg und Völkermord als "Erwachsenwerden" und freuen sich, wenn Bush laut ausspricht, was sie bisher nur zu flüstern wagen: "Ein starkes Deutschland ist gut für die Welt."

Mit dem Krieg gegen den Terror haben die Freunde eine Obszönität zum Gegenstand ihrer Gemeinsamkeit - in Wahrheit ist Krieg selbst der schlimmste Terror.

"Nachfolgende Generationen werden unsere Zivilisation für die gewalttätigste der Weltgeschichte halten!", brachte es ein amerikanischer Friedensaktivist auf den Punkt. Die unverbrüchlichen Freunde entpuppen sich als Charaktermasken der gefühllosen Kapitalakkumulation, mit der Bereitschaft, jede historische Erfahrung und jedes Menschenrecht auf dem Altar des Profits zu schreddern.

Hoffnung neben dem Horror

Nach den demokratischen Revolutionen gegen die stalinistischen Regimes des Ostblocks riefen die Apologeten des westlichen Kapitalismus das "Ende der Geschichte" aus. Ein Jahrzehnt später scheint die Weltgesellschaft hinter ihren Ausgangspunkt zurückgetreten zu sein. In Wirklichkeit aber ist sie dabei, sich den revolutionären Ausgangspunkt zu schaffen, die Situation, die Verhältnisse, die Bedingungen unter denen allein die moderne Revolution denkbar wird. Die religiöse Rechten hinter Bush und ihre globalen Freunde mögen sich ihre apokalyptischen Visionen aus den Mythen des Zweiten Weltkrieges und dem Alten Testament zusammenklauben. Die soziale Revolution des 21. Jahrhunderts kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Wenn auch nicht aus freien Stücken, sondern unter vorgefundenen Bedingungen: Die Menschen machen ihre Geschichte selbst.

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