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Neben unserer Lust am Philosophieren verband uns die Neigung zur Komik. Von Scherbarths Schülerin Silke Kruse gibt es ein 1990 entstandenes Ölgemälde »Günter radiert am Ring«. Die dürren Beine übergeschlagen, hockt er auf einem Schemel. Seine kralligen Hände halten die Zinkplatte und die Kaltnadel. Die lächerliche Jacke wird von einem Knopf zusammengehalten, der uns ins Gesicht zu springen droht. Alles beherrschend der kantige Schädel mit dem Bürstenschnitt. Der verstülpten Lippen ergeben einen langen Strich. Lotrecht dazu finsteres Gewölk über der Nasenwurzel. Die eulenartigen Augen senden die Frage an uns aus: Sind etwa Sie die Krone der Schöpfung? Es lag ihm gleich fern, den Menschen zu verherrlichen wie ihn zu denunzieren. Er zeigte ihn in seiner Fehlbarkeit, die uns zum Lachen bringen kann. Wahrscheinlich ist ihm das nie besser gelungen als in dem Zyklus über Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen«, auf den sich Kruses Portrait bezieht. Ich habe die Ehre, in diesem umfangreichen Werk in tausenderlei Gestalt vertreten zu sein; Scherbarth schreckte auch nicht davor zurück, einen verwachsenen, klobigen Alberich aus mir zu machen, der unschuldigen Rheintöchtern nachstellt. Er hatte den Zyklus auf 120 Blätter veranschlagt und konnte ihn nahezu vollenden. Da ihm das Verschwommene nicht lag, zog Scherbarth die Licht- und Schwarzalben, Helden und Walküren aus den dräuenden Nebeln und betörenden Geständnissen, die sie verbreiten - und er zog sie aus. Aber er stellte sie nicht bloß. Denn wir alle verbrämen auf vielfältige Weise die eine uns auferlegte Vergänglichkeit. Mit Genugtuung war er in einem Brief Wagners auf die Bemerkung gestoßen, am liebsten würde er die Sängerdarsteller des »Ringes« nackt auf die Bühne bringen. Ich konnte ihn dann mit einem Wagner-Zitat zum »Parsifal« erfreuen, das ich in Martin Gregor-Dellins Wagner-Biographie gefunden hatte: »Ach! Es graut mir vor allem Kostüm und Schminke-Wesen; wenn ich daran denke, daß diese Gestalten wie Kundry nun sollen gemummt werden, fallen mir gleich die ekelhaften Künstlerfeste ein, und nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!« Scherbarth war von der globalen Jagd nach Macht und Geld, Ruhm und Unsterblichkeit fasziniert, die uns Wagner in seinem langatmigen und tautologischen Rührstück vorführt, dessen Dramatik in der Musik steckt. Die Helden und Unholde, die sich dort stabreimend in die Brust werfen, wären in der Tat besser in den Orchestergraben gefallen. Scherbarth zeigt in seinen Blättern nur das Wesentliche. Auftrumpfen hilft nicht! Das ist seine Botschaft. Denn früher oder später müssen alle ins Gras beißen. Als sich Scherbarth im Sommer 1983 erstmals näher mit der großangelegten Ränkeschmiede befaßte, die Wagner im Dunstkreis altgermanischer Sagen angesiedelt hat, war ihm gerade eine neue Niere eingepflanzt worden. Dadurch waren ihm noch 17 Jahre in relativ großer Bewegungsfreiheit beschieden. Aber er mußte sich ständig zeit- und kräfteraubenden Kontrollen in der Klinik unterziehen und Medikamente nehmen, die andere Organe schädigten. Scherbarth zuckte die Achseln: »Der Mensch weiß hier mal wieder weniger, als er tut.« Eines Morgens, kurz bevor er am Darm operiert werden sollte, wachte er nicht mehr auf; seine Frau Eva - sie hat sich mit Bilderbüchern einen Namen gemacht - fand den 70jährigen tot im Bett. Scherbarths letzte, am Vortag vollendete »Ring«-Radierung wurde später von Silke Kruse geätzt und gedruckt. Das Blatt zeigt, wie sie schreibt, »den toten Siegfried und den toten Gunther, beweint von Brünhilde und Gutrune. Er hat, wenn es ihm auch kaum bewußt gewesen sein dürfte, seinen eigenen Tod gezeichnet, denn in der gleichen Haltung wie die beiden Protagonisten wurde er gefunden.« Im vergangenen Winter gelang es Kruse, F.W. Bernstein für eine Musterung des Scherbarthschen »Ringes« zu gewinnen. Bis vor kurzem hatte Bernstein in Berlin Deutschlands einzigen Lehrstuhl für Karikatur und Bildgeschichte inne; er gehörte dem selben Kollegium wie Scherbarth an, ohne von ihm zu wissen. Dieser Tage erscheint im Alexander Fest Verlag Bernsteins jüngstes Buch: »Richard Wagners Fahrt ins Glück. Sein Leben in Bildern und Versen«. Bernstein zeigte sich von Scherbarths Zugriff und seinem langen Atem beeindruckt. Und sagte: »Wagner hatte, soweit es den >Ring< betrifft, stets Pech mit seinen Kostümbildnern und Bühnenausstattern, worüber er sich immer wieder grämte. Mit Günter Scherbarth hätte er diesen Ärger nicht gehabt.«
Erschienen in Ossietzky 11/2002 |
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