Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Jede Menge Klitschkuchenvon Anne Dessau »Splendour« oder »Palast«, wie das Stück in der deutschen Übersetzung des Rowohlt Theater Verlages heißt, erstaufgeführt in der Schaubühne am Lehniner Platz, außerhalb des Stammhauses, im »studio«. Die Zuschauer werden eingesammelt und auf »los« dem Ereignis zugeführt. Schon das fand ich doof. Ich wünsche nicht, schafsmäßig behandelt zu werden, auch nicht, wenn ich ins Theater gehe. Man sitzt hochgestapelt, schaut auf die Spielfläche. Fußballfeld, Tennisplatz, Sonstawas und wartet. Inmitten des erdbeschütteten Runds (Bühnenbild und Kostüme: Maria-Alice Bahra) ein metallisch glänzendes Kesselhaus, Gasometer oder futuristisches Penthouse, umspült von Akustischem. Bajuwarisches Kuhglockengeläut oder Glasharfe, getrampelt, gemischt mit Cheerleaderkreischen und/oder dem Kriegsgeschrei eines Indianerstammes, dazu fernes Donnern (Musik: Rainer Süßmilch). Lange Pantomimen, leichte Verkrampfungen signifikanter Haltungen der einzelnen Darstellerinnen (Cornelia Heyse, Linda Olsansky, Julika Kenkins, Cristin König) zwischen ständigen Blackouts. Nichts, was neugierig macht, herausfordert, Spannung erzeugt. Irgendwann öffnet sich die drehbare Blechbüchse, die Damen agieren, trinken permanent Chili-Wodka, reden aneinander vorbei. Die heutzutage üblichen Wiederholungen des Textes sind von der Autorin Abi Morgan bereits vorgeschrieben. Irgendeine Verstörung muß sich hinter den monologischen Dialogen verbergen. Demütigung, Frustration, zwischenmenschlicher Leerlauf vielleicht. Die Worthülsen klappern, der Raum dreht sich im Kreise wie die Figuren. Sinnlos. Ein Beben und Zittern liegt in der Luft, ein Klappern wie Eiswürfel im Wodka-Glas. Mehr nicht. Dabei geht es um ein Land, eine Stadt, Menschen, irgendwo auf der Welt. Bürgerkrieg tobt. Das Territorium ist in Nord und Süd (austauschbar Ost und West) geteilt. Die Szene spielt offenbar im »Palast« des Herrschers dieser Region. Er wird erwartet. Von seiner Gemahlin, einer Reporterin, einer Dolmetscherin und der Freundin des Hauses. Der Mann kommt nicht, das Unheil rückt akustisch näher. Deformierte Menschen in einem Kriegs- und Krisengebiet, jederzeit überall auf unserem Erdenball denkbar. Und trotzdem: Es geht mich nichts an. Die Erschütterung an diesem Abend leitet sich nicht vom szenischen Ereignis her, sondern daher, daß ich wieder einmal nicht weiß, wozu ich gebeten wurde. In dem offenen Raum mit seinen Beton-Wänden gelingen, trotz professioneller Betonungen und einer Sprecherzieherin (Sabine Haupt), die Töne nicht und schon gar nicht eine Botschaft. Die ersten Zuschauer verlassen das Studio, ihnen folgen bald weitere. Als dann die Beleuchtung auf der Szene zusammenbricht (Stimme aus dem Hintergrund: »'ne Sicherung ist durchgebrannt!«), nehmen noch mehr Besucher den Fluchtweg. Ich bin dabei. Das Stück ist spielbar, da stehen erfahrene Akteurinnen auf der Bühne, die Kostüme stimmen, es ist gearbeitet worden. Das sieht man. Aber. Es wird keine Position bezogen. Als wäre die wesentlichste Regieanweisung, sich rauszuhalten. Wir schauen nur mal so auf die Geschichte, auf die Figuren an sich. Ohne Standpunkt, Haltung, Meinung zu Zeitläufen und Weltgeschehen. Uninteressant. Womit soll sich der Zuschauer identifizieren? Auseinandersetzen? Streiten? Sich bereichern oder seine Meinung korrigieren, erweitern? Flop. Plup. Der Wodka ist schal. Der Chili nicht scharf. Man wird nicht einmal besoffen davon. * Zwei Tage darauf in den Sophiensälen. In der Tagespresse stand, daß es da einen »Lear« gibt, stringent, spartanisch, wunderbar. Und - leibhaftig! - mit Matthias Habich. Inszeniert hat Thorsten Lensing, der von sich reden macht seit einigen Monden. Also. Die Fabriketage ist ausgeräumt, der Zuschauer auch hier die Wand hochgetürmt, Arbeitslicht, leere Bühne, bis auf zwei überdimensionale, sonnengelbe, bewegliche Stoffrotunden, zwei Stühle. Ja, das sieht gut aus, hoffnungsfroh rutsche ich auf die Stuhlkante. Johannes Bauer, ruhmreicher Posaunist, schreitet dröhnend die Bühne ab, bläst das Jüngste Gericht herbei, erschreckt die Zuschauer, die seinen Sound nicht kennen. Ich genieße. Die Schauspielerinnen (Arndt, Korpiun, Lardi) zeigen sich, reihen sich auf. Stets frontal. Lear kommt dazu, bekränzt sich mit echtem Grün, ruft »Willkommen« ins Publikum und begrüßt nun die hundert Männer seines Gefolges. Einzeln. Mit Namen. Hundert Beispiele Schauspielkunst, Nuancen hundertfach. Er tut das launig, die Leute lachen. Das fängt gut an. Denkt man. Habichs Stimme kräht ein wenig im Diskant. Ein heiserer Countertenor, sozusagen. Lapidar teilt Lear sein Erbe auf, und weil er nix kapiert, meint, die jüngste Tochter liebe ihn nicht genug, kriegen die beiden älteren Mädel das Reich, je zur Hälfte. Cordelia wird verflucht und verstoßen, als schüttelte Lear sich Staub aus dem Gewand. So beiläufig, unaufgeregt. Alsbald setzt ein, was sich zur Unsäglichkeit steigert: Nach jeder Szene dreht jeweils eine andere Darstellerin oder ein anderer Darsteller diese gelben Duschvorhänge. Zwei Metallgestänge, behängt mit sonnigen Stoffstreifen, werden verschoben, ergeben so stetig erneuert überflüssige optische Zäsuren. Zudem dauert das Procedere, dauert und dauert. Johannes Bauer mit der Posaune schaut zu, und manchmal dreht auch er daran. Die Schauspieler bewegen sich statisch, es wird eher rezitiert als dramatisch agiert. Manchmal schreit Habich oder eine seiner Töchter, aber sie wirken wie Aufziehpuppen mit abgelaufenem Spielwerk, denn das aufwühlende, haarsträubende Geschehen des shakespearischen Dramas wird lediglich angedeutet. Es ist wie auf einer ersten Stellprobe. Der Text ist reduziert bis auf das Skelett. Emotionen, Weisheit, Philosophie - nichts davon ereignet sich. Intriganten und Tölpel stehen auf der Bühne, denen geschieht recht so, wie ihnen geschieht. So ist Anteilnahme ausgeschlossen. Wieder einmal geht mich nichts an, was auf der Szene verhandelt wird. Positionswechsel der Figuren wie auf dem Schachbrett oder getüftelt wie auf dem Reißbrett. Der Narr kratzt, krabbelt an sich herum. Alles unterspielt. Statt Wind, Sturm, Verzweiflung und beginnendem Wahnsinn bei Lear bläst Bauer Posaune. Habich wartet derweil mit seinem Monolog (sehr lange!), dann geht es weiter mit dem abgespeckten Text ins dürre Reich gedrosselter Einbildungskraft. Es fehlt die künstlerische Verwandlung einer erschütternden Geschichte, einer Tragödie, deren Wahrheitsgehalt Jahrhunderte überdauert hat: Altsein ist nichts für Feiglinge. Wieder einmal hatte der Regisseur gute Zutaten; der Teig, den er zusammengerührt hat, ist nicht aufgegangen. Manche mögen wohl Klitschkuchen mögen. Ich nicht. * Der leider unguten Dinge sind drei. Auf der Probebühne des Berliner Ensemble George Taboris neueste Arbeit als Autor und Regisseur: »Das Erdbeben-Concerto«. Ich mag das Chorsingen der Rezensenten nicht verstärken, die den hochverehrten, wundervollen Herrn Tabori immer wieder schonen wollen. Tabori hat uns ganz besondere Erkenntnisse ermöglicht. Er lehrte mit Weisheit, Güte und hohem Kunstverstand ein anderes, wesentlicheres Verständnis jüdischen Schicksals, als die Schulweisheit vermittelt. Wir haben es dankbar angenommen. Das alles ist unvergessen. Lese ich seinen Text »Concerto«, kann ich auch die Wurzeln ahnen, aus denen er gewachsen ist. Aber: Einem solchen Konglomerat von schwachem Sinn, Plattheiten, Geschmacklosigkeiten auch, beisitzen zu müssen, dilettantisch dargeboten, albern vorgetragen (von namhaften Protagonisten wie Boris Jacoba, David Bennent, Ursula Höpfner, Eleonore Zetzsche, Margarite Broich, Axel Werner), das macht abgrundtief traurig. Ich werfe das Handtuch. Auch hier. Weiß keine Worte mehr, um auszudrücken, was derzeit geschieht auf den Bühnen unserer Stadt Berlin. Ich bitte um Nachsicht, benötige dringend eine Pause. Liebe zu dieser wunderlichen Kunst Theater, Neugier auf das, was kommen muß nach so vielen Desastern, wird mich zurück in die Tempel treiben. Wünsche ich.
Erschienen in Ossietzky 11/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |