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In Schwedt an der Oder, wo gleich nach der Wende die meisten der zu DDR-Zeiten entstandenen Arbeitsplätze vernichtet wurden und inzwischen ein großer Teil der Einwohner abgewandert ist, kamen im vergangenen Jahr 1000 Wohnungen unter die Abrißbirne, in diesem Jahr sollen weitere 1000 in Schutt sinken. Und nachdem in der Berliner Mitte die als Treffpunkt beliebte, als Denkmal geschützte Fischerinsel und das erst in den achtziger Jahren errichte Palasthotel abgerissen sind, soll der Palast der Republik einem Hohenzollernschloß weichen - ein reaktionärer Irrsinn, der Milliardenbeträge kosten wird, während für die öffentliche Wohlfahrt das Geld ausgeht. Die Abwicklung des Realsozialismus nähert sich dem Ende. Doch just in diesem Moment finden mehr und mehr Menschen, die in der DDR gearbeitet haben, die Kraft, sich in der Öffentlichkeit selbstbewußt über das damals von ihnen Geschaffene und nun nicht mehr Bestehende zu äußern. Einer von ihnen ist Professor Kurt Franke, weit über die DDR hinaus bekannt und geachtet als der »Knie-Franke« - der als Unfallchirurg mit dem Arbeitsschwerpunkt Sportverletzungen auch an anderen Körperteilen erfolgreich operiert hat. In seinen Erinnerungen »Chirurg am linken Ufer der Panke« bilanziert er: »In meinen 30 Pankower Jahren haben wir über 1200 Kreuzbandrisse des Kniegelenkes operativ behandelt. Das war für die 70er/80er Jahre von der Quantität her international Spitze, und auch die Qualität der Ergebnisse war beachtenswert.« Fast 27 Jahre wirkte er als Chefarzt, bis er Mitte 1990 fristlos entlassen wurde - »ohne daß mir ärztliches oder juristisches Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte«. Später, bei einem Symposion zu seinen Ehren im Pankower Rathaus, entschuldigte sich der Bezirksbürgermeister bei ihm - immerhin. Franke spricht nicht nur von sich, sondern erzählt von vielen Kollegen, darunter Professorin Helmtraud Jonasch-Arzinger, die an der Universität Leipzig die Unfallchirurgie leitete. Sie gehört zu den mehr als 650 Hochschullehrern, die auf Weisung des Dresdner Wissenschaftsministers Meyer von den sächsischen Hochschulen vertrieben wurden. Franke erläutert: »Einer der Entlassungsgründe war für den Minister, daß Kollegin Arzinger zu DDR-Zeiten zuständig für Erziehung und Ausbildung an einer Hochschule gewesen ist. Daß Meyer selbst diese Funktion ausgeübt hatte, war offenkundig unerheblich«; Meyer hatte wie Franke an der Humboldt-Universität Berlin gelehrt, seit 1985 als Professor. Gerade die Ausbildung von Ärzten und anderem medizinischem Personal war eine besondere Stärke der DDR. Der ostdeutsche Staat mußte weit über den eigenen Bedarf hinaus für medizinischen Nachwuchs sorgen. Denn der westdeutsche Nachbar sparte an teuren Medizinstudienplätzen - immer zu Lasten der DDR, die übrigens schon 20 Jahre vor ihm die Facharztprüfung eingeführt hatte. In den 50er Jahren, so liest man bei Franke, wanderten Ärzte und Krankenschwestern in einem Ausmaß nach Westen ab, »daß ein normaler Arbeitsablauf oft nicht zu planen war«, etwa weil das Operationsteam nicht mehr vollzählig antrat, wie es am Vortag zusammengestellt worden war. »Jeder Weggang schwächte die DDR. Und stärkte, wenn es sich denn um einen Fachmann handelte, die ökonomische Basis der Bundesrepublik.« Die 1961 erbaute Mauer hemmte zeitweilig die Abwanderung, beendete sie jedoch nicht. Junge Fachärzte verließen die DDR oft gleich nach dem Studienabschluß und erhielten im Westen meist sofort eine Stelle mit mehrfach höherem Einkommen, als es ihnen in der DDR garantiert war; Fluchthilfeunternehmen profitierten davon. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik hörte die Ost-West-Wanderung der Ärzte nicht auf, sondern sie ging bis heute weiter. Weil die Einnahmen im Osten auf 86 Prozent der im Westen geltenden Sätze eingefroren sind, herrscht jetzt in weiten Gebieten des Ostens Ärztemangel - mit der Folge, daß Mediziner aus östlichen Nachbarländern nachrücken. Was Franke aus der Vorwendezeit schildert (Westdeutschland sparte damals Milliardenbeträge an der Ärzteausbildung) ist für ihn »ein bis heute typischer Vorgang in der Welt des Kapitals. Jeder vierte in Indien ausgebildete Arzt arbeitet in den USA.« So, beispielsweise, erklärt sich die Überlegenheit kolonialistischer - oder sollte man besser sagen: imperialistischer? - Staaten. GesellschaftspolitischeEinblickeöffnetder Sportmediziner Franke auch mit seinenvergleichendenDarstellungender Breitensportförderung und Gesundheitserziehung in beiden deutschen Staaten (»Das in der DDR bereits Erreichte blieb - aus Vorsatz oder Ignoranz - unbeachtet und wurde eliminiert.«) Ein anderes Beispiel: »Was in der Bundesrepublik von der Frauenbewegung auf den Satz gebracht wurde >Mein Bauch gehört mir<, war in der DDR Verfassungswirklichkeit. Frauen konnten eigenständig und selbstbewußt darüber entscheiden, ob sie Mutter werden wollten oder nicht. Durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes kehrten wir - nach einer schamhaften Übergangsfrist für die Ostfrauen - wieder zu einem längst überwundenen Zustand zurück.« Aber die Geburtenrate in Ostdeutschland ist deswegen nicht etwa gestiegen, sondern wegen der Verluste an sozialer Sicherheit (besonders der Frauen) rapide gesunken. Bei solchen Vorher-nachher-Vergleichen - zu erörtern wäre unter anderem die Auflösung poliklinischer Gemeinschaftspraxen mit ihren Vor- und Nachteilen - sollte allerdings nicht vergessen werden, daß seit der Wende viel Geld in die Ausstattung der ostdeutschen Krankenhäuser geflossen ist. Überwunden sind jedenfalls der Mangel an Medikamenten oder die unzulängliche Beschaffenheit solcher einfacher Gebrauchsgegenstände wie Gummihandschuhe, worüber Christa Wolf in ihrem neuen Buch »Leibhaftig« drastisch berichtet. Aber die zunehmende Privatisierung des Gesundheitswesens führt zur Zwei-Klassen-Medizin in Ost und West. Franke zitiert Ambroise Paré: »Ich bitte Sie auch, sich nicht des Lohnes wegen der Kranken anzunehmen noch sie im Stiche zu lassen, wenn sie arm sind und nicht zahlen können.« Er fügt hinzu, diese Worte eines der berühmtesten Chirurgen des Mittelalters fänden immer weniger Beachtung, »je stärker der soziale Beruf Medizin von der asozialen Marktwirtschaft dominiert wird«. Das sollte, wenn auch nicht ausdrücklich so formuliert, als eine dringend notwendige Warnung vor der unter Rot-Grün, aber wohl auch unter Schwarz-Gelb drohenden »Gesundheitsreform« verstanden werden. Übrigens: Franke hofft weiterhin auf eine »sozial verträgliche Gesellschaftsordnung, um die Gattung Homo sapiens erhalten zu können«. Kurt Franke: »Chirurg am linken Ufer der Panke. Erinnerungen eines Berliner Mediziners«, Verlag Das Neue Berlin, 238 Seiten, 14.90 Euro.
Erschienen in Ossietzky 11/2002 |
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