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Und wer mit der »Stasi« zu tun gehabt hat, der hat irgendwie an staatlich organisierter Grundrechtsverletzung mitgewirkt. Und wer sich darauf eingelassen hat, der muß nun die Folgen tragen. Da das ganz klar und allgemein bekannt ist, können Nichtbetroffene sich beruhigt zurücklehnen. Nach diesem Argumentationsmuster war zunächst jeder, der hauptamtlich in den Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gestanden hatte, sei es auch nur als Krankenschwester, Kindergärtnerin, Waschfrau oder Vertragsstudent, grundsätzlich ohne Chance, ein unbefristetes Berufsverbot abzuwehren. Und wenn einer durch eine Äußerung der Gauck-Behörde in Verdacht geriet, inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet zu haben, trug er von Stund an die Beweislast; im Kündigungsschutzverfahren mußte er die Vermutung widerlegen, daß er für den öffentlichen Dienst unzumutbar, für das Beamtenverhältnis untragbar sei - auf Lebenszeit. Aus meiner Tätigkeit als Anwalt in Sachsen kenne ich viele Beispiele nennen. Drei seien hier genannt. Einer Mandantin, die als Leiterin eines Kindergartens in einer Erzgebirgsgemeinde gearbeitet hatte, wurde aufgrund einer Auskunft der Gauck- (heute Birthler-) Behörde gekündigt. Die Auskunft bezog sich aber nicht einmal auf die Frau selbst, sondern auf die Schwiegermutter, übrigens eine anerkannte Verfolgte des Naziregimes, die der Staatssicherheit 1975 ein Zimmer ihres Hauses für konspirative Treffs zur Verfügung gestellt hatte. Weil auch meine Mandantin damals in dem Haus gewohnt hatte, mußte sie nach Ansicht der Behörde von diesen »Umtrieben« wissen und galt deshalb 1995 als nicht mehr zumutbar für den öffentlichen Dienst. Es dauerte immerhin drei Vierteljahre, bis der vor dem Arbeitsgericht Zwickau geführte Rechtsstreit zugunsten der Betroffenen ausging. Ein Musiker, der an einer kommunalen Musikschule Kinder im Fach Schlagzeug unterrichtete, erhielt 1999 vom Landkreis Meißen die außerordentliche Kündigung, d.h. er wurde fristlos entlassen, weil man in seiner DDR-Vita auf einen »Stasi«-Kontakt gestoßen war. Der Kontakt (wegen Sicherheit und Ordnung bei Veranstaltungen, an denen er mitwirkte) wurde auf sein Betreiben beendet, nachdem das MfS ihn als passiv beurteilt hatte. Nachdrückliche Appelle der Eltern, ihren Kindern diesen begabten Musiklehrer nicht wegen Lebenssachverhalten, die 15 Jahre zurückliegen und mit dem Lehrerberuf nichts zu tun hatten, zu nehmen, ließen den Landkreis und das Arbeitsgericht unbeeindruckt. Nach zweijährigem Rechtsstreit endete dieser vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht mit einem Vergleich. Nicht selten folgte auf die arbeits- und beamtenrechtliche Sanktion noch ein Strafverfahren wegen angeblichen Anstellungsbetrugs - so bei der Bürgermeisterin einer sächsischen Gemeinde. Sie war 1994 von den Gemeindebürgern gewählt worden, obwohl sie ihnen vor der Kandidatur mitgeteilt hatte, zu DDR-Zeiten habe sie dienstlich mit dem MfS in Kontakt gestanden. Das Landratsamt erklärte die Wahl im Nachhinein für ungültig, nachdem die Gauck-Behörde hatte wissen lassen, es liege eine IM-Belastung vor. Das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen bestätigten die Entfernung aus dem Wahlamt, wodurch die bewußte Wählerentscheidung aufgehoben wurde. Und 1995 leitete die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen sie ein Strafverfahren mit dem absurden Vorwurf ein, mit ihrer Kandidatur habe sie zu Unrecht vorgetäuscht, für die Berufung in ein kommunales Wahlbeamtenverhältnis geeignet zu sein. Es dauerte fünf Jahre, bis das Amtsgericht Döbeln im Frühjahr 2000 meine Mandantin freisprach. Der deutsche Einigungsvertrag sieht ein Sonderkündigungsrecht wegen Tätigkeit für das MfS vor. Wenn ich zu resümieren versuche, wie Behörden und Gerichte dieses Sonderkündigungsrecht gehandhabt haben, dann fallen mir als erstes solche Verstöße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot ein, wie ich sie hier schon exemplarisch genannt habe. Hinzu kommt die offensichtliche Willkür, durch die das MfS-Sonderkündigungsrecht in der Praxis geradezu desavouiert wird. Während sich die sächsische Staatsregierung einerseits mit besonders rigoroser DDR-Abwicklung hervortat, mußte sie andererseits bereits im Frühjahr 1994 in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion einräumen, daß im Bereich des Innenministeriums, also im Kern der Staatsverwaltung, 161 Bedienstete, davon 119 Beamte auf Probe, übernommen wurden, die zu Zeiten der DDR hauptamtlich beim MfS beschäftigt gewesen waren. Das Ministerium übernahm außerdem 328 Personen, die als inoffizielle Mitarbeiter (IM) dem Ministerium für Staatssicherheit zugearbeitet hatten. Wenn Anwälte in Kündigungsschutzverfahren für entlassene Lehrer auf diese Praxis des Innenministeriums hinwiesen und Gleichbehandlung einforderten, bekamen sie nicht selten den Richterspruch zu hören: »Es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.« Verläßliche Schätzungen sprechen von etwa einer Million ehemaliger Staatsbediensteter der DDR, die über Warteschleife, Abwicklung und Kündigung aus dem öffentlichen Dienst »ausgeschieden« wurden. Diese Massenvernichtung beruflicher Existenzen wäre kaum möglich gewesen ohne eine Begleitpropaganda, die den Eindruck erweckte, der öffentliche Dienst müsse von - durchweg als Verbrecher dargestellten und schließlich gar nicht mehr anders vorstellbaren - ehemaligen »Stasi«-Mitarbeitern »gesäubert« werden. Doch in der Mehrzahl der Fälle bestand, soweit ich sehe, nicht der geringste »Stasi«-Verdacht. Zum Verhängnis wurden den Betroffenen ganz andere Sonderkündigungsbestimmungen des Einigungsvertrages. Früheren Staatsbediensteten der DDR wurde unterstellt, sie müßten, wenn sie bestimmte Funktionen innegehabt hatten, »besonders loyal« zur DDR eingestellt gewesen sein; also könnten sie in der BRD nicht hinreichend verfassungstreu sein, also ermangele es ihnen an »persönlicher Eignung«, also sei ihre Entlassung geboten. Zur Bewertung der persönlichen Eignung wurden damit just jene Kriterien herangezogen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem berüchtigten »Radikalenbeschluß« vom 22. Mai 1975 entwickelt hatte, in der schlimmsten Zeit der Berufsverbote West. Im sächsischen Landtag brachte kurz nach der Wende, am 16. Mai 1991, ein »Sonderausschuß« zum Thema »Amts- und Machtmißbrauch während der SED-Herrschaft« die Beschlußempfehlung ein, »daß im öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen keine Personen angestellt sein dürfen, die dem alten SED-Regime gedient haben; sie sind als ungeeignet abzulehnen. Dies ist der Wählerwille und ein Signal an die Regierung, ihn zu respektieren.« Benannt wurden 55 Berufs- und Funktionsgruppen aus der DDR, deren Angehörigen die Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik generell verboten sein sollte. Darunter befanden sich solche Kategorien wie »Leiter von Altenheimen und medizinischen Einrichtungen«, »Ärztliche Direktoren«, »Botschaftspersonal und Personal anderer diplomatischer Vertretungen und Handelsvertretungen«, SED-Mitglieder in den DDR-Volksvertretungen aller Ebenen, hauptamtliche Kulturfunktionäre, hauptamtliche Sportfunktionäre ... Im Landtag wurde der Antrag in einem letzten Anflug von Angst vor der eigenen Verwegenheit kurz vor der Abstimmung noch zurückgezogen, doch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf verbreitete dann die Liste auf dem Verwaltungswege als Anhalt für die Prüfung der Nichteignungsvermutung bei Einstellungen bzw. Kündigungen im öffentlichen Dienst. Noch heute enthält das Sächsische Beamtengesetz eine Regelung, die blank auf innegehabte Funktionen in Partei- und Massenorganisationen, staatlichen oder gemeindlichen Dienststellen, Betrieben u.ä. der DDR abstellt und besagt, bei ehemaligen Mitarbeitern in derartigen Funktionen werde »vermutet, daß sie die für die Berufung in das Beamtenverhältnis erforderliche Eignung nicht besitzen. Diese Vermutung kann widerlegt werden.« Und noch immer gilt die von Biedenkopf herausgegebene Verwaltungsvorschrift »Zur Prüfung der persönlichen Eignung im Beamtenverhältnis« vom 14. Dezember 1994, die auf vier Seiten mit sechs Anlagen normiert, inwieweit das Innegehabt- oder Ausgeübthaben von Funktionen in der DDR Kriterium für den Ausschluß vom öffentlichen Dienst ist. Am 26. Januar 2002 erklärte der frühere nordrhein-westfälische Justizminister Diether Posser (SPD) in einem Interview der Deutschen Presseagentur aus Anlaß des 30. Jahrestages des »Radikalenerlasses«: »Er war ein verfassungswidriger Mißgriff. Die Folgen waren verheerend ... Das damals viel benutzte Wort von der Berufsverbotspraxis ist absolut berechtigt. Das war damals der allgemeine Zeitgeist, es herrschte eine antikommunistische Hysterie.« Abschließend sagte er, in der heutigen Zeit halte er eine ähnliche Praxis für absolut ausgeschlossen: »So etwas wäre nicht mehr durchsetzbar«. Posser irrt. Der unter maßgeblicher Mitwirkung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt beschlossene, vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Radikalenerlaß, der in den alten Bundesländern nach und nach außer Kraft gesetzt und 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt wurde, kam in den neunziger Jahren zu neuer Wirkung: in Ostdeutschland. In einer Zeit tiefgreifender beschäftigungspolitischer Umbrüche bedeutete der Ausschluß aus dem öffentlichen Dienst regelmäßig den perspektivlosen Verlust der beruflichen Existenz, den Abbruch sozialer Kommunikation und weitgehende Isolation in einer von Stigmatisierung, Verunsicherung und Entsolidarisierung geprägten Umwelt. Und die staatliche Einschüchterungspolitik setzte sich fort, als nach dem 11. September 2001 drei sächsische Lehrerinnen wegen nonkonformistischer Äußerungen vom Dienst suspendiert oder versetzt wurden.
Erschienen in Ossietzky 11/2002 |
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