Wer sitzt wo im Kabarett?

von Lothar Kusche

Von Bedeutung scheint zu sein, wo in der Premiere die Kritiker sitzen. Hanno Harnisch (Neues Deutschland) habe ich während der "Bombenstimmung" in der Berliner "Distel" nicht gesehen, obwohl der schon wegen seiner Körper-Höhe gar nicht zu übersehen ist. Also vor mir saß er nicht. Er erzählte seinen Lesern, Dagmar Jaeger habe "manchmal ein bißchen so gewirkt, als spiele sie für den dritten Rang, obwohl ich nur einen ausmachen konnte". Eine Frage der Fantasie. Hanno Harnisch, würden Sie bitte denjenigen Rang, welchen Sie ausmachen konnten, wieder anmachen?

Birgit Walter (Berliner Zeitung) eröffnet ihren Bericht mit folgendem Präludium: "In der Distel sieht man auch von billigen Plätzen recht ordentlich, aber sitzt ein Rezensent in der allerletzten Reihe wirklich gut, wo er die mimische Kunst der Darsteller nur noch erraten kann? Die Distel teilt dazu freundlich eine ganz einfache Erklärung aus: Wir dachten, es fällt dann nicht so auf, wenn Sie früher gehen. Huch, nur weil mal ein Programm als vollkommen lahm enttarnt wurde in einer doch aufregenden Zeit (im vergangenen September), rechnet das Haus gleich mit Aufkündigung der Beziehungen?" Diese komplizierte Frage kann ich nur mit einem Birgit-Walter-Zitat beantworten: Huch. Die Referentin in der allerletzten Reihe mit den billigen Plätzen konnte indes weder die "mimische Kunst der Darsteller erraten" noch ihre Namen. So nannte sie denn keinen der drei Kabarettisten auf der Bühne, keinen der Kabarett-Musiker daneben und natürlich (außer dem Regisseur und künstlerischen Leiter Peter Ensikat) keinen der Autoren. Man kann ja mal den Programmzettel verlieren und hat keinen Kopf wie ein Telefonbuch.

Wichtiger noch als die Plazierung der Pressemenschen scheint mir zu sein, wo im Kabarett der Feuerwehrmann sitzt. Vor fast 50 Jahren fragte mich der Distel-Gründer und -Direktor Erich Brehm (1910-1966), ob er mich engagieren solle. - Als was? - Als Dramaturg. - "Auf keinen Fall", sagte ich, "wohl aber als Feuerwehrmann." - Da hast du doch keine Ausbildung. - Als Dramaturg hatte ich auch keine Ausbildung, was aber nicht auffällt, weil ein Dramaturg naturgemäß unauffällig ist. Leipzigs großer Sohn Hans Reimann veröffentlichte mal einen Kurzbrief an die Liebe Weltbühne! Als ich nach Beendigung des Weltkriegs stellungslos durch die Straßen der Stadt Leipzig irrte, lief ich dem Direktor des Schauspielhauses in die Arme, Herrn Fritz Viehweg, und fragte ihn, ob ich nicht Dramaturg bei ihm werden könne. Und Viehweg antwortete: "Meinswääjn. Mich schtören Se nich." (Wb. 11.11.1920). Auch ein Feuerwehrmann stört nicht, aber er fällt auf. In der "Distel" kam er damals eine Minute vor Beginn der Vorstellung durch das Türchen rechts der Bühne, setzte sich ganz vorne hin und seine Feuerwehrmannsmütze auf. Er behielt sie die ganze Zeit auf dem Kopf und verhinderte allein dadurch jeden Ausbruch von Feuer. Oder hat es dort schon mal gebrannt? Na also. Übrigens wurde mein Vorschlag nicht verwirklicht, weil Brehm sich nicht traute, denn er unterstand dem Magistrat von Berlin, Amtsbereich Kultur und Feuerwehr, und die verstanden keinen Spaß, jedenfalls nicht wenn es um Dienstmützen ging.

Die Wichtigsten, die im Kabarett an den richtigen Stellen sitzen müssen, sind die Pointen. Und Inge Ristock, Peter Ensikat, Christian Ehring, Dietmar Jacobs, Martin Maier-Bode und Tobias Mindner sind für "Bombenstimmung" allerhand Pointen eingefallen (wenn sie auch nicht immer so knallig sind, wie Kritiker Harnisch sie sich wünschte). Dank der ungewöhnlich konzentrierten Bühnen-Akteure Dagmar Jaeger, Stefan Martin Müller und Michael Nitzel prickelt es in jeder Minute wie nach einem wohltemperierten Duschbad. Einfach grandios die "Duo-Big-Band" (eine treffliche Formulierung der Dresdner "Herkuleskeule"), bestehend aus dem absolut erstklassig musizierenden und begleitenden (was bekanntlich nicht unbedingt dasselbe ist) Komponisten Bernd Wefelmeyer und seinem vielseitigen Kollegen Matthias Lauschus. Da sitzt jeder Ton.

Erschienen in Ossietzky 10/2002