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"El caso Pinochet" von Patricio Guzmán, der die bis heute nicht positiv beantwortete Frage nach Gerechtigkeit stellt, oder "Through the Wire" von Tina Rosenbaum, eine erbitterte Anklage gegen Haftbedingungen für Frauen in US-amerikanischer Hochsicherheitshaft, oder "Un mondo diverso è possibile", worin 35 Regisseure aus Italien von Globalisierungsgegnern erzählen, die den G 8 in Genua die Stirn boten. Ein Spitzenbeitrag war der einzige aus Spanien: "Los nios de Rusia" von Jaime Canino über Kinder spanisch-republikanischer Kämpfer, die während des Bürgerkriegs in die UdSSR geschickt worden waren. Zwiespältig dagegen "Im toten Winkel" von André Heller und Otto Schmiderer über Traudl Junge, Hitlers Sekretärin von 1942 bis 1945, die von allem nichts gewußt haben will. Sonderbar! Hat also auch der Führer von allem nichts gewußt? Denunziatorisch zeigt "Broadway - Black sea" von Vitali Manskij in einem Strand- und Völkergewimmel alter Leute aus der UdSSR nur Gescheiterte. Vom militärischen Ruhm der UdSSR erzählt Johannes Holzhausen am Beispiel des Flugzeugträgers "Kiew", seit 1994 außer Dienst, inzwischen in China zum Verschrotten. Keine Träne sei ihm nachgeweint - auch nicht dem Los Alamos Laboratory, Baustelle der ersten Atombombe ("Los Alamos und die Erben der Bombe" von Claus Biegert); die gesamte Umgebung ist atomvermüllt und verstrahlt. Nahost und Israel standen wiederholt im Blickpunkt. In "Asurot" ("Eingeschlossen") von Anat Even und Ada Ushpiz und in "The Settlers" von Ruth Walk filmen israelische Regisseurinnen Frauengruppen oder Familien in Grenzgebieten: einmal palästinensische Frauen, alleinstehende mit Kindern am Grenzstreifen in Hebron, und ihre Begegnungen mit israelischen Soldaten auf dem Dach ihres Hauses, das andere Mal jüdische Familien im heiß umstrittenen Siedlungsbereich. Da werden die Konflikte unmittelbar sichtbar, Kritik an der eigenen Seite wird so deutlich wie Mitempfinden menschlichen Leides. Aus ähnlichem Geist "Aufbruch und Abschied - Drei Frauen in Albanien" von Juliane Schuhler. Großmutter, Mutter, Enkelin und ihre Lebenswege - ein Stück albanischer Geschichte von etwa 1930 an, die nicht diffamiert wird. Von rührender Traurigkeit "Die Liebenden von San Fernando" von Peter Torbiörnsson. Hier steht das fast vergessene Nicaragua auf, eines der ärmsten Ländern der Erde nach vernichteter Revolution. Die Menschen kämpfen ums tägliche Überleben, zu sehen an einem Paar, dessen Liebe fast zugrunde geht, das dennoch weiterstrebt, seinen Träumen nach; besonders die Frau zeigt Stärke. Fast immer sind Frauen die Urheber solcher Filme, die den Glauben an Überleben, Leben und Menschlichkeit als Botschaft über die Leinwand ans Publikum richten. Wie überhaupt Frauen die Mehrheit der Gestalter dieses Festivals bildeten. Genannt sei auch Ute Wagner-Oswald, die einer heutigen Zivilisationskrankheit nachgeht, der Bulimie, und eine Frauengruppe zeigt, die nach Auswegen sucht, zum Teil mit Erfolg ("Wenn die Seele nicht satt wird"). Während das Theater seit langem mit sich selbst beschäftigt ist, Belanglosigkeiten hervorbringt, in Müll und Blut wühlt, Unterleib und Unterwelt für Welt hält, greift der Film die wichtigen Lebensfragen auf, vor allem der Dokumentarfilm. Er macht sogar das Theater besser. Dies geschieht in "Phönix aus der Asche" von Simone Fürbringer über Theater mit autistischen Kindern, was mich an das Berliner RambaZamba erinnert, in "Ecce Homo" von Miriam Kubescha über den italienischen Theatermacher Pippo Delbono oder in "Alles ist Fälschung - Roberto de Simone" von René Pandis über ein Theatergenie und die Nuovo Compagnia di Canto Popolare aus Neapel. Auch das Portrait eines anderen Theatermachers bereitete Freude: "Herberts Hellas - Achternbusch trifft Apollon" von Andreas Ströhl. Ein Glück, daß Achternbuschs kauzig-bayerische Sätze englisch untertitelt waren, ich verstand sie besser. Musik hörten und sahen wir aus verschiedenen Ländern: aus Mali die Stimme und Gitarre von Boubacar Traoré, Erfinder des African Blues, in "Je chanterai pour toi" von Jacques Sarazin, aus den USA "Chico Hamilton" von Julian Benedikt über einen Drummer und Experimentator aus der Zeit von Mingus/Gordon/Basie/Ellington/Mulligan, den es noch immer mit Musik umtreibt, und aus dem "Tropical" in Havanna, wohin man geht, wenn man richtige Rumba und Salsa hören will. David Turnley aus den USA hat genau hingehört und geschaut, Atmosphäre und Rhythmus stimmen. Nicht so in "Berlin - Symphonie einer Großstadt" von Thomas Schadt (Musik von Helmut Oehring und Iris ter Schip horst) nach dem Vorbild des ähnlich betitelten Berlin-Films von Walther Ruttmann von 1927. Da stimmt gar nichts. Unter schnell wechselnden Aufnahmen dröhnt eine eklektische, sich sinfonisch gebende, fast nur laute Musik; Berlin ist nur äußerlich zu erkennen. Ähnlich ging es mir mit "Bellaria - so lange wir leben". Die Idee erscheint zunächst originell: In einem Wiener Programmkino treffen sich zu alten Filmen meist alte Leute, sie sehen immer dieselben Filme. Es sind Wiener Kasmader, es sind NS-Filme mit Nazi-Stars, schwer zu ertragen. Den Menschentyp trifft man in jedem mittleren Café jedes Wiener Hiebs, aber in solcher Häufung ist er entsetzlich. Und mit solchen Gesinnungen. Meinte der Urheber, diese Figuren würden sich selbst demontieren? Das mißlang. Der Kasmader bleibt.
Erschienen in Ossietzky 10/2002 |
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