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Mit § 129b werden die Organisationsstrafnormen § 129 (Kriminelle Vereinigung) und § 129a StGB (Terroristische Vereinigung) auf Gruppierungen im Ausland ausgedehnt. Anders als bisher können damit mutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen "terroristischen" Organisation hierzulande auch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Vereinigung nur im Ausland agiert und wenn die Beschuldigten selbst keine strafbaren Handlungen in der Bundesrepublik begangen haben. Ist die inkriminierte Vereinigung außerhalb der Europäischen Union (EU) organisiert und tätig, so gelten besondere Einschränkungen: Die ihr zugerechnete Tat muß entweder durch eine auf bundesdeutschem Gebiet ausgeübte Tätigkeit begangen sein oder aber der Täter oder das Opfer müssen Deutsche sein oder sich im Inland aufhalten. Noch eine weitere Voraussetzung muß für die Strafverfolgung erfüllt sein - und das ist ein Novum in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte: Die Tat wird nur "mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt". Diese Ermächtigung kann entweder für den Einzelfall oder allgemein für die "Verfolgung künftiger Taten" erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung außerhalb der EU beziehen - sprich: die ihr zugetraut werden. Bei seiner Entscheidung zieht das Ministerium "in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen" - so der Gesetzeswortlaut. Mit diesem Ermächtigungsvorbehalt erhält die Bundesregierung entscheidenden politischen Einfluß auf die Strafverfolgung und damit auf die Gerichtsbarkeit - was sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung als auch wegen des geltenden Legalitäts prinzips rechtsstaatlich höchst bedenklich ist. Das Bundesjustizministerium wird zum Herren über politische Bewegungen und deren strafrechtliche Verfolgung gemacht. Ein weiterer Schritt der Bundesrepublik auf ihrem Weg zum Weltpolizisten? Die zitierten Entscheidungs- und Abwägungskriterien sind wenig präzise, um nicht zu sagen schwammig. Potentiell Betroffene können aus dem Gesetzestext kaum erkennen, welches Verhalten nun strafbar ist und welches nicht, gerade weil der Strafverfolgung eine exekutive Ermächtigung vorgeschaltet ist. Diese mangelnde Vorhersehbarkeit ist mit dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der Normenklarheit nicht vereinbar. Was als Strafverfolgungshürde geplant war, wird so zum unkalkulierbaren Risiko. Auf die deutschen Botschaften, den Bundesnachrichtendienst und die Bundesanwaltschaft wird allerhand Arbeit zukommen, wenn sie die zahlreichen verdächtigen Vereinigungen in aller Welt einschätzen sollen: Handelt es sich um eine terroristische Vereinigung oder um legitime Formen des Widerstands gegen Diktaturen oder um eine Befreiungsbewegung? In letzter Instanz hat diese Entscheidung das Bundesjustizministerium zu treffen. Ein schwieriges Unterfangen, schließlich ist der Terrorist des einen der Freiheitskämpfer des anderen und umgekehrt - was sich im übrigen schnell ändern kann, wie die wechselnden Einschätzungen der kosovarischen UCK oder der Taliban-Gegner in der afghanischen Nordallianz zeigen. Die Strafverfolgung hängt künftig also von (außen)politischen, militärischen und wirtschaftlichen Opportunitätsaspekten und Interessen ab. Und damit auch von der politischen Ausrichtung der jeweiligen Bundesregierung. Auf diese Weise können internationale Kontakte und politische Debatten mit ausländischen Vereinigungen, etwa der palästinensischen PLO, leicht zum strafrechtlichen Risiko geraten. Historisches Beispiel: Nelson Mandelas ANC wurde zu Zeiten des südafrikanischen Apartheidsystems als terroristische Organisation eingestuft. Wäre Mandela nicht in südafrikanischen Gefängnissen festgehalten worden, sondern hätte in die Bundesrepublik flüchten können, so hätte er nach §129b - je nach politischer Einschätzung des seinerzeit gewaltbereiten ANC - festgenommen und vor einem hiesigen Gericht zur Verantwortung gezogen werden können. Und wäre womöglich in einem bundesdeutschen Knast gelandet. Jedes autoritäre Regime kann künftig die Bundesregierung bedrängen, eine ihm lästige Oppositionsgruppe auf die schwarze Liste zu setzen und ihre mutmaßlichen Mitglieder und Unterstützer auch in der Bundesrepublik zu verfolgen. Da mit § 129b - genauso wie mit den Organisationsnormen 129 und 129a - Sonderermittlungsbefugnisse von Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdiensten aktiviert werden können, wird sich die neue Strafnorm ebenfalls zu einem Ausforschungsparagraphen entwickeln. Schon das bisherige "Anti-Terror"-Sonderrechtssystem hat zu großflächiger Ausforschung politischer Gruppen, Szenen und ganzer Bewegungen geführt. Wo bleibt das Positive? Hier: Gleichzeitig mit der Einfügung des § 129b wurden auf Drängen des grünen Regierungsparts die §§ 129 und 129a StGB entschärft. Während die Mitgliedschaft in einer inkriminierten Vereinigung sowie deren Unterstützung strafbar bleiben, ist das bloße Werben nun kein Straftatbestand mehr, wenn es sich um reine Sympathiewerbung für die Vereinigung oder deren Ziele handelt. So wird das Verteilen von Flugblättern, Kleben von Plakaten oder Dokumentieren inkriminierter Texte nicht mehr gleich zum terroristischen Delikt - wie früher etwa das an eine U-Bahn gesprühte Georg-Büchner-Zitat "Krieg den Palästen" und ein fünfzackiger Stern, die einer Münchner Arzthelferin wegen Werbens für die Rote Armee Fraktion zwölf Monate Gefängnis ohne Bewährung eingetragen hatten. Künftig ist nur noch das Werben "um Mitglieder oder Unterstützer" strafbar. Das geht zwar über das gezielte "Anwerben" neuer Mitglieder hinaus, aber die Zensurwirkung dieser Organisationsnormen wird erheblich eingeschränkt, das Gesinnungsstrafrecht insoweit entschärft. Auf europäischer Ebene wurde bereits Ende September 2001 in Windeseile eine einheitliche Terrorismus-Definition der EU ausgearbeitet, die es in sich hat: Danach soll jeder Mitgliedsstaat Maßnahmen ergreifen, um "absichtlich durch einen Einzelnen oder eine Gruppe gegen einen Staat, dessen Einrichtungen oder Bevölkerung begangene" Straftaten als "terroristische Taten" zu ahnden. Voraussetzung ist, daß solche Taten mit der Absicht begangen worden sind, die "politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen" zu bedrohen und "stark zu beeinträchtigen oder zu zerstören". Neben Mord, Entführung oder Erpressung soll dazu schon die widerrechtliche Inbesitznahme oder Beschädigung öffentlicher Einrichtungen, Transportmittel, Infrastrukturen und öffentlichen Eigentums ausreichen; ferner die Beeinträchtigung, Verhinderung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Elektrizität oder anderen wichtigen Ressourcen oder "Angriffe durch Verwendung eines Informationssystems" oder auch nur die Drohung mit einer dieser Straftaten. Diese Terrorismusdefinition, die der nationalen Gesetzgebung als gemeinsame Grundlage dienen soll, ist so weit gefaßt, befürchtet die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch, daß darunter etwa militante Straßenproteste wie im vorigen Jahr in Genua fallen könnten oder selbst Formen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden vor Atomkraftwerken, Besetzung von Ölplattformen oder politische Streiks in Versorgungsbetrieben... Einige europäische Staaten und Menschenrechtsorganisationen protestierten gegen diese weite Definition. Daraufhin wurde aber nicht die flexible Terror-Definition geändert, sondern ein Passus in die Präambel aufgenommen, der einem frommen Wunsch entspringen dürfte. Dort heißt es nun beschwichtigend, daß die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bei der Anwendung der Terrorismusdefinition nicht geschmälert oder behindert werden dürfe. Inzwischen hat die EU eine aktualisierte Liste mit "Terrororganisationen" zusammengestellt. Unter anderen wurden die baskische Untergrundorganisation ETA, die linksgerichtete türkische DHKP-C sowie die kurdische PKK aufgenommen - und damit ausgerechnet eine Organisation, die bereits 1999 einseitig die kriegerischen Auseinandersetzungen und den bewaffneten Kampf in der Türkei für beendet erklärt hat, um eine politische Lösung der kurdischen Frage zu ermöglichen. Erst kürzlich hat die PKK die Einstellung ihrer Arbeit beschlossen. Dessen ungeachtet hat die EU die PKK auf die "Terrorliste" gesetzt. Damit droht kurdischen und als PKK-nah eingestuften Einrichtungen in Europa die Schließung, kurdischen Vereinen eine neue Welle der Repression.Die EU scheint mit der Aufnahme der PKK in die Terrorliste dem Drängen des EU-Kandidaten Türkei nachgegeben zu haben. Durch den Eintrag fühlt sich der türkische Staat nun legitimiert, erneut mit militärischen Operationen gegen Kurden und ihre Organisationen vorzugehen und so die zivile Lösung der Kurdenfrage zu torpedieren. Vor dieser Entwicklung hat kürzlich die Menschenrechtsorganisation Medico International in einem "Appell an die Vernunft" gewarnt, den zahlreiche international angesehene Persönlichkeiten unterstützen. Der Appell schließt mit den Worten: "Europa darf sich nicht zum Werkzeug türkischer Kurdenpolitik machen." Schon passiert. So kann die forcierte europäische "Anti-Terror"-Politik schnell in staatlichen (Gegen-)Terror ausarten.
Erschienen in Ossietzky 10/2002 |
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