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Sekundenlang zeigte dabei die Kamera, wie sich der im Vorwahlkampf befindliche Politiker zunächst mit scharfem Blick in die Runde überzeugte, daß auch wirklich alle Objektive auf ihn gerichtet waren, um erst danach mit schlagartig zu tiefer Betroffenheit wechselndem Mienenspiel das vorher eher lässig bereitgehaltene Requisit eines Blumengebindes telegen abzulegen. Mit ein wenig Phantasie konnte man sich dabei das Startkommando des Regisseurs aus dem Off vorstellen: "Äktschn!" - Decouvrierenderes habe ich selten erlebt. Offen bleibt letztlich nur, ob es der Gewitztheit oder der Nachlässigkeit der Redaktion zu danken ist, daß Schilys Auftrittsvorbereitungen nicht weggeschnitten wurden und die Zuschauer solcherart seine beachtlichen darstellerischen Fähigkeiten erleben konnten. Ähnlich eindrucksvolle Leistungen hatten zuvor nur die CDU-Tragöden (vulgo Ministerpräsidenten) in der Zuwanderungsdebatte des Bundesrats geboten. Hätten wir kein Wahljahr, wären vermutlich auch die Trauerfeierlichkeiten für die Opfer des Erfurter Massakers weniger pompös über die (im Wortsinne:) Bühne gegangen. Wie alle Theateraufführungen in Thüringen wurden "auf Bitten des Herrn Ministerpräsidenten" natürlich auch die Rudolstädter und Erfurter Vorstellungen meines politischen Anti-Gewalt-Programms "Krieg der Tröpfe" wg. Trauer abgesagt. Meine Frau und ich hatten auf diese Weise unverhofft zwei freie Abende, konnten uns allerdings dann nicht entscheiden, ob wir am "Tanz in den Mai" eines schräg gegenüber dem Theater gelegenen Etablissements teilnehmen oder das reichhaltige Filmangebot des Kinopalastes Cineplaza gleich nebenan wahrnehmen sollten. Man gab dort wahlweise den Sado-Thriller "Tattoo", das pseudohistorische Gewaltspektakel "The Scorpion King" und den Horrorstreifen "Die Mothman Prophezeiungen" (sic!). Weil das Opus "Knallharte Jungs" uns ebenfalls nicht zusagte, haben wir die Zeit dann notgedrungen im Hotelzimmer vor dem Fernseher verbracht. Das aus heiteren Schlagerpotpourris und leichtgeschürzten Komödien vergnüglich gestaltete Abendprogramm des regionalen MDR hat sicher anderen noch mehr Freude bereitet als uns. Als ich anderntags bei der Landesregierung anrief, um mich zu erkundigen, wann und wo ich wieder würde auftreten dürfen, konnte ich es mir nicht verkneifen, auf die spezielle Trauerarbeit von Film-, Fernseh- und Tanzveranstaltern hinzuweisen. Zwischen dieser und den schon sehr drängenden "Bitten" des Herrn Ministerpräsidenten um Theaterabstinenz schien mir eine gewisse Diskrepanz zu bestehen. "Das ist auch etwas anderes", wurde ich beschieden, "bei den erwähnten Betreibern handelt es sich doch um kommerzielle Unternehmen." Kommerz geht eben vor Trauer. Vor Kunst bekanntermaßen sowieso. Man hätte es wissen können: Auf unserer mehrtägigen Fahrt durch Thüringen hatten wir schließlich die Flaggen an und vor öffentlichen Gebäuden sämtlich auf Halbmast gesehen. Die bunten Firmenfahnen von Bosch, Aral und die der Baumärkte flatterten wie immer oben am Mast lustig im Frühlingswind. Zugegeben, ein wenig weit hergeholt ist dieses Bild. Aber treffend doch allemal. Man muß eben nur genau hinsehen. * Über die Ergebnisse der vielzitierten PISA-Studie sollte sich nicht groß wundern, wer das in deutschen Medien gepflegte sogenannte Deutsch betrachtet. Da wird in der Tagesschau "den Opfern gedacht" und bei heute "sich dem Aktienpaket entledigt", daß es eine Unlust ist. Anscheinend haben solche angeblich ausgebildeten Journalisten, wie ihre vermeintlich lichtvollen Formulierungen belegen, sich nur scheinbar mit ihrem Handwerkszeug, der Sprache beschäftigt. Zumindest vier der im vorstehenden Satz enthaltenen Vokabeln werfen sie nahezu regelmäßig durcheinander. Natürlich führt solch sprachliche Laxheit gesetzmäßig auch zu inhaltlichen Unschärfen. Seit Jahren schon sinne ich beispielsweise darüber nach, was der Peking-Korrespondent des Spiegel meinte, als er in einem Bericht über seine Schwierigkeiten mit der chinesischen Polizei schrieb: "Dann holte mich ein Auto von der Botschaft ab." Weil nähere Hinweise im Kontext fehlen, weiß ich bis heute nicht: Verließ er nun die Botschaft per Auto, oder hatte er zusätzlich noch Schwierigkeiten mit dem Genitiv? Wenn in einer Filmbesprechung desselben Blattes zu lesen stand, der Regisseur X habe sich an einem Film des Regisseurs Y schadlos gehalten, fragt sich der Leser doch: wofür? Erst nach längerem Nachdenken geht es einem auf: Der Autor wollte uns schlicht sagen, daß X bei Y geklaut habe, fand jedoch - ohne zu wissen, was diese genau bedeutet - die Formulierung "sich schadlos halten" mache irgendwie doch mehr her. So geht es dann meist: Haarscharf ins Schwarze, und mitten am Ziel vorbei. Ach, dem Sproachgefill! Aufgeblasenheit kommt vor dem Knall. Unlängst hat es aber doch mal richtig schön hingehauen. Im Sender ntv sollte Hans-Dietrich Genscher abgefeiert werden, und zwar als glänzender Vertreter deutscher Diplomatie. Dies geschah mit den zutreffenden Worten: "eine schillernde Persönlichkeit der Außenpolitik". Es gibt demnach Kunst-Schützen, die sogar mit einer Fahrkarte noch mitten ins Schwarze treffen. - Ein ungewollter Augenblick der Wahrheit. * Es scheint eine unendliche Geschichte zu werden: Nachdem Otto Schily im Jahre 00 über die Verschärfung des Paßgesetzes Republikflucht wieder zur mit Gefängnis bedrohten Straftat gemacht hatte, war ich so frei, öffentlich zu befürchten, bald werde man wohl, wenn es opportun erscheine, die Ausreise zu Friedenskundgebungen oder anderen politischen Manifestationen verbieten (Ossietzky 3/2000). Der Minister ließ umgehend dementieren: An Ausreiseverbote "für politisch motivierte Demonstranten" sei "keinesfalls gedacht". Es gehe nur um "Fußball-Hooligans". Nachdem 2001 zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen die Ausreise zur Antiglobalisierungsdemonstration nach Genua (und später auch zu einer Veranstaltung des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Brüssel) verboten worden war, obgleich dort keinesfalls eine Fußballmeisterschaft stattfand, schickte ich Otto Schilys Behörde einen nicht übermäßig launigen Brief (Ossietzky 18/2001). Weil ich andernfalls wegen mangelnder Rechtssicherheit zukünftig Verträge über Auslandsgastspiele kaum noch guten Gewissens unterschreiben könne, bat ich um eine Bestätigung, aus der hervorgehen sollte, daß ein Ausreiseverbot wegen Gefährdung der Belange der BRD gegen mich nach gegenwärtiger Rechtslage auch dann nicht möglich sei, wenn ich im Ausland öffentlich eine andere Meinung verträte als die der Bundesregierung. Inzwischen erhielt ich einen ministeriellen Bescheid mit dem Geschäftszeichen IS l c. IS bedeutet "Innere Sicherheit". Dabei wollte ich doch nach draußen! Der knappe Text: Die von Ihnen beantragte ›Bestätigung‹ kann von Rechts wegen nicht erteilt werden. Über die Anwendung paßrechtlicher Maßnahmen ist im Einzelfall anhand der Rechtslage zu entscheiden. Ohne Gruß folgt: Im Auftrag Unterschrift. So. Das ist amtlich und deutlich. Geirrt haben diejenigen meiner Freunde, die mir nach Kenntnis meines "Antrags" milde lächelnd auf die Schulter geklopft hatten: "Na, da wirst Du eine humorvolle Antwort kriegen, in der dann steht, daß Du als Bundesbürger wie als Künstler natürlich jederzeit ins Ausland reisen darfst..." Weit gefehlt: Die Regierung hat meinen Brief verdientermaßen durchaus nicht als Satire betrachtet und wollte infolgedessen in einem amtlichen Bescheid sicherheitshalber nicht lügen. Auf ein liberaleres Papier könnte ich mich am Ende im Falle eines o.a. Einzelfalles berufen: "Sie haben mir doch geschrieben, ich dürfe reisen!" Nein: Sicher ist sicher. Man muß das Gras wachsen hören, es schießt schon kräftig. Irgendwo habe ich mal gelesen: "Der Freiheitsspielraum in einem Staat bemißt sich stets an den Grenzen, die er sich selbst setzt". Nicht also an denen, die er seinen Bürgern zumutet. Stellt Reiseanträge! Sicherheitshalber.
Erschienen in Ossietzky 10/2002 |
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