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Ein launiger Klüngel, in dem Korruption und Vetternwirtschaft herrschte, verweigerte ihm sein Recht. Es war zuerst Kohlhaas, der vor Rechtsbeugung, Erpressung und Arroganz weichen mußte. So wurde er zum "Schläfer". Vordergründige Parallelen zwischen klassischer Fiktion (nach authentischem Vorbild) und moderner Realität verbieten sich, aber große Literatur ist gültige Literatur. Kohlhaas findet sich von der Obrigkeit betrogen und verraten. Nach individueller erlebt er nun strukturelle Gewalt. Lange war er bereit, die Ordnung nicht in Frage zu stellen. Erst als er sie als "ungeheure Unordnung" erfährt, entwickelt er ein "Gefühl der allgemeinen Not der Welt". Die klassische Voraussetzung für Rebellion. "Ich gönne mir die Freiheit, mir mein Recht zu verschaffen", verkündet Kohlhaas und ist selbst überrascht über den Zulauf, den er hat. Ein Gradmesser für die allgemeine Demütigung, die nach Rache verlangt. In diesem Rausch verlieren nun die Gepeinigten bei Kleist jedes Maß, legen Stadtteile in Schutt und Asche, werden zu verbrecherischen "Mordbrennern". Terrorismus als wahnsinnig überzogenes, fehlgeleitetes, verletztes Rechtsgefühl? Das ungerecht werden läßt? Kleist läßt Martin Luther in diesem Sinne argumentieren, der dem sächsischen Kurfürsten nahelegt, daß er "in diesem außerordentlichen Fall, über die Bedenklichkeit, mit einem Staatsbürger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen müsse", da auch die Obrigkeit ein ärgerliches Verfahren geboten habe. "Die öffentliche Meinung, bemerkte er, sei auf eine höchst gefährliche Weise, auf dieses Mannes Seite, dergestalt, daß selbst in dem dreimal von ihm eingeäscherten Wittenberg eine Stimme zu seinem Vorteil spreche." Der Kurfürst in seiner Not holte nun seine Berater zusammen, und die beiden Fraktionen, die sich damals bildeten, ähneln den heutigen Grundmustern von Argumenten frappierend. Großkanzler Graf Wede "bemerkte, mit einem bedeutenden Blick auf den Zulauf, den der Roßhändler fortdauernd... fand, daß der Faden der Freveltaten sich auf diese Weise ins Unendliche fortzuspinnen drohe, und erklärte, daß nur ein schlichtes Rechttun, indem man unmittelbar und rücksichtslos den Fehltritt, den man sich zuschulden kommen lassen, wiedergutmachte, ihn abreißen und die Regierung glücklich aus diesem häßlichen Handel herausziehen könne". Prinz Christiern von Meißen hingegen wandte sich gegen ein juristisches Vorgehen, da es Wittenberg und Leipzig und das ganze durch Kohlhaas "mißhandelte Land, in seinem gerechten Anspruch auf Schadenersatz, oder wenigstens Bestrafung, beeinträchtige. Die Ordnung des Staates sei, in Beziehung auf diesen Mann, so verrückt, daß man sie schwerlich durch einen Grundsatz, aus der Wissenschaft des Rechts entlehnt, werde einrenken können. Daher stimme er dafür,... einen Kriegshaufen von geeigneter Größe zusammenzuraffen, und den Roßhändler, der in Lützen aufgepflanzt sei, damit aufzuheben oder zu erdrücken." Ein Kriegshaufen also, das alte und das neue Muster, Gewalt gegen Gewalt. "Aber was gebe es denn für eine Alternative,... verstünden Terroristen denn eine andere Sprache?", fragt Christa Wolf in einem noch unveröffentlichtem Text und fährt fort: "Auf diese Frage habe ich gewartet. Zu gut kenne ich das Gefühl, zwischen falschen Alternativen mit dem Rücken an der Wand zu stehen und mich nur noch für Falsches entscheiden zu können, zu genau weiß ich: Dies ist ein sicheres Symptom dafür, daß eine Gesellschaft sich in einer grundlegenden Krise befindet und daß es lebenswichtig wäre, dieses Signal nicht wieder zu übersehn und zu überfahren." Unmittelbar nach Abschluß seiner Novelle gab Kleist an, er habe sich "erkoren" gefühlt, seine Zeitgenossen "aus der wunderlichen Schlafsucht" zu erwecken, "in welcher sie befangen liegen". Doch seine Weckrufe fanden kein Gehör. Ein knappes Jahr später, wenige Tage bevor er sich erschoß, resümierte er: "Es fehlte mir... an Kraft, die Zeit wieder einzurücken." Sind wir nicht immer noch der Schlafsucht erlegen? Haben wir wenigstens eine Vorstellung davon, was da einzurücken wäre?
Erschienen in Ossietzky 10/2002 |
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