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Sie ist eine brillante Bühnen-Solistin, die in kabarettistischen Programmen und szenischen Monologen eine ungewöhnliche Vielfalt von Nuancen im Spiel und mit der Stimme beherrscht. Manche Theater brauchen, um solchen differenzierten Ausdruck zu bewirken, ein ganzes Ensemble. Désirée Nick ist ihr eigenes Ensemble. Mit Hilfe dieses imaginären Ensembles porträtiert sie im Studio des Renaissance-Theaters die Mechthild Magda Huschke in dem Eine-Frau-Stück »Nichts Schöneres« von Oliver Bukowski. Auch wer Oliver Bukowski ist, weiß man. Oder liest es nach: *1961 Cottbus, Dipl.-Phil. (Nicht gleich nach der Geburt, das wird hier doch alles verkürzt mitgeteilt.) 1990-91 Doktorand an der Humboldt-Universität Berlin. Ende 1991 Abbruch des Forschungsstudiums; seither freier Schriftsteller in Berlin. Speziell als Theater-Autor hat er aber das Studium der sozialen Wirklichkeit keinesfalls aufgegeben. Seine künstlerische Aufmerksamkeit gilt, wie F. Wille (Theater heute) herausfand, den »aktuellen Schizophrenien seiner Landsleute«. Also ich würde sagen: den Nöten und Beobachtungen von Außenseitern und Leuten am Rande der Gesellschaft, die dort existieren müssen, wo das soziale Gefüge hör- und sichtbar zerbröckelt. Für »Gäste« wurde Bukowski mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis dekoriert und mit 20 000 Mark ausgestattet. Schöne Erfolge hatte er auch mit »Londn - L.Ä. - Lübbenau«, einem »Hardcore-Schwank in Lausitzer Mundart«. Die zentrale und einzige Person in »Nichts Schöneres« ist die ebenso leicht-romantische wie grob-schnäuzige, pfiffige und auch etwas spinnerte Mechthild Magda Huschke - eine Frau »aus der Unterschicht«, wie ich von der Rezensentin Eva Corino weiß, die als Mitarbeiterin eines Pflichtblatts der Berliner Wertpapierbörse zweifellos eine Dame der Oberschicht darstellt. M.M. Huschke legt gleicht mächtig los, um uns mit ihren kleinen Freuden und großen Sorgen bekannt zu machen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, den ihr niemand verbieten kann, und wir - also die 99 Personen im Studio-Theater - sind ihre Gesprächspartner. Wir haben den ganzen Abend lang nichts zu sagen, kriegen aber viel zu hören: Interessantes, Schreckliches, Lustiges, Feines und Gemeines. Lauter Sachen aus der Unterschicht nehmen wir zur Kenntnis, obwohl eine Gestalt aus der Oberschicht im Theater zugegen ist, nämlich E. Corino, aber auch Figuren aus nicht genauer definierbaren Zwischenschichten und sogar einer, der sich in der Illusion einer schichtlosen Gesellschaft zu wärmen sucht (der bin ich). Huschke spricht mit sich selbst, spricht mit dem Publikum, schimpft zwischendurch die Kröschke aus, ihre blöde Hausnachbarin. Ihren Kummer präsentiert sie ohne weinerliches Selbstmitleid. Sie erheitert uns, indem sie sich belächelt, obwohl es da doch für sie wenig zu belächeln gibt. Es ist schwer zu sagen, wer größeren Anteil am bemerkenswerten Erfolg dieser Aufführung haben mag: Oliver Bukowski mit seinem realistischen Text, der dem Leben nicht nur abgelauscht zu sein scheint, sondern auch das Groteske dieses Lebens seismographisch genau protokolliert. Und poetische Feinheiten enthält, von denen ein Beispiel genannt sei: Huschke erzählt, wie viele Männer ihr in bestimmten Krisen-Höhepunkten schon heiser zugerufen haben: »Ich liebe dich«; nur einer fand die einfachen Worte: »Ich hab dich lieb«. Man schmecke den Unterschied nach. Oder haben wir vor allem dem Regisseur Bernd Mottl zu verdanken, daß die feinen Abschattierungen der Geschichte in Huschkes Tonfall, ihren Gängen, Gesten, Pausen und Ausbrüchen so genau und musikalisch zur Geltung kommen? Und ist nicht auch der Szenenbildner Thomas Gabriel wesentlich an der Wirkung der Darbietung beteiligt, der neben vielem anderen diese beängstigende Schrankwand bauen ließ, die keinesfalls so solide und haltbar ist, wie sie aussieht? Und der vielleicht auch den Einfall hatte, in Huschkes Heim als Glanzpunkt einen sogenannten Hubtisch zu plazieren, dessen Kurbel-Bedienung schon bei so manchem Zeitgenossen ein leichtes Spaltungsirresein hervorgerufen hat? Man kann sich da nicht auf eine Antwort festlegen. Gewiß aber haben Mottl, Gabriel und die anderen Mitarbeiter dem Stück und der hochbegabten Darstellerin erst all das ermöglicht, was das Publikum an diesem Abend so begeistert. Liebe Désirée Nick, ich muß offen zugeben, daß man Ihre Kunst nicht genau beschreiben kann. Folglich rettet man sich mit einem Zitat: »Eine Charakterspielerin hatte kein Fach, sie beherrschte jedes. Diese oder jene stand im Ruf einer mehr oder weniger verlockenden Häßlichkeit. Sooft sie es brauchte, war sie schön zum Erstaunen, auf blendende, sogar liebliche Art.« Das schrieb Heinrich Mann (in seinem Erinnerungsbuch »Ein Zeitalter wird besichtigt«). Er hat damit nicht speziell Sie gemeint, weil er Sie leider nicht mehr kennen lernen konnte. Auf dem Heimweg mischte sich allerdings Melancholie in unser Wohlgefühl. Denn M. M. Huschkes Monolog ist auch, wie das Renaissance-Theater mitteilen mußte, »die Grabrede für das nur fünfzehn Jahre alt gewordene Studio... Die durch das Gutachten von Prof. ...« - nie sollen Sie seinen Namen erfahren, der Mensch heißt Stolzenberg - »Prof. Stolzenberg ausgelösten gewaltigen Subventionskürzungen zwingen das Renaissance-Theater - trotz steigender Einnahmen - empfindliche Einschnitte vorzunehmen... Wir mußten den Mietvertrag für unsere Probebühne kündigen. Im Studio wird künftig nur noch probiert.« Einer alten Redensart zufolge kann man einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen. In der Hauptstadt Berlin werden Kunst und Kultur gräßlicherweise von diesen sprichwörtlich nackten Männern verwaltet. Die mit den gefüllten Taschen bauen inzwischen überflüssige U-Bahn-Linien oder planen die historisch exakte Rekonstruktion hohenzollernscher Schlösser oder vergessener Marktplätze. Ich könnte Ihnen sagen, wie ich das finde, aber Sie erraten es ja ohnehin. Bukowskis »Nichts Schöneres« wird noch im Mai 2002 im Studio des Renaissance-Theaters gespielt.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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