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Der Autor, der Regisseur, die Besetzung, die Koproduktion Hamburg/Wien/Berlin/Recklinghausen lösten große Erwartungen aus. Das Publikum säumte, teils bestuhlt, teils in langer Reihe, das Kassenfoyer in der Hoffnung auf nicht eingelöste Karten. Hochgestimmt füllte es das Haus. Ben Becker spielt einen Handelsvertreter, der sein jüngstes Kind, einen Säugling, erstickt hat. Nun erstickt er selbst daran, daß er nicht über seine Tat reden kann. Weder seiner Frau, noch der Polizei oder Freunden gegenüber darf er sagen, was geschah. So sitzt er an den Bars seiner Geschäftsreiseziele und erzählt, anonym, dem fremden Gegenüber seine Mordtat, deren Hintergründe. Becker, begabter Bursche, grob und fein, hat für diese Rolle weder Ton noch Gestus gefunden. Er ist nicht echt, nicht wahrhaftig, bleibt auf Distanz zur Figur, galoppiert über deren Abgründe, läßt sich nicht ein auf die Tragödie antiken Ausmaßes. Die Texte LaButes sind zynisch in ihrem Lakonismus. Bei Becker langweilen sie, und das Entsetzen dünstet nur in den Kleidern, nicht aus dem Kerl. Das war unerwartet, bedauerlich allemal. Anders bei Uwe Bohm und Judith Engel. Ein Liebespaar, mit Freunden auf Partytour in New York. Heiter, unbeschwert, gut gelaunt, selbstbewußt, sehr verliebt. Die Mädchen ruhen aus im Hotel, die jungen Männer flanieren im Central-Park. Es sind Mormonen. Unfreiwillig beobachten sie ein älteres schwules Paar, scheinbar unvermittelt packt sie eine so heftige Wut, so tiefer Ekel darüber, wie die Männer sich öffentlich aufführen (sie küssen sich!), daß sie »spontan« einen von ihnen totschlagen, zertreten. Anschließend amüsieren sie sich weiter mit ihren Mädchen, tanzen, lachen, trinken, sind jung, dynamisch, geliebt und wundervoll. Wenige halbe Sätze lassen den Schluß zu, daß zwei der Täter selber homosexuelle Neigungen haben. Glaube und gesellschaftliche Konvention ersticken die Veranlagung, die Lust wird deformiert, eskaliert zu Ausfällen tödlicher Art. Uwe Bohm spielt das sehr überzeugend. Er ist strahlend selbstbewußt, angenehm, liebenswert. Genau der Typ, den jede Mutter einer heiratsfähigen Tochter sich zum Schwiegersohn wünscht: ein zuverlässiger, normierter amerikanischer »Babbitt«. An seiner Seite Judith Engel, sein Mädchen, hübsch, zärtlich, verständnisvoll, entzückend, ahnungslos, liebenswerte Plapperliese, noch in rosa Taft gewickelt, demnächst mit Lockenwicklern im Supermarkt. Pause. Dann. Solo: Judith Engel. Ein Lehrer schwängert seine 13jährige Schülerin und verschwindet aus ihrem Leben. Sie trägt das Kind aus, zieht es auf. Wir begegnen ihr im Knast, wo sie (einem Psychologen?) ihre Geschichte erzählt. Als der Sohn vierzehn Jahre wurde, bat sie seinen Vater um eine Begegnung. Einmalig. Das Kind sollte wissen, wer der Vater ist. Der willigt ein. Sie erfährt, der Mann ihrer Liebe ist verheiratet, kinderlos, sie sieht, er mag diesen Sohn, liebt ihn. Als er gegangen ist, wirft sie das Transistorradio in das Badewasser ihres Jungen. Tötet ihn. Ganz verschmitzt, beinahe schelmisch, sagt sie ihrem Gegenüber, diese Tat war ein Plan, lange schon. Judith Engel gelingt es mit ihrer Darstellung, dem Text von LaBute alles zu entreißen, was in ihm steckt. Ihre leise schwebenden Sätze lassen viele Schlüsse zu, jede ihrer An-Deutungen befördert Assoziationsketten, macht neue Verwerfungen des Wesens dieser jungen Frau erkennbar, deren Träume, ihr reines Liebesglück, buchstäblich zertreten wurden. Als sie ein Kind war. Engel spielt das unvergleichlich, einmalig. Das Aufregendste ist ihr Minimalismus und das Wunder, daß es tatsächlich möglich ist, mit einem (scheinbar) beiläufigen Satz zahllose ambivalente Deutungen auszulösen, abzuschicken an den Adressaten Publikum. Dazu diese unerträgliche Spannung, die sie herzustellen vermag. Aus Stille und leisem Sein. Es war gewiß kein Leichtes, das alles gelebt, gelitten, geweint, gelacht und gejubelt zu haben, was sie in dieser Rolle bündelt. Sie läßt es ahnen, gibt es nicht preis. Sie nimmt den Betrachter bei der Hand, durchwandert gemeinsam mit ihm Landschaften (innere), teilt mit ihm ihre persönlichen Nachbeben. Das ist die Kunst der Judith Engel, ihre Verführung, uns das glauben zu machen. So wurde es doch noch ein großer Abend, obwohl er nicht so begonnen hatte. Ich weiß, es ist nicht üblich, sein Entzücken öffentlich zu machen. Shit. Ich tue es. * »Nietzsche« von, durch, über, an, auf Schleef in der Volksbühne, regiert von Thomas Bischoff. Für diesmal will ich es wahrhaftig kurz machen. Ein quälender Abend. So sehr, daß meine Wirbelsäule, der gesamte Körper bereits nach wenigen Minuten verdreht war wie eine Kümmelstange. Ich brauchte volle zwei Tage, um mich zu »richten«. Nein, das hat er nicht verdient, der außerordentliche, verrückte, wundervolle Einar Schleef, Einsamster unter Einsamen, so heftig unter Druck gesetzt vom Leben, daß nur stotternd und stoßend aus ihm entweichen konnte, was er stets so dringlich vorzutragen hatte. An diesem Abend rettete es mich (für kurze Zeit), als ich mir Schleef vergegenwärtigte, wie er seinen Text, mal trivial, mal genial, selten banal, auf uns nieder gewettert, geschauert, geblitzt und gedonnert hätte. Dazu Edith Clever an seiner Seite, vorgesehen in seinem Konzept der Aufführung als Schwester Nietzsche. Ach, was wäre das für ein Erdbeben gewesen. Zumindest hätten wir es dafür gehalten, die ihm hätten zuschauen können, dabei hätten »lediglich« die Bretter, die die Welt bedeuten, gezittert an einem Abend mit Schleef und Nietzsche, Nietzsche und Schleef. Hingegen hier: Gekacheltes Ambiente in rot und grün (wie die Koalition), sich drehend ( wie ...), Badekabuffs mit Badewannen, Irrenanstalt, Pissoire und Hallenbad assoziierend. Figuren, isoliert voneinander, seltene Berührungen sind Erdrosselungsversuche, verbal ohnehin. Satz für Satz wird mit gleicher Bedeutung betont, daraus folgt umfassende Bedeutungslosigkeit. Dem von Müttern und Schwester umstellten armen Jungen Nietzsche bleibt nur die Flucht der Gedanken, doch auch die werden ihm schnell geklaut, verfälscht und vermarktet. Ein Jammer. Das zu dem Anlaß versammelte Ensemble von Darstellern genügt der Vorlage so wenig wie der Zugriff des Regisseurs. Da gibt es Abhängigkeiten, unbestritten. Aber so schlecht, so sehr Trrragödin wie aus einer Aufführung des Harzer Bergtheaters, durfte die Mutter Nietzsches, dargegeben von Jennifer Minetti, nicht sein. Auch Karin Neuhäuser intonierte dieses Ein-Ton-Theater, verständlich immerhin, im Gegensatz zu ihrer Kollegin Silvia Rieger, die zierlich fistelte, sich in Nichts auflöste, nicht vorhanden war, selbst wenn sie schrie und brüllte. Ach, und dann Herbert Fritsch. Wie schwierig. Er sollte Nietzsche sein und Schleef und blieb doch stets und beständig Herbert Fritsch. Mal im »Hampelmann«, wie die einteilige Unterwäsche der Herren früher hieß, mal im Frack, aber auch der wurde zum Hampelmann an ihm. Noch beim Schreiben dieser Zeilen ereilt mich Atemnot und die Verschlingung meiner Wirbelsäule setzt wieder ein. Ich ende. Der Chefredakteur wird´s mir danken.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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