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Die vielen Kriege in der Welt mit vielen solchen verhinderten Leben? Die progrediente Geistesverkrüppelung? Nur ein Übungsstück für junge Schauspieler? Die große Weltkrise überhaupt, die ständige? Der Kontext zu anderen Theaterabenden mag eine Richtung für eine Antwort geben. Ein polnisches Ensemble aus Wroclaw unter Krzysztof Warlikowski und Jacek Poniedzialek brachte Sarah Kanes »Gesäubert«. Die vor einigen Jahren verstorbene britische Stückeschreiberin, in manchen Kreisen als Kultfigur gehandelt, erwies sich gegenüber einem Dichter wie Toller unendlich schwächer - obwohl diese Aufführung leiser und poetischer war als das, was wir sonst, u.a. in der Schaubühne am Lehniner Platz, unter dem Namen Kane vorgeführt bekommen, auch die Blutrünstigkeit war zurückgenommen. Krisenbewußtsein in jedem Fall. Nur: Toller stellt es dar, Kane ist es, war es. Schnell gleitet die Zeit darüber weiter. Zu Kunst gehört mehr als nur Schmerz. Eindringlicher das Gastspiel des Teatr Rozmaitosci aus Warszawa unter dem Regisseur Grzegorz Jarzyna, dem neuen Star zwischen Dejmek und Swinarski einerseits, Grotowski und Kantor andererseits. Er adaptierte - wie es Mode geworden ist - ein Drehbuch: »Das Fest« von Vinterberg und Rukov, jene Familien- und Kinderschänder-Tragödie, die so recht die Fassaden einer in sich verkommenen Gesellschaft wegreißt. Das hatte erheblich mehr Biß und auch einen Atem, ja Kunst. 22 ziemlich gute Schauspieler und ein excellenter: Jan Peszek. Eher an die Hinkemann- und Kane-Thematik rührt die Theater-Adaption der »Gespräche mit Schizophrenen« des Psychiaters Leo Navratil, die Hildegard Schroedter im Theater Zerbrochene Fenster zusammengestellt und inszeniert hat. Mit dem ausdrucksstarken Schauspieler Dominik Bender. Neun Szenen, alle sehr traurig. Das Ganze bedrückend. Eher eine klinische Studie als irgendeine Art halbwegs befriedigenden Theaters. Man verläßt den Saal kränker, als man gekommen ist, aber weder klüger noch mitleidsvoller. Der Abend versandete in einer Mischung aus Exorzismus und grauem Alltag. Und dafür fährt man eine Stunde hin, eine zurück durch das nächtliche Berlin? Die Krankheit erfährt kaum eine Diagnose, geschweige denn die gesellschaftliche. Dafür ist Theater zuständig, nicht fürs Klinische. Und wofür noch? Für Gegenentwürfe zur Miserabilität des allgemeinen Seins. Beispiele dafür sind zwei Aufnahmen des griechisch-antiken Mythos des Minotaurus und ein Stück von Brecht. An dem Mythos ist interessant, wie unterschiedlich er ausgedeutet werden kann. Das hat Ursachen in der Sicht des Aufnehmenden wie in der Vielschichtigkeit des Mythos selbst. Howard Katz, Autor des im Theater am Halleschen Ufer uraufgeführten »Minotaurus«, bezog sich auf den antiken Mythos und Friedrich Dürrenmatts Ballade »Minotaurus«. Halb Tanz, halb Spiel und immer nur halber Sinn - die Lust des Dilletantismus! Genau genommen die Unlust. Dürftig die Sicht (das ewige Scheitern des nichtigen Stücks Mensch) und hilflos die technisch-artistische Ausführung. Wozu das? Dagegen »Der traum des minotaurus« in der Komischen Oper, Ballett von Blanca Li, der neuen Choreografin und Ballettdirektorin aus Frankreich. Welten dazwischen - in Weltsicht und Technik. Hier wird erst einmal der Mythos - das minoische Stierspringen - ernst genommen, ein Mythos sportlicher Natur wie der Fruchtbarkeit, allerdings einer gefährlichen Fruchtbarkeit von tödlicher Art: Minotaurus, Sohn von Minos und Pasiphae, kam von Zeus und Europa her und ist nahezu eine Metapher europäischer Art. In zehn Szenen werden zahlreiche Möglichkeiten des Seins, des Lebens und des ästhetischen Überdauerns vorgeführt: Natur, Krieg, Sport, Liebe in ekstatischer wie geistiger Form werden dargestellt, und am Ende steht die Schönheit, die Schönheit des Menschen. Das ist die Botschaft. In und mit Musik von Bizet und Debussy über Fauré und Martinú zu Prokowjew, Ravel, Roussel bis Satie u.a. Da ist etwas vom Gegenentwurf, dem der Liebe. Ein Motto klang an: »Geschüttelt hat Eros mir die Sinne, / Wie ein Wind vom Berg herab in die Eichen fällt« (Sappho). Das Ganze war hinreißend getanzt, sogar sportlich. Eine Botschaft des Schönen, des Humanen. Das ist die eine Seite des Theaters, diese Botschaft. Die andere ist politisch. In Berlin ist so etwas derzeit kaum zu finden. Aber in Hannover, die Landesbühne. Die gab Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« in einer Inszenierung des Berliners Horst Ruprecht, der Schauspieldirektor in Halle, Magdeburg, Leipzig war und jüngst in Augsburg und Ingolstadt wie in Salzburg und Wien inszeniert hat. Seine Stärke waren seit jeher Stücke eines sozialkritischen Volkstheaters, solche von Fleisser und Fo, Grabbe und Horváth, schließlich Brecht. Nach einer fulminanten »Dreigroschenoper« nun also die Politgroteske des Arturo Ui« von 1934, die Vorgänge aus den Jahren 1930-1934 aufnimmt. Die genau gearbeitete Aufführung knüpfte an die erste Inszenierung des Berliner Ensembles von 1959 an, distanzierte sich deutlich von der vermüllerten der 90er Jahre, die im Grunde eine Verfälschung war, das Warnstück zu einer Parabel des Geschichtsfatalismus umgedacht hatte. Ruprecht ließ das Politgangster-Spektakel mit den Worten enden: »Stoppt denn keiner diese Pest?« Das überaus artistische, schnelle Spiel fand in einem fast minoischen Labyrinth von Gängen und Löchern statt (Szenografie Dirk Immich), in dessen Mittelpunkt ein Gipfel mit einem Sessel stand, auf dem die internen und höchsten Machtkämpfe ausgetragen wurden, immer dem Abgrund nahe. Christian Joachim Friedrich war ein Ui würdig der großen Ahnenreihe der Darsteller dieser Rolle. Von gespenstischer Größe die Szene mit dem Schauspieler (Till Claro), in der der Gangster Ui zu Hitler wird. So sah man es noch nie. Respekt vor dem leidenschaftlich wie diszipliniert agierenden ziemlich jungen Ensemble. Die Aufführung zeigte Wirkung - ich hörte es in Publikumsgesprächen. Nicht erst der erstarkte Le Pen, schon Berlusconi und andere haben ein Theater an seine Verantwortung erinnert. In Berlin sollte man sich daran ein Beispiel nehmen.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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