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Der jüngere aber war einfältig und dumm, konnte nichts begreifen oder lernen, und wenn die Leute ihn sahen, sprachen sie untereinander: »Mit dem wird die Bundeswehr wenig Last haben.« Wenn nun etwas zu tun war, etwa zu wählen oder eine Unterschrift zu leisten, zu streiken oder zu demonstrieren, so mußte es der ältere alle Zeit ausrichten; hieß man ihn aber, auf den Friedhof, den Truppenübungsplatz, in die Kaserne oder an sonst einen schaurigen Ort zu gehen, so antwortete er wohl: »Ach nein, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!« Denn er befürchtete einiges. Oder wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schauderte, vom Sozialabbau, von Ausländerhaß und Naziterror oder auch von den Wahlergebnissen in Niederbayern oder Hamburg, so erbleichte er wie die meisten anderen Zuhörer, und sie sprachen: »Ach, wie gruselt mir.« Der jüngere aber - Michel hieß er - saß in der Ecke, hörte alles mit an und konnte es nicht begreifen. »Wie macht ihr das nur,« fragte er die anderen, »daß es euch immer so schön gruselt?« »Ei, das sollst du bald lernen,« antworteten diese und schickten ihn zu einer Parteiversammlung. »Ei, von welcher Partei meint ihr denn,« fragte Michel? »Ach«, antworteten sie da, »geh nur zu einer der Blockparteien. Ob CSU oder Olivgrüne, das ist einerlei. Viel Unterschiede gibt es da längst nicht mehr.« Michel aber, der ja ein Dummbart war, kam mit blitzenden Augen zurück und sprach: »Ihr seid mir linke Lehrer, wollt mich das Gruseln lehren, und ich habe nur gelernt, wie das Totmachen so schön positiv ist.« Und als er die zweifelnden Blicke der anderen sah, fügte er hastig hinzu: »Vorausgesetzt, man tut es für die Menschenrechte.« Da gruselte es wieder nur die anderen, und sie sprachen zu sich: »Er ist noch dümmer, als wir dachten. Sollte er vielleicht noch nicht gemerkt haben, daß das Wort Menschenrechte längst nur noch ein anderer Ausdruck für Erdöl ist?« Der ältere Bruder aber sprach: »Ich sehe schon, Michel, es hilft nur noch eins: Geh nach Berlin und sieh dir dort das Gruselkabinett an, das Kriegskabinett, wie man es auch heißen sollte. Da wirst du das Fürchten schon lernen.« Also machte sich Michel auf und wanderte frohgemut nach Berlin fürbaß, durch die blühenden Landschaften, ganz so wie der Kanzler auf der Sommerreise: immer rechts herum, immer rechts herum durch den Schutt der abgewickelten Betriebe, neue Vettern und Basen zu entdecken und stets ein aufmunterndes Wort auf den Lippen für die Massen der Arbeitslosen am Wegrand: »Junge, bring mal'n Bier!« Und: »Es gibt kein Recht auf Faulheit.« Da jubelten die Massen, nahmen ein jeglicher flugs eine der vielen freien Arbeitsstellen an und begannen sogleich - was haste, was kannste - fleißig zu arbeiten, daß es eine Lust war. Michel aber kam schließlich in die Hauptstadt und stand staunend vor den Säulen des Kanzler-Palastes, der genauso viel gekostet hatte, wie man den älteren Armen des Landes vom Alterszuschlag der Sozialhilfe gestrichen hatte: 400 Millionen Mark. Aber das machte nichts, denn in Euro ist es ja viel weniger. Da waren sie nun alle im Gruselkabinett: der Scharping und der Fischer, der Schröder - und der Müller, wenn ihr den überhaupt kennt. Michel aber erstarrte vor Ehrfurcht und Bewunderung, und das Gruseln wollte sich nicht einstellen. Nur in der Schreckenskammer des Panoptikums wurde Michel doch etwas unbehaglich, denn da saß ein altes graues Männlein - Schily nannte es sich, weil das harmloser und niedlicher klang als Schill -, das wollte unbedingt alle Bürger samt Fingerabdrücken, Kopfformen und Nasenprofilen in eine Kartei pressen. Da kann einen das Gruseln schon ankommen. Gerade in diesem Augenblick, als Michel schon die ersten Schauer den Rücken herunterlaufen spürte, begann Schily zu krächzen: »Der Datenschutz wurde sowieso schon lange übertrieben. Wir brauchen das doch alles für die Staatssicherheit - die Sicherheit des Staates meine ich natürlich.« Und schon war Michel wieder beruhigt. »Ei potztausend,« sagte er sich, »da haben sie mich zu Hause aber schön verladen. Wer sollte hier wohl das Gruseln lernen. Sind doch alle ganz gute Demokraten und Friedensfreunde! Haben sie nicht schon vor der Wahl fest versprochen, nie und nimmer Kriege zu führen, geschweige denn Kinder umzubringen?« Denn er glaubte ihren Sprüchen, den windigen. So dumm war Michel, daß ihm nicht einmal etwas aufgefallen war, als der Kanzler beim letzten Krieg dem Volk im Fernsehen erklärt hatte: »Wir führen keinen Krieg. Wir sind nur aufgerufen, eine friedliche Lösung mit militärischen Mitteln zu erzwingen.« Eine so dreiste Verarsche nicht als solche zu erkennen, dazu gehört - das müßt Ihr zugeben - wirklich ein gerüttelt Maß an Dummheit. Schon wollte sich Michel enttäuscht auf den Heimweg machen, da hörte er aus dem Reichstag, wie das Parlament jetzt wieder häufiger genannt wurde, markige Parolen herüberschallen: Von »nationalem Interesse« war die Rede und von der »Verteidigung der westlichen Zivilisation«, von »Schicksalskampf« und von Nibelungentreue - pardon von »uneingeschränkter Solidarität«. Einer sprach allen Ernstes von der »Glaubwürdigkeit des deutschen Bedrohungspotentials« und vom Risiko, das man eingehen müsse, ein anderer sogar von »hohem Risiko«. »Nanu«, sagte sich da Michel tief in seinem Innern (denn er war ein echter Deutscher und besaß darum eine sogenannte Deutsche Innerlichkeit), »nanu, diese Worte hast du doch schon mal im Geschichtsunterricht gehört. Und: Warum reden sie und ihresgleichen eigentlich schon wieder von der Überlegenheit der westlichen Kultur? Und vom Weltkampf gegen das Böse? Und warum steht in den Bundeswehrrichtlinien, die Aufgabe der Truppe sei nicht mehr Verteidigung, sondern »Aufrechterhaltung des freien Zugangs zu Rohstoffen und Märkten in aller Welt«? Und warum tönen sie schon wieder: »Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns«? Und: Welche Länder kommen als nächste dran? Somalia, Irak? Libyen? Kuba? Das kaukasische Öl? Und wann werden Atomwaffen... Und: Worauf wollen sie mit ihren wilden Reden also wirklich hinaus? Und da fiel es ihm wie Schuppen von der Glotze, und es lief ihm eiskalt über den Rücken. »Ach, wie gruselt mir, wie gruselt mir!« rief er aus. Und damit hatte er auch völlig recht. Fortan war Michel ein wachsamer Staatsbürger, ließ sich nicht mehr verscheißern und wählte alle Kriegstreiber ab. Denn selbst er, der Dummbart, hatte jetzt einsehen müssen, woher der Wind wirklich wehte. Und er hing ja auch am Leben. * PS: Leider haben nur Märchen stets einen so positiven Schluß. Der wirkliche Michel hat das Gruseln noch immer nicht gelernt und glaubt Bild bis an sein jähes Ende. Nun, liebe Kinder, schlaft schön... weiter. Und wenn ihr morgen aufwacht... wenn ihr morgen aufwacht, dann habt ihr aber verdammt viel Glück gehabt.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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