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Alle Parteien waren bisher stolz auf eine zufriedenstellende Ausstattung mit öffentlichen Diensten wie Nahverkehr, Büchereien, Schwimmbädern, Theatern... Doch seit kurzem sagt der Oberbürgermeister: »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt«, und er kündigt eine Kürzung nach der anderen an. Ratsausschüsse tagen ununterbrochen: Wo denn wohl eine Erhöhung der Eintrittspreise noch zu verkraften sei, wo sich Öffnungszeiten verkürzen ließen, welche Einrichtung man ganz schließen solle. Kein Aufbau mehr, nur Abbau. Viele Schulen müßten dringend saniert werden - kein Geld. Bundesdeutscher Alltag eben, Ergebnis der von Politikern aller Couleur vorangetriebenen neoliberalen Konterrevolution, die den Gemeinden Steuern entzieht, so daß sie sich immer höher verschulden und zugleich kaputtsparen müssen - und nach und nach alles, was sie haben, verkaufen, um den dringendsten Verpflichtungen nachkommen zu können. In Münster beschließt die Ratsmehrheit im Sommer 2001, den Öffentlichen Personennahverkehr aus den Stadtwerken auszugliedern und in einer privaten Gesellschaft weiterzuführen. Einziger Zweck: Absenkung der Busfahrerlöhne um ein Drittel, weil der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im neuen »Privatbetrieb«, der allein der Stadt gehört, nicht mehr gilt. Auch die Fahrpreise lassen sich dann viel schneller nach Marktgesichtspunkten statt nach demokratischen Mehrheiten gestalten... Es kommt zum Streik. Für vier Wochen ist der öffentliche Nahverkehr lahmgelegt. Die Gewerkschaft ver.di mit den erbosten Busfahrern sammelt Unterschriften für ein Bürgerbegehren, in kurzer Zeit kommen über 13 000 zusammen - nur 8220 (vier Prozent der Wahlberechtigten) wären nötig, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Die CDU bekommt Angst vor dem Zorn ihrer Wähler. Die Privatisierung der Verkehrsbetriebe wird zurückgenommen. Man einigt sich auf einen neuen Spartentarifvertrag mit Übergangsregelungen für die schon länger Beschäftigten. Im November 2001 läßt sich die Ratsmehrheit etwas Neues einfallen. Sie beschließt, für den Teilverkauf der Stadtwerke einen Investor zu suchen - jetzt unter Ausgliederung der Verkehrsbetriebe, weil ein privater Konzern kein Interesse habe, diesen Defizitbetrieb, der jährlich 15 Millionen Euro kostet, mit zu übernehmen. Die Versorgungsbetriebe für Strom, Gas und Wasser sollen zu 49 Prozent veräußert werden. Davon erhofft man sich einen Erlös von mindestens 200 Millionen Euro. Man verspricht, 50 Millionen für die Schulsanierung auszugeben und mit dem Rest vorzeitig Schulden zu tilgen. Wieder werden Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt, initiiert von Gewerkschaftern und den Oppositionsparteien im Rat (SPD, Grüne, PDS und Unabhängige Wählergemeinschaft); mit etwas Zeitverzögerung beteiligen sich auch Studenten- und Umweltgruppen und attac. Doch in den ersten acht Wochen tut sich nicht viel. Die Münsteraner scheinen nur an Weihnachtseinkäufen und Silvesterraketen interessiert. Die Oppositionsparteien schlafen, den Beschäftigten der Stadtwerke schreibt der CDU-Oberbürgermeister einen Weihnachtsbrief, worin er ihnen achtmal androht: Bei Nichtverkauf würden sie ihre Arbeitsplätze verlieren. Viele sind verunsichert. Von Mitte Januar bis zum Stichtag für die Einreichung des Bürgerbegehrens am 14. Februar gelingt es doch noch, gut 17 000 Unterschriften zusammenzuholen, doppelt soviele wie erforderlich. Beim Sammeln hört man den Unmut in der Bevölkerung: »Die Politiker sind wohl verrückt geworden. Soll denn alles privatisiert und weggespart werden? Die Postämter sind weg, Telefonzellen werden abgerissen, Züge fahren zu selten und werden zu teuer. Die Rente, die Krankenversicherung - alles privat? Und jetzt auch noch Strom, Gas und Wasser! Wollen die uns wirklich mit unserer Wasserversorgung verkaufen?« CDU und FDP agieren mit Anzeigen, Leserbriefkampagnen, Propagandaveranstaltungen. Sie argumentieren, nur mit dem Verkaufserlös seien die Stadtfinanzen zu sanieren, und verweisen auf den kommenden Wettbewerbsmarkt für Strom, Gas und Wasser in der EU: Da könnten Stadtwerke nur überleben, wenn sie sich einem »strategischem Partner«, einem großen Konzern, anschlössen. Sie rechnen falsch - was man ihnen leicht nachweisen kann. Bisher trugen die Stadtwerke das Defizit des Busverkehrs, zahlten Gewerbesteuern und Durchleitungsgebühren in den Stadthaushalt und brachten noch Gewinne, Jahr für Jahr. Bei Privatisierung von Teilen der Stadtwerke müßte der Kämmerer auf deren Gewinne sowie auf Gewerbesteuern verzichten, weil seit 2001 überregional agierende Konzerne keine Gewerbesteuern zahlen. Für das Defizit im Busverkehr müßte allein die Stadt aufkommen. Mit dem Verkaufserlös ließe sich lediglich ein Strohfeuer vor der nächsten Kommunalwahl entfachen. Daß der angeblich wie ein Naturereignis kommende europäische Wettbewerbsmarkt bei Strom, Gas und Wasser für kommunale Netzbetreiber keinen Platz mehr ließe, ist Demagogie, offenbar angeleitet aus den Propagandaabteilungen der großen Energiekonzerne. Die vier Großen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW (Energie Baden Württemberg) ringen seit einigen Jahren erbittert um den deutschen Energiemarkt. Von den 1000 kommunalen Energieversorgern in Deutschland sind in den letzten Jahren schon 250 ganz oder teilweise in den Besitz dieser Konzerne übergegangen. Sobald die Claims abgesteckt sind, wird ein Oligopol entstehen. Eon strebt die Übernahme von Ruhrgas an und besäße dann 80 Prozent der Gasversorgung in Deutschland. RWE herrscht in Nordrhein-Westfalen über Strom und Wasser. Doch Gebietsmonopole sind nur dann vollkommen, wenn sie alles in der Hand haben: Erzeugung und nationale Verteilernetze wie auch das Leitungsnetz in den Straßen der Städte mit Zählern beim Endverbraucher... Das Argument mit dem Wettbewerb der Netzbetreiber ist Unsinn: Das kommunale Energie- und Wassernetz ist nur einmal vorhanden. Überläßt man es einem Privaten, entsteht dadurch keine Konkurrenz. Und die Folgen lassen sich in USA oder England studieren: In Kalifornien gehen die Lichter aus, in Cambridge müssen Vorortstraßen von der Stadtverwaltung mit Wassertankwagen versorgt werden... Warum Oberbürgermeister und Kämmerer trotzdem auf Privatisierung setzen, liegt auf der Hand: Sie werden durch den Entzug von Steuern erpreßt. Doch anstatt sich als Städtetag gemeinsam zu wehren, verscherbeln Kommunalpolitiker öffentlichen Eigentum, das ist leichter. Daß die Konzerne auch noch zum Mittel der Bestechung greifen können, hat RWE mit der Tochterfirma Trienekens in Köln und andernorts bewiesen. In Münster wird bisher nur vermutet, daß privatisierungswillige Geschäftsführer ihre Gehälter im neuen Konzern erheblich aufstocken könnten und daß sich für »verdiente Politiker« lukrative Aufsichtsratsposten beschaffen ließen. Das gilt als kluges Wahrnehmen von Karrierechancen und ist nicht strafbar. So muß in Münster jetzt ein Bürgerentscheid klären, ob die Ratsmehrheit die Stadtwerke privatisieren darf. Am 16. Juni sind alle BürgerInnen zur Wahlurne gerufen: »Soll die Stadt alleinige Gesellschafterin der Stadtwerke ... bleiben?« Die Bürgerinitiative rechnet mit einer deutlichen Mehrheit der Ja-Stimmen.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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