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Die CDU kam zu der Ansicht, es sei wohl höchste Not, wieder einmal daran zu erinnern, wie christlich sie ist. Und sie wählte zu ihrer Ermutigung »Eine feste Burg ist unser Gott«, wobei sie andachtsvoll nach Bayern hinübersinnierte. So war es denn für die Bündnis 90/Grünen an der Zeit, der sozialdemokratischen Marschmusik ein leises Tremolo mit »Ach, wie ist's möglich dann« unterzulegen. Die FDP wußte wie üblich nicht mehr wohin und kreierte »Ringlein, Ringlein, du muß wandern«. In der PDS kam der Vorschlag gut an, Rentnerchöre »Auf, du junger Wandersmann« singen zu lassen. Und endlich rieten forsche NPD-Mitglieder zum Horst-Wessel-Lied, das aber aus taktischen Gründen durch »Hörst du mein heimliches Rufen« ersetzt wurde. Und so kam denn der Tag, an dem sie in der Frühe vor den Lokalen anrückten. Männer standen mit gefalteten Händen und sangen mit pastoralen Stimmen, in die ständig mit Kesselpauken hineindonnerten. Die FDP tanzte, hurtig die Röcklein schwenkend, ihr »Ringlein, Ringlein«, gescheucht vom PDS-Rentnerchor der jungen Wandersmänner. Die NPD-Leute sangen mit verschleierter Stimme zähnefletschend »Hörst du mein heimliches Rufen«. Und in all diesen gewaltigen Lockrufen inszenierten die Bündnis 90/Grünen immer etwas hinterherhinkend und so einen Kanon verursachend ihr »Ach, wie ist's möglich dann«. Gegen neun Uhr, völlig ausgelaugt, stellten sie fest, daß bisher kein einziger Wähler an ihnen vorbeigegangen war. Und sie liefen hinein ins Lokal, wähnend, sie hätten vor falschen Orten gestanden. Aber drinnen saßen ebenso erwartungsvoll die Wahlhelfer an ihren Tischen, vor sich die Stöße unausgegebener Wahlscheine, und von draußen drang noch einmal ein verspäteter müder Kanon herein: »Ach, wie ist's möglich dann«. Am Nachmittag hatte sich das Bild nicht geändert. So riefen sie in anderen Städten des Landes an, weil sie dachten, sie hätten sich vielleicht im Tag geirrt. Aber dort war dasselbe geschehen: Kein einziger Wähler. Aufgeschreckt kam von oben der Befehl, Wahlhelfer in die Wohnungen zu schicken und freundlich, aber auch, wenn nötig, drohend an den Wahltag zu erinnern. Wiederum hatte keiner den Rückfall in die DDR bemerkt. Aber in den Wohngebieten wurden die Anrückenden rechtzeitig gesichtet. Man riß die Wäsche von den Leinen, ließ Rollos herunter, verriegelte Türen und rief einander zu: »Die Politiker kommen!« Um 18 Uhr schlossen die Wahllokale. Die Urnen wurden kopfüber auf Tische gestülpt, geschüttelt, gerüttelt. Leider ließen sie sich nicht auswringen. Kein einziger Schein flatterte heraus. Herbeigerufene Fraktionsmitglieder der Parteien untersuchten die Urnen, ob sie eventuell ein Loch hätten. Aber sie waren aus bestem Holz gezimmert. Ein Mitglied warf sich auf den Boden, tastete überall herum, doch er fand nur einen weggeworfenen alten Lottoschein, der sich nicht auszählen ließ. So mußte dann aus allen Gegenden des Landes das Wahlergebnis nach oben gemeldet werden: SPD: 0 Prozent, CDU: 0 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen: 0 Prozent, FDP: 0 Prozent, PDS: 0 Prozent, NPD: 0 Prozent, Sonstige: 0 Prozent. Ungültige Stimmen: 0 Prozent. Gültige Stimmen: 0 Prozent. Wahlbeteiligung: 0 Prozent. Nach der 25. Hochrechnung holte ein sehr blaß aussehender und etwas verworren wirkender Moderator die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen vor die Fernsehkameras und befragte sie mit zitternder Stimme nach ihrer Meinung zur Wahl. Die Vorsitzenden aber strahlten mit gewohnt fröhlicher Miene in das Gewimmel von Kameras und Blitzlichtern, die sie wie das tägliche Brot brauchten. Und sie warfen ihre Statements wie Bonbons über die thekenartigen Aufbauten, gegen die sie sich trotzig stemmten: »Wir, die SPD, können sagen, daß uns keine andere Partei überholt hat. Wir danken den Wählern für ihr Vertrauen. Das ist ein Sieg auf der ganzen Linie!« »Aber Sie müssen doch eingestehen, daß wir, die CDU, gleichgezogen sind! Wir werten das im Rückblick auf die letzten Jahre als großen Erfolg!« »Die Grünen haben zugelegt! Wir hätten uns dieses Ergebnis nie träumen lassen. So hautnah an die großen Parteien herangekommen zu sein, das gibt uns Hoffnung.« »Die FDP hat einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht. Wir brauchen uns hinter den großen Parteien nicht mehr zu verstecken. Wir sind ihnen nun gleich. Jetzt heißt es, nach vorn zu denken.« »Wer hat die PDS totgesagt? Wer tut es immer noch? Wir haben mit die Spitze erreicht. Das war unser Ziel.« »Wir, alle NPD-Mitglieder und Verfassungsschützer, jubeln! Sieg! Sieg! Sieg heil! Wir kommen!« Der leichenblaß gewordene Moderator stammelte: »Danke, wir gehen damit zurück.« Im Casino des Senders saßen die Fraktionsvorsitzenden danach noch gemütlich zusammen und kamen überein, daß alles nicht so schlimm sei. Denn im Grunde seien sie doch beim Regieren, Koalieren und Oppositionieren immer schon ohne die Wähler ausgekommen.
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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