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Ein Monolog hebt an, der davon kündet: Das Minimalistische ist eindrucksvoller als das extrem Expressionistische, spartanischer Gestus, gebremste Emotionen, Artikulationen, visuelle Sprache sind die wahren Metaphern der Szene. And so on. Ich wurde unruhig. Es ist lange her, daß ich meine Ausbildung in der Schauspielschule begann. Da hatten wir das schon. Und ich mache mir Gedanken darüber, wie der Heilsbringer dieser Botschaft damit bei den erprobten Protagonisten des Hauses in der Schumannstraße ankommen mag. »Er trägt Eulen nach Athen«, höre ich später von einem der mitwirkenden Harlekine. Eine lange Stunde agiert Magier Wilson auf den Brettern, die auch ihm die Welt bedeuten, führt seine Erkenntnisse mittels Körperhaltungen vor (sehr verklemmt) und läßt mich wieder einmal staunen, mit wie wenig Zutaten manche Menschen ihr Süpplein kochen. Nur: Diesmal schmeckte es mir nicht. Alle Ossietzky-Leser, insonderheit Lothar Kusche, wissen, wie sehr ich dem Fantasiefeuer von Wilsons Theater erlegen war. Seine Theorie an diesem Vormittag mußte ich leider kritisch begleiten. Und entsprechend irritiert besuchte ich »Doktor Caligari« am Deutschen Theater, Wilsons jüngste Zauberformel. Die Geschichte wird an diesem Abend als bekannt vorausgesetzt. Kurzfassung: Ein Wahnsinniger führt, mordend, ein Doppelleben und wird entdeckt. Er ist Direktor der Irrenanstalt. Ein oftmals variiertes Thema: Das Böse in uns und drum herum. Vorhang auf. Ein Jahrmarkt vor dekorativer Kulisse, wechselnde Farben, Life-Musik (Peter und der Wolf nebst anderem), die Schauspieler kommen, Schattenrissen vergleichbar, mit ruckenden, gleitenden, wogenden Bewegungen auf die Szene getippelt, gestelzt und gleiten, hopsen, staksen wieder von der Bühne. Akustisch werden sie von einem Tonmix aus Jahrmarktslärm, schrillem Schrecken, Donnerkrachen, Pfiffen und diffuser Lautmalerei begleitet. Viele Blautöne, Türkisenes, knallig Rotes, Gelbes, Grünes - alles wie stets bei Wilson - belebt den Hintergrund und die Akteure. Schatten werden geworfen, Musik aller Stile umspült uns, die mannigfachen Morde gehen unblutig vonstatten - ja. Krönung der Veranstaltung: Schweigende Schauspieler, stumme Grimassierer, stummfilmhafte Agierer, nicht immer präzise in den choreographierten Bewegungsabläufen. Das wäre eine Aufgabe für eine hochtrainierte Tanztruppe. Wozu Schauspieler? Das bleibt mir verschlossen. Später befrage ich Mitglieder des Ensembles nach ihrer Befindlichkeit. Fazit: Wer sich selbst aufgeben kann, bereit ist, Wilsons Marionette zu sein, fühlt sich besser als die Protagonisten des Hauses, die das Desinteresse an ihrer Person beklagen, sich ungeliebt fühlen, vergewaltigt sogar, verhaltensgestört auch. »Wilson macht alles allein« - »Du bist kein Partner für ihn« - Seine Devise sei: »Verfügbar sein«. Wilson der Autist. Und genau da schließt meine Beobachtung an. Mitten in der Vorführung des »Caligari« schoß mir die »Prinzhorn-Sammlung« in den Sinn. Eine Kunstsammlung von Arbeiten psychisch Kranker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Kreativität der Schizophrenen noch nicht in chemischen Zwangsjacken steckte. Von daher erinnere ich einen ähnlich befremdlichen, erstaunlichen und faszinierenden Umgang mit den bildenden Künsten. Stumme Schauspieler finden dort allerdings keine Erwähnung. Die Schauspieler hier heißen: Christian Grashof, Bernd Stempel, Peter Ehrlich, Volkmar Kleinert, Gabriele Völsch, Ellen Schlootz, Francesco Cordella, Maximilian von Pufendorf, Andreas Bisowski, Michael Gerber, Ursula Staack, Michael Schweighöfer, Günter Falkenau, Jürgen Huth, Barbara Schnitzler, Heidrun Perdelwitz. Ihre Arbeit, ich sage es mit Bedauern für die vielfältige Schar erprobter Darsteller, bleibt austauschbar. Einsamer, einziger Protagonist dieses Abends ist der Künstler Wilson. Er zelebriert sich selbst. In aller Bescheidenheit. * »Glückliche Tage« von Samuel Beckett im Berliner Ensemble, Inszenierung Edith Clever, eine Koproduktion mit dem Burgtheater Wien. Ein beglückender Abend, der einer wundervollen Schauspielerin zu danken ist: Jutta Lampe. In zwei Spielstunden beherrscht sie - beinahe reglos - die Szene, zelebriert Schauspielkunst, daß es eine Lust ist, Zuschauer zu sein, verführt zu werden zu einem grandiosen Text, den sie auslotet, ja, auskostet. Becketts Kenntnis der weiblichen von Frauen in jahrzehntelanger ehelicher Einbindung, ihrem unauflöslichen Gefangensein, ist erstaunlich. Das tägliche Einerlei zwischen zwei Einsamkeiten, die scheinbar endlose Lebensschleife, die da abspult zwischen Mann und Frau, wird erbarmungslos vorgeführt. Grandioser Kunstgriff des Autors: Winnie, die Frau, in der Wüste - wortwörtlich und bildhaft: Wüste - ihres Lebens versinken zu lassen. Sie steckt in einem Erdhaufen, ihr Unterleib versandet, vergeht. Den Mann sehen wir, selten nur, im Anschnitt, ansonsten liegt er außerhalb unseres und ihres Blickfeldes hinter der nächsten Sanddüne. Er will »in Frieden gelassen werden und verlangt doch die ganze Zeit den Himmel auf Erden«, definiert Winnie, die Frau, Willie, den Mann. Ihre Geduld und Tapferkeit, ihre katastrophale Selbstaufgabe für diesen sich räuspernden, hustenden, Popel fressenden Mann, ihre verrückte Zähigkeit, mit seligem Lächeln jeden Tag einen »glücklichen Tag« zu nennen, zerreißt einem das Herz, macht widerwillig lachen und wütendsein. Beckett nennt es »wildes Lachen unter schwerstem Weh«. Seine Vorstellung von Mann und Frau in der Institution Ehe, von Unvereinbarkeit und Unauflöslichkeit setzt er schmerzhaft wahr und verzweifelt schön in Szene. Jutta Lampe und Urs Hefti (der Mann) entsprechen gnadenlos dem Dichterwort. Wie ein Chirurg seinen sezierenden Schnitt führt, um »das Schlimme« bloß zu legen, schneiden sie sich selbst und gegenseitig ins Fleisch ihrer Isolation, um einander zu spüren. Verblüffend ist die Heiterkeit, mit der das geschieht. Die lichte Szene (Christoff Wiesinger) trägt ebenso dazu bei wie der gelassen zwitschernde, schwätzernde Tonfall Winnies, der Frau. Selbst ihre schlimmen Wahrheiten sind lind, ohne Schärfe. Das ist die einzige offene Frage, die mir blieb: Zum Ende des Textes, Winnies Leib ist jetzt bis zum Hals versunken, erfahren wir: »Mein Kopf war immer voll von Schreien«. Ganz leise kommt das, aus gesammelter Stille, wie stets geduldig. Einmal hätte ich sehen wollen: Winnie rebelliert, läßt diesen Schrei, einen von ungezählten, aus sich herausfahren. Der Schlußtext könnte solche Ironie und Ätzung vertragen. Jutta Lampe und Edith Clever wählten die elegante Variante: gelassene Heiterkeit. Minutenlanger stehender Beifall war der Dank des Publikums.
Erschienen in Ossietzky 8/2002 |
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