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Ernst Nolte hat mit seiner Frage »War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz?« nur die Tradition der Bereitwilligkeit und des Diensteifers fortgesetzt. Vor bald 500 Jahren schrieb Martin Luther das Pamphlet »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«. Und viele glaubten ihm, glauben ihm bis heute, daß die Bauern schlimmer und blutdürstiger waren als Adel, Fronherren und hohe Geistlichkeit. Was scheren sie die Berichte von Augenzeugen? Was schert es sie, daß der Schwäbische Bund vermeldete, nach der Niederschlagung des Aufstandes seien allein in seinem Bereich 10 000 Menschen hingerichtet worden? Der Henker des Georg Truchseß von Waldburg rühmte sich, mit eigener Hand 1200 Bauern geköpft zu haben. Ins elsässische Zabern drangen die Truppen des Herzogs Anton von Lothringen ein, nachdem die Stadt die Tore geöffnet und die Bauern ihre Waffen auf das Versprechen freien Abzugs hin niedergelegt hatten. Es wird berichtet: »Bald schwammen alle Häuser und Gassen in Blut. Über 10 000 Bauern und einfache Bürger, auch Kinder, wurden erstochen und erschlagen.« Der über den Sieg erfreute Herr von Rappoltstein schrieb: »Die schönsten Weiber, Töchter, Kindbetterinnen nahmen sie mit sich, brauchten sie nach ihrem Willen und ließen sie dann wieder heimgehen; sie handelten mit Weibern und ließen die Männer zusehen, die sie hernach erstachen und erbärmlich behandelten.« Macht nicht´s. Geredet wurde damals und später nur noch von der »Schreckenstat von Weinsberg«, wo die Bauern einmal etwa 15 Ritter durch die »Spieße gejagt hatten«, eine sonst den Herren vorbehaltene Strafmaßnahme gegen ungehorsame Leibeigene und Landsknechte. Noch 1965 behauptete der evangelische Landesbischof von Hannover, Hanns Lilje, in seiner Luther-Biographie entgegen der geschichtlichen Wahrheit: »Die Truppen der aufrührerischen Bauern hatten zum Teil auf entsetzliche Weise die Reihe der Gewalttaten begonnen« und: »Der Aufstand der Bauern war in seinen Exzessen unentschuldbar.« Ein Vierteljahrtausend später erhob sich das französische Volk gegen die Herrschenden. In der dominierenden Geschichtsschreibung widerfuhr und widerfährt den Revolutionären das Gleiche wie den deutschen Bauern. Gewiß werden inzwischen manche Errungenschaften gewürdigt, soweit sie im Endeffekt vor allem der Bourgeoisie und der sich langsam entwickelnden Kapitalistenklasse dienten. Aber weiter wird im gleichen Atemzug die »Schreckensherrschaft« beschworen, für die neben den jakobinischen Kleinbürgern die Sansculotten, also das einfache Volk, verantwortlich gemacht werden. Die Tendenz solcher Geschichtsschreibung ist unverkennbar die gleiche. Bestenfalls am Rande wird vermerkt, was vor dem »Terreur« geschah: blutige Konterrevolution, Verrat, ausländische Invasion. Verschwiegen wird erst recht, was Jahrhunderte lang vorausgegangen war. Wohl niemand hat das besser und eindringlicher geschildert als Mark Twain in seinem Roman »Ein Yankee am Hof von König Artus«: »Zwei Schreckensherrschaften hat es gegeben, wenn wir uns nur darauf besinnen oder darüber nachdenken wollten. Die eine dauerte nur Monate, die andere hatte bereits tausend Jahre gedauert; die eine brachte zehntausend Menschen den Tod, die andere Hunderten Millionen: Wir aber schaudern immer nur vor den ›Schrecken‹ der geringeren Terrorherrschaft... Ein Stadtfriedhof könnte die Särge fassen, die jene kurze Schreckensherrschaft gefüllt hat und über die zu schaudern und zu trauern wir alle so eifrig gelehrt worden sind, aber ganz Frankreich könnte kaum die von jener älteren und echten Schreckensherrschaft gefüllten Särge fassen.« Diese Vorgeschichte in ihrem ganzen Ausmaß und mit der gebührenden Anteilnahme zu betrachten, sei noch keiner gelehrt worden. Noch im Bundestagswahlkampf 1980 beschimpfte der Unions-Kanzlerkandidat Franz Joseph Strauß die Linken als Ratten und Jakobiner. 90 Jahre nach der Großen Revolution fielen bei der Niederschlagung der Commune von Paris allein in einer Woche mindestens viermal so viele Menschen dem weißen Terror zum Opfer als in jenen neun Monaten Jakobinerherrschaft von September 1793 bis Juni 1794. In welchen Schulbüchern ist zu lesen, daß 1871 in der blutigen Mai-Woche in Paris und Umgebung weit über 20 000 Menschen - Männer, Frauen und Kinder - dem weißen Terror zum Opfer fielen? Daß das wahllose Hinschlachten erst eingestellt wurde, als wegen der Tausende von unbestatteten und in der Seine treibenden Leichen die Luft der Hauptstadt verpestet war und Seuchen drohten? Selbst dafür machte die Presse der Bour geoisie die Kommunarden verantwortlich. »Diese Elenden, die uns lebend so viel Schaden gebracht haben, fahren noch nach ihrem Tode fort, uns zu schaden«, schrieb ein spießbürgerliches Blatt. Der konservative Figaro rief auf: »Vorwärts, ehrliche Leuchte, legt mit Hand an, um dieses demokratische und internationale Gewürm zu vertilgen« und rühmte die »wunderbare Haltung« der Offiziere und Soldaten. Die Entstellung der Tatsachen ging Jahre und Jahrzehnte weiter, indem man dem Volk noch nachträglich Angst vor der »furchtbaren, verbrecherischen Insurrektion«, vor Chaos und Anarchie einjagen wollte, die die Kommunarden verbreitet hätten. Die Veröffentlichung der ersten korrekten Darstellung jener Tage (Lissagaray: »Die Geschichte der Kommune von 1871«) wurde nicht nur in Frankreich, sondern durch Bismarck auch in Deutschland verboten. Zur Sühne für die »Verbrechen« der Kommune errichtete die herrschende Klasse Frankreichs gar die Kirche Sacré-Coeur auf dem Montmartre. Niemand außer den wenigen sozialistischen Blättern und Politikern erwähnte die entsetzlichen Massaker. Die etablierten Historiker sowieso nicht. Denn die Noltes sind auf den roten Terror abonniert. Kein Wort davon, daß er im russischen Bürgerkrieg durch den weißen Terror provoziert worden ist, der auch den Juden galt. Gerhard Zwerenz bringt es in Ossietzky 6/2002 mit einem Zitat von Arno Lustiger auf den Punkt: »Kein Gedanke daran, daß der Holocaust, für den Auschwitz als Synonym steht, an die Massaker der konterrevolutionären weißen Armeen im russischen Bürgerkrieg anknüpfte. Ìm Bürgerkrieg wurden die Juden in die Arme der Bolschewiki getrieben, denn der Sieg der Weißgardisten hätte ihre Auslöschung bedeutet. Zwischen 1917 und 1921 kam es zu 1236 Pogromen in 530 Städten und Stetls, bei denen 60 000 Juden ermordet wurden.« Doch als Vorlage für den Geschichtsunterricht wie für historische Schundromane und -filme, für Reden der Politiker der Rechten und der »Mitte«, für alle Plädoyers zur Verteidigung der real existierenden Ungleichheit dienen die Behauptungen der Noltes, ihrer Vorgänger und Nachläufer. Die da unten sind an allem schuld. Das ist ihre schicksalhafte gottgewollte, natürliche Bestimmung.
Erschienen in Ossietzky 8/2002 |
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