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Aber schon wenige Kilometer flußaufwärts hinter der Industriemetropole wird der Clyde zum Begleiter einer traumhaften Landschaft mit sanften Hügeln und grünen Wiesen, pittoresken Dörfern und Städtchen, die ihren Charakter anscheinend seit Jahrhunderten kaum verändert haben. »Y-strad-cluyd« - das warme Tal - nannten die alten Schotten auf Gälisch diese von der Natur reich gesegnete Gegend. Wo sich der Fluß zu einem kraftvollen Wasserfall verengt, lernte ich Annie McLeod kennen. Es war eine anrührende Begegnung. Im Großbritannien vor 180 Jahren gehörte Annie sicherlich zu den glücklicheren Kindern. Sie mußte nur zehneinhalb Stunden täglich in der Spinnerei arbeiten und nicht 14, wie es für Kinder aus Arbeiterfamilien im Zeitalter der frühen Industrialisierung üblich war. Auch konnte sie bis zum zehnten Lebensjahr zur Schule gehen. Üblich war Kinderarbeit ab sechs. Annie, 1810 in New Lanark geboren, ist jetzt eine Stimme, die den Besuchern des Ortes von Fron und Kinderleid jener Zeit, aber auch von dem Sozialreformer und utopischen Sozialisten Robert Owen erzählt, dem sie hier häufig begegnet sein mag. Sein Wirken wurde der Nachwelt in einem ungewöhnlichen Museum zugänglich gemacht. Die Industriesiedlung New Lanark ist in ihrer Bausubstanz hervorragend erhalten. Die riesigen Spinnstuben, die einst wegen des feinen Baumwollstaubs künstlich feucht gehalten werden mußten, sind noch zu besichtigen. Original eingerichtete Arbeiterwohnungen demonstrieren, wie eine zehnköpfige Familie in zwei Zimmern hausen konnte. Zu besuchen ist auch ein »Village Store« des Jahres 1813 mit der Einkaufsliste von Annie McLeods Mutter. Hauptattraktion des vielfach preisgekrönten Besucherzentrums ist »The Annie McLeod Experience«, eine Kabinenfahrt im Dunkeln, die den Besuchern einen Einblick in das Arbeiterleben des Jahres 1820 gibt, und zwar aus der Sicht der zehnjährigen Annie. Die über Lautsprecher erzählte Geschichte des Mädchens wird in fast allen Weltsprachen schriftlich mitgeliefert. Die UNESCO hat New Lanark als schützenswertes »Erbe der Menschheit« auf die Liste der »World Heritage Sites« gesetzt. New Lanark wurde um 1785 von dem Glasgower Unternehmer David Dale an den reißenden Clyde-Fällen erbaut, um die Wasserkraft zum Antrieb für die damals neu entwickelten mechanischen Spinnmaschinen zu nutzen. Billige Arbeitskräfte rekrutierte er in den Waisenhäusern von Glasgow und Edinburgh und unter den von ihren Ländereien vertriebenen Bauern der Highlands. 1799 war New Lanark die größte schottische Baumwollspinnerei. 2500 Menschen lebten und arbeiteten in dem Dorf. Im gleichen Jahr heiratete die Gründertochter Caroline den erfolgreichen Industriemanager Robert Owen, der das Werk seines Schwiegervaters fortsetzte und die Fabrikanlage schließlich kaufte. Der von dem Arbeiterelend tief erschütterte Owen begann unverzüglich, seine Reformideen in die Tat umzusetzen. Er reduzierte die Arbeitszeit, erhöhte die Löhne und schaffte die Arbeit für Kinder unter zehn ab. Eines der ersten Gebäude, das er in die enge Talsiedlung hineinbaute, war die Schule. Er nannte sie - entsprechend seiner Überzeugung, daß nur gute Bildung einen guten Charakter formt - das »Institut zur Formierung des Charakters«. So standen nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen auf dem Stundenplan, sondern auch Naturkunde, Musik und Tanz. Die Prügelstrafe hatte er streng verboten. Die Schule, die auch der Erwachsenenbildung diente, entwickelte sich zum sozialen Zentrum des Dorfes. New Lanark wurde zu einer Solidargemeinschaft, zu der auch eine Betriebskrankenkasse gehörte. Lebensmittel und andere Bedarfsgüter wurden per Großeinkauf besorgt und ohne Gewinnaufschlag im Village Store verkauft. So begründete Owen die Idee der Konsumgenossenschaften. Der Fabrikherr mit den nonkonformistischen, radikalen Reformideen war zu der Ansicht gelangt, daß die bestehende Ordnung ungerecht sei, weil den Arbeitern gehören müsse, was sie durch ihre Arbeit schaffen. »Owens Kommunen haben gezeigt, dass die Großproduktion auch ohne die Existenz einer Herrenklasse stattfinden kann«, lobte ihn Karl Marx. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts verkaufte Owen New Lanark. Nach einem erfolglosen Modellversuch in den USA kam er zurück nach Großbritannien und gilt heute als der Gründer der britischen Gewerkschaftsbewegung. »Auch wir deutschen Sozialisten können stolz auf Robert Owen sein«, würdigte ihn Friedrich Engels ein halbes Jahrhundert später. Annie McLeod charakterisiert ihn so: »Manchmal sind seine Ideen vielleicht ein bißchen merkwürdig, manchmal verstehen wir sie nicht. Auch ist er wohl ein bißchen streng und furchterregend. Doch er ist gerecht und freundlich. Ich glaube, er steht auf unserer Seite.« In New Lanark wurde bis zum Jahre 1968 produziert. Eine Bürgerinitiative und schließlich der 1974 gegründete »New Lanark Conservations Trust« stoppten den schnellen Verfall des Fabrik- und Wohnkomplexes. Er wurde unter Denkmalsschutz gestellt. 1995 waren die Restaurationsarbeiten weitgehend abgeschlossen. Heute herrscht wieder reges Leben in dem Dorf. Rund 200 Menschen haben modern ausgestattete Wohnungen bezogen. Die Warteliste der Interessenten ist lang. Für die wachsende Besucherschar aus aller Welt stehen in den wiederhergestellten Fabrikgebäuden ein gut organisiertes Besucherzentrum, eine Cafeteria, eine Jugendherberge und ein Drei-Sterne-Hotel bereit.
Erschienen in Ossietzky 8/2002 |
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