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Tatsächlich verfaßt er bald zahlreiche Texte. Zusammen mit anderen gibt der junge Intellektuelle gegen den erstarkenden Nazismus gerichtete Untergrundschriften heraus. Mit einem Packen Flugblätter unterm Mantel trifft er in der Straßenbahn auf eine Gruppe von SS-Leuten, deren Mißtrauen und die drohende Kontrolle er abwenden kann, indem er mehrfach laut und eifrig »Heil Hitler!« ruft. 1932 Heirat im Schöneberger Rathaus mit der jungen Jüdin Hilde Tradelius, die wohlhabenden Schwiegereltern finanzieren den jungen Leuten eine Buchhandlung. Das Geschäft blüht, der Erfolg ist nicht ohne Bitternis: Sie verkaufen jede Art von Wörterbüchern, viele Gefährdete wollen Sprachen lernen, um im Ausland bestehen zu können, wenn ihnen nur noch die Flucht aus dem braunen Dritten Reich als Rettung bleibt. Konsequenz aus Kurt Deutschs antifaschistischer Untergrundarbeit: Die Nazis setzen eine Prämie auf seinen Kopf aus. Der drohenden Verhaftung entkommt er knapp über die Tschechoslowakei nach Schweden. Seine Frau Hilde wird festgenommen und im Gefängnis Moabit in die Zelle verbracht, in der im 1. Weltkrieg Rosa Luxemburg eine Haftstrafe für ihren Kampf gegen den Militarismus abbüßte. In Schweden macht sich der junge Autor Kurt Singer durch eine Reihe von Artikeln einen Namen. 1934/35 erhält er den Auftrag, Leo Trotzki zu interviewen, der im norwegischen Hönefoss Zuflucht gefunden hat. Es ist schwer, sich dem berühmten Revolutionär zu nähern, die russische Grenze ist nahe und Stalin hat geschworen, seinen Hauptfeind zu erledigen. Zum Gespräch wird Kurt begleitet von Hilde, die nach einem Jahr Gestapohaft Deutschland auf abenteuerlichen Wegen verlassen konnte. Empfangen werden die beiden durch zwei äußerst mißtrauische Trotzki-Sekretäre, Hildes Gefängnisstrafe vermag sie nicht zu beeindrucken, vielleicht ist die Frau ja Kommunistin und für Stalins Sowjetunion. Beides trifft nicht zu. Das Treffen mit Trotzki findet aus Vorsicht im Garten statt. Die schwedische Zeitschrift Folket i Bild wünscht ein Interview über die privaten Lebensumstände des Oktoberrevolutionshelden. Der lehnt ungnädig ab und verkündet als Credo: »Ich esse, trinke und schlafe Revolution. Revolution ist mein Beruf, mein Leben.« Dann erzählt er eine russische Fabel: Ein alter Bauer, vor dem sich alle ein wenig fürchten, lebt im Wald. Die Leute erblicken von weitem immer nur seine sich unablässig bewegenden Arme: Auf und ab - Tag für Tag. Endlich traut sich ein Kind näher heraus. Es sieht, der Mann ist gar nicht alt und seine Arbeit besteht darin, Messer zu schleifen, Stück um Stück. Ich bin dieser Mann, erklärt Trotzki, ich schärfe täglich meine Messer. Der von dem Treffen etwas enttäuschte Kurt Singer faßt seine Eindrücke zusammen: »Je größer der Mann, desto größer sind oft seine Irrtümer.« Die internationale Presse stürzt sich begierig auf das Gespräch, die Sowjetunion ist empört, da wagt es einer, mit dem von Stalin meistgehaßten Menschen zu reden. Fortan hat Singer die Ehre, sowohl auf der braunen wie der roten Todesliste zu stehen. Schweden will neutral bleiben, doch das Land wird überschwemmt von Hitlers und Stalins Agenten. Ein wichtiger schwedischer Geheimdienstler bittet Singer um Mitarbeit, der hat keine Ahnung vom Spionagegeschäft, kennt nur eine Reihe von Büchern und Filmen zum Thema und eine Stelle aus der Bibel, in der Gott Moses nach Kanaan entsendet, um die Verhältnisse dort auszuspähen. Das Understatement, mit dem er in seiner Autobiographie »I spied and survived«, erschienen 1980 in der USA, den Beginn seiner Agentenkarriere schildert, ist typisch für diese Lebensbilanz. Andere Schriftsteller hätten daraus mit Recht mehrere Trauerspiele geformt, unser Autor verliert nie seine Selbstironie, gestattet sich keinerlei Pathos, und trotz Tod und Teufel ringsherum hält er sich souverän auf dem schmalen Grat zwischen Tragödie und Komödie. Weiß der Himmel, was ihn diese Haltung gekostet hat. Es ist eine Schande, daß seine Lebensgeschichte nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Kaum bekannt ist bei uns auch ein anderer Bestseller Kurt Singers, das 1936 in Schweden publizierte Buch über Carl von Ossietzsky, den von den Nazis ins Konzentrationslager gesperrten und zu Tode gepeinigten letzten Herausgeber der Weltbühne, Titel: »Ossietzky - Fredens Forkaemper«. Singer setzte sich als einer der ersten für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den deutschen Pazifisten ein und zeichnete auch die Geschichte Martin Niemöllers auf. Menschen wie Ossietzky, Niemöller und Willy Brandt, mit dem er in Schweden zusammenarbeitete und den er hoch schätzt, trugen wohl dazu bei, daß der jüdische Emigrant, dessen Großvater als Achtzigjähriger vergast wurde und aus dessen Familie und Freundeskreis viele Männer und Frauen dem Hitlerregime zum Opfer fielen, seinen Satz »Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher« zu modifizieren vermochte in die Aussage: »Nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi.« In den USA schrieb Singer Biographien über Hemingway, Albert Schweitzer, Charles Laughton, führte Gespräche mit Albert Einstein, fühlt sich verbunden mit William L. Shirer, Verfasser von »Aufstieg und Fall des Dritten Reiches«, und Upton Sinclair. Singer kappte die Kontakte zu schwedischen und amerikanischen Geheimdienstorganisationen, denen im Kampf gegen Hitler zuzuarbeiten notwendig und nützlich war. Die Sowjetunion verzieh dem Trotzki-Interviewer nie. Wert legt der gelernte Pazifist K.S. auf die Tatsache, daß er in seiner Zeit als Spion nie eine Waffe benutzt habe. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Kurt und Hilde Singer aus Schweden ausgewiesen. Nach dem Krieg kam heraus: Der Beamte, der die Ausweisung unterzeichnet hatte, war ein Nazi-Spion, der dann zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Die ersten Wege des mit knapper Not nach Amerika gelangten Emigranten waren nicht mit Rosen bestreut, nach der Ankunft in den USA wurde er gemeinsam mit Frau und Kind in Ellis Island interniert. Der Einwanderungsoffizier vermerkte in den Akten über den Neuankömmling: »Obviously another red newspaperman«. In den folgenden Jahren schrieb Singer weiter Bücher, hielt Vorträge, war bei Radio, Fernsehen und Film begehrt und betrieb bis ins hohe Alter eine florierende Literaturagentur. Ossietzky-Leser kennen seine »Briefe aus Kalifornien«.
Erschienen in Ossietzky 8/2002 |
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