Butterfahrt auf der Oder

von Hans Joachim Nauschütz

Da hat sich etwas getan: Schiffe, manchmal drei oder sogar vier zugleich, liegen im Flußhafen des Oderdorfes Mescherin. Das Bollwerk ist edel geworden, die Anlagen sind gepflegt. Busse aus Berlin und Kiel und Hannover und Kyritz an der Knatter haben Schattenplätze. Wenn den Tagestouristen so viel Zeit bleibt, bummeln sie ein paar Minuten durchs Dorf. Von polnischer Seite quirlt und drängt es über die Fußgängerbrücke: Auch die Nachbarn eilen zu den Schiffen.

Vollbesetzte Dampfer in einer intakten Flußlandschaft - ein gutes Bild. Ich erinnere mich an andere Bilder aus den 80er Jahren. Der gleiche Fluß in gleicher Landschaft. Kein edles Bollwerk für Schiffe. Eine DDR-Zollstation. Und man kann nicht hinüber. Ich beobachtete das vom Fenster eines Hauses am Fluß aus. Das war einem Freund zugefallen. Er lebt durch Heirat in Rom. Alle Jahre kam er für ein paar Wochen, um auf dem Grundstück nach dem Rechten zu sehen. Er kam immer mit dem Auto, überquerte fast mühelos mehrere Grenzen und landete an dieser damals dichten. Inzwischen fliegt er schon mal. Oder seine Familie fliegt bis Szczecin. Dort holt er sie ab. 25 Kilometer.

Die Schiffe stammen von der Ostseeküste Schleswig-Holsteins. Es sind die Butterdampfer, die dort aus EU-Gründen nicht mehr Butterdampfer sein durften. Der meine legt um 18 Uhr ab zur Abendfahrt. Und legt nach zehn Minuten jenseits an der polnischen Zoll- und Grenzstation an. Dort darf niemand aus Polen zusteigen oder als Deutscher aussteigen. Weiß der Teufel, warum! Er legt also an mit deutschen und polnischen Passagieren, die in Mescherin an Bord gestiegen sind. Dann kommt der polnische Zoll und entsiegelt den Shop. Wir verlassen den Zollort und fahren einige Kilometer Richtung Szczecin. Die Landschaft beeindruckt. Flußauenlandschaften mit intakten Ufern sind eine Pracht. Im Shop ist es voll. Im Salon wird Suppe serviert und Würstchen und Bier. Nach einer Stunde Rückkehr. Wieder die polnische Zollstation. Der Shop wird versiegelt. Der Rest Bier ist getrunken. Die Tüten sind geschultert: Zigaretten, Schnaps, Kosmetik, Kaffee, Waschpulver.

Nach knapp zwei Stunden legt der internationale Verkehr in Mescherin wieder an. Die deutschen Bustouristen besteigen die Busse, die polnischen eilen über die Fußgängerbrücke nach Hause. Jeder hat sein Schnäppchen gemacht.

Später sitze ich mit meinem Freund an seinem freundlichen Fenster. Wir schauen auf ein kleines, kompaktes Lastschiff, welches zum polnischen Ufer stampft. »Das ist Berliner Bettwäsche, aus den Hotels«, sagt mein Freund. »Ein Pfiffikus läßt in Gryfino, ganz in der Nähe, waschen. Die Berliner Hotelwäsche. Und hat dafür ein Fährboot bauen lassen. Ein sehr gutes Geschäft, sag ich dir.«

Auch wir langen zu unserem Schnäppchen. Es ist finnischer Wodka. Wir trinken auf die Oder und den unverstellten Blick auf sie. Was sollen wir uns noch wünschen? Daß die EU-Grenze weiterzieht gen Osten?

Erschienen in Ossietzky 7/2002