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Damit war ein neuer deutscher Mythos geboren. Eine millionenschwere Werbekampagne in den 50er und frühen 60er Jahren popularisierte den Begriff - finanziert und koordiniert durch den Verein »Die Waage«, in dem nahezu alle deutschen Großunternehmen vertreten waren. Mit Anzeigen, Plakaten, Filmen und Comics stellte man die Marktwirtschaft gegen die »östliche Zwangswirtschaft« und gegen Forderungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. »Der Klassenkampf ist zu Ende«, hieß es in einer Anzeige zum Jahreswechsel 1956/57. »Im freien Deutschland vollzieht sich eine geschichtliche Wandlung: Der ehemals klassenbewußte Arbeiter wird zum selbstbewußten, freien Bürger.« Unterstützt wurde die Massenpropaganda durch die Aktivitäten der »Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft« (ASM), die mit Schriften und Tagungen für die zielgruppengerechte Schulung von Multiplikatoren sorgte. Die damals so erfolgreiche Marketingkampagne findet derzeit ihre Fortsetzung durch die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«. Das Ziel ist einfach zu benennen: weniger Sozialstaat, dafür mehr Markt und Wettbewerb, vor allem in den Bereichen Bildung und Beschäftigung (Arbeitsmarkt). Getragen wird die Kampagne von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Vorsitzender des Kuratoriums ist der ehemalige Bundesbankpräsident Tietmeyer, zu den Unterstützern der Initiative zählen neben führenden CDU- und CSU-Politikern auch SPD-Politiker wie der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel, Peter Glotz oder Siegmar Mosdorf sowie vom grünen Koalitionspartner Margareta Wolf und Oswald Metzger. Im Spätsommer des vergangenen Jahr stellte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel der Öffentlichkeit ein wirtschaftspolitisches Papier vor, mit dem sie für die kommende Bundestagswahl punkten wollte. Titel: »Neue Soziale Marktwirtschaft«. Das führte zu einem Disput im Unionslager über das Adjektiv »neu«, da einige Parteifreunde anmerkten, man müsse die Soziale Marktwirtschaft nicht neu erfinden, sondern sie lediglich im Geiste Ludwig Erhards revitalisieren. Die schnelle Einebnung des internen Konfliktes konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wirtschaftsprogrammatische Kontur unscharf blieb. Die begriffliche Verwirrung hatte schon eingesetzt, als in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auch die Sozialdemokratie und der Deutsche Gewerkschaftsbund sich zur Sozialen Marktwirtschaft bekannten. So ist im DGB-Grundsatzpro-gramm seit 1996 die Rede vom »großen historischen Fortschritt gegenüber einem ungebändigten Kapitalismus«. Und Oskar Lafontaine verkündete 1997 als zeitweiliger Kanzler-Aspirant: »Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Wirtschaftsmodell, das wie kein zweites offen ist für Innovationen und für Reformen. Die Soziale Marktwirtschaft wird den Weg aus der Krise weisen.« Das war erstaunlich, weil Sozialdemokraten und Gewerkschaften lange Zeit gegen die ökonomische und politische Intention der Sozialen Marktwirtschaft argumentiert und ihr programmatisch ein keynesianisch fundiertes Modell des Wohlfahrtsstaates entgegengestellt hatten. Erst der sozialdemokratische Finanzminister Karl Schiller vollzog Ende der 60er Jahre eine gewisse Korrektur, indem er keynesianische Wirtschaftssteuerung mit den wirtschaftsliberalen Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft zu vereinen suchte. Nun ist die flexible Interpretation des sozial- wie wirtschaftspolitischen Gehalts der Sozialen Marktwirtschaft durch unterschiedlichste politische Akteure - selbst die Parteien der extremen Rechten fahren in Deutschland und Österreich auf diesem Ticket - ein Stückweit nachvollziehbar. Alle wollen von einem eingeführten ideologischen Markenprodukt mit seinen hohen Akzeptanzwerten profitieren und bemühen sich deshalb, das politische Schlagwort für die eigene Mobilisierung zu nutzen. Das aber klärt nicht die Frage: Wofür steht die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, und wo liegen ihre Ursprünge? Tatsächlich reicht ihre Geschichte bis in die frühen 30er Jahre zurück. Nach der tiefgreifenden Weltwirtschaftskrise kamen liberale Ökonomen in Erklärungsnot und suchten nach neuer Orientierung. Aber statt ökonomischer Analyse des weltweiten Marktversagens und des Fehlschlags einer deflationären Wirtschaftspolitik, die mit rigorosen Kürzungen der Ausgaben, vor allem der Löhne, die Krise hatte überwinden wollen, kaprizierten sich die Väter der Sozialen Marktwirtschaft auf das Schreckbild vom wuchernden Interventionsstaat der Weimarer Republik. Der Staat sei durch den modernen Parlamentarismus zu einem Spielball der Interessengruppen geworden und deshalb nicht in der Lage, eine konsistente und erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu betreiben. Aus dieser Schuldzuweisung an den parlamentarischen Staat ging in Deutschland wie in anderen Ländern der »neue« Liberalismus hervor. Sein wirtschaftspolitisches Credo wurde bis in die frühen 40er Jahre durch die »Freiburger Schule« um Walter Eucken, Franz Böhm und Leonhard Miksch geschaffen. Der Grundgedanke bestand darin, daß die Marktwirtschaft ihre wohlstandsmehrende wie koordinierende Funktion im Wirtschaftsprozeß entfalten könne, wenn sie durch eine strenge staatliche Ordnungspolitik auf Wettbewerb verpflichtet sei. Die Freiburger bauten deshalb auf einen »starken Staat«, der das Konkurrenzprinzip durchsetzen und Marktmacht verhindern sollte. Dazu gehörten auch konjunkturpolitische Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen, soweit sie »marktkonform« blieben. Aber nicht nur die besondere Rolle des Staates und die deutlich autitären Züge kennzeichneten die spezifische Variante des frühen deutschen Neoliberalismus, der nach 1945 unter der Bezeichnung Ordoliberalismus firmierte. Vor allem Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack widmeten sich der Frage nach dem sozialen Zusammenhalt der Marktgesellschaft. Sie kritisierten den »alten Liberalismus« des 19. Jahrhunderts, weil er die sozialen Destruktionskräfte der Marktwirtschaft unterschätzt habe, und forderten nun eine Gesellschaftspolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft. Es gelte, so Rüstow, der »Zersetzung und Atomisierung des Sozialkörpers« entgegenzuwirken, ohne allerdings die Marktkräfte selbst zu beschneiden. Für die soziale Integration sollten eine ideologische Klammer - die »Einheit einer politisch-sittlichen Idee« (Böhm) - und eine »soziale Strukturpolitik« (Röpke) sorgen, um die Industriegesellschaft zu »entproletarisieren«. In den fünfziger Jahren löste sich die Soziale Marktwirtschaft allmählich von ihren ordoliberalen Ursprüngen. Das lag nicht zuletzt daran, dass ein wesentliches Vorhaben der damaligen deutschen Neoliberalen am Widerstand der Unternehmerverbände gescheitert war: eine konsequente Antimonopolpolitik als Voraussetzung für eine funktionierende Wettbewerbsordnung. Aus der programmatischen Strenge des ordoliberalen Nachkriegsentwurfs wurde in der politischen Realität eine flexible Konzeption zur ideologischen Rechtfertigung der Marktwirtschaft. Geblieben ist vor allem der Mythos, daß es Erhard und Müller-Armack gelungen sei, mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft die Grundlagen des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs der Bundesrepublik zu legen. Wenn nun seit den 90er Jahren verschiedenste politische Akteure den Mythos wiederbeleben, ist dies zunächst als Reaktion auf die sozialen Verwerfungen im aktuellen Kapitalismus zu verstehen. Wirtschaftliche und soziale Ungleichheit, strukturelle Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, aber auch die Konzentration wirtschaftlicher Macht haben national wie international eine solche Dimension erreicht, daß zunehmend Zweifel am Funktionieren des Marktes aufkommen. Selbst Profiteure wie der Börsenspekulant George Soros warnen vor der »Ideologie des Marktfundamentalismus« und fordern zur Stabilisierung des Kapitalismus eine politische Kurskorrektur. Die CDU-Formel von der »Neuen Sozialen Marktwirtschaft«, der »Dritte Weg« der Sozialdemokratie wie auch die »ökologisch-soziale Marktwirtschaft« der Grünen liegen in diesem politischen Trend. Sieht man einmal von den unterschiedlichen Verpackungen ab, orientieren sich alle Konzepte an den ordnungspolitischen Grundsätze von Erhard, Eucken und Co. - damit mögen sie kurzfristig Eindruck machen. Aber sie werden sämtlich nicht halten können, was sie versprechen: sozialen Ausgleich im kapitalistischen Machtgefüge.
Erschienen in Ossietzky 7/2002 |
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