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Daß Millionen entwurzelter Menschen an neuen Wohnorten innovativ und beschleunigend am Aufbau mitwirken könnten, lag außerhalb aller Logik und Vorstellungskraft. Aus »Volk ohne Raum« wurde Volk auf verkleinertem Raum, das sich behauptete und entwickelte. ? Vielleicht sind solche Lösungen nur unter dem gewaltigen Druck eines verlorenen Krieges möglich, der die Davongekommenen zu unerwarteten Aktivitäten anspornt. Heute erleben wir kriegerische Eskalationen, auf die mit grundsätzlichen Friedenslösungen geantwortet werden muß. Statt daß deutsche Soldaten auf kuriose Reisen in fremde Länder und Erdteile geschickt werden, ließe sich an Leistungen der Bundeswehr anknüpfen, die verletzten palästinensischen Kindern half. Warum diese Hilfen nicht zum Angebot für die zahlreichen palästinensische und israelische Kriegsopfer ausbauen? Zu den Ursachen des Nahostkonflikts zählt der Holocaust. Die deutsche Verantwortung dafür ist unbestreitbar und liegt näher als das Engagement in Afghanistan, wo ein Goethe-Institut mehr erreichen kann als aufwendig ausgebildete, den Straßenverkehr regelnde Fallschirmjäger. Während Bundeswehrkontingente geographisch in alle Winde verstreut sind, leeren sich in Ostdeutschland Dörfer und Städte. Seit der Wende sind mehr als zwei Milionen Ostdeutsche in den Westen gezogen, vor allem junge. Deswegen werden jetzt Häuser abgerissen und Schulen geschlossen, nachdem die meisten Betriebe längst stillgelegt sind. Ich schlage vor, statt ein Krankenhaus zuzumachen, es als Lazarett für palästinensische und israelische Opfer weiterzuführen. Das kostet nicht mehr als ein neues Transportflugzeug. Bei der Aufnahme ins Lazarett gilt als einzige Bedingung das Einverständnis der Patienten, gemeinsam behandelt zu werden, egal ob einer Israeli oder Palästinenser ist. Und warum nicht weiter denken? Da der Konflikt zwischen Israel und Palästina von Dauer ist, bietet sich die deutsche Lösung von 1945 an: Konnte unser Land damals so viele Millionen Vertriebene integrieren, weshalb sollte es heute nicht imstande sein, ein bis drei Millionen Palästinenser aufzunehmen? Das ist gewiß den Wählern schwer zu vermitteln. Schwieriger als die Akzeptanz teurer deutscher Beteiligungen an Kriegen in aller Welt sollte es nicht sein. Dazu müßten die Politiker ihre herrschenden banalen Ideologien überwinden. Ihre liebgewordene Gewohnheit, über die unabweisbar zu tragende Verantwortung zu reden und den Kriegen ihren Lauf zu lassen, müßte ein Ende nehmen. Ob die Opfer des Krieges im Nahen Osten von dem Angebot Gebrauch machen wollen, steht bei ihnen. Aber die Offerte soll erstmal auf den Tisch. Ich erinnere mich an verschiedene Ideen der Zeit nach 1945, als überlegt wurde, Juden eine Heimat in Deutschland zu errichten. Das ging bis zu dem Vorschlag, Berlin als ein europäisches Israel zu denken. Siegfried Prokop verweist in seiner Wolfgang-Harich-Biographie »Ich bin zu früh geboren« auf dessen Plan, ein zweites Israel »zwischen den schleswigholsteinisch-mecklenburgi schen Küsten zu verorten.« Groteske Einfälle eines Außenseiters? Undurchsetzbar und lachhaft? Der Gedanke, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken, war bis zum Jahr 2000 auch absurd. Jetzt ist er realisiert. Dürfen nur Machtpolitiker und Militärs Irrwitziges ins Kalkül ziehen und verwirklichen? Der eskalierende Krieg in Nahost verunstaltet die Welt, die sich als hilfloser Zuschauer erweist, während Länder und Kontinente in ihre barbarische Frühgeschichte samt religiöser Völkerschlachten zurücksinken. Scharons Israel bietet den Palästinensern nur verbal einen eigenen Staat an, in Wirklichkeit offeriert es ihnen lediglich die Wahl zwischen kolonialistischer Apartheid und Exodus, was die UNO zwar nicht so will, aber geschehen lassen muß, weil sie wie einst der Völkerbund handlungsunfähig gemacht wurde. Nachdem Israel die palästinensischen Strukturen zerschlagen hat, wuchert der Widerstand partisanenhaft, so daß für die Zukunft nichts als erweiterter Terror zu erwarten ist. Eine Alternative wird daher nicht nur zum jetzigen Kriegszustand gebraucht, sondern auch zum israelischen Zukunftsprogramm, das der »Ultra-Nationalist« Rehavam Zeevi schon 1991 offen aussprach: »Wir müssen endlich die Illusion aufgeben, wir könnten friedlich zusammenleben.« Zeevi forderte im stern vom 11. 4.1991 die »Vertreibung aller Palästinenser aus den besetzten Gebieten«, wobei er sich auf Gott berief: »Gott schuf das Land Israel als eine geopolitische Einheit. Man kann es nicht teilen... Die Palästinenser wollen nicht mit uns leben. Sie bringen uns um, und dann müssen wir sie umbringen... Aber Transfer hat in der Geschichte schon öfter geklappt, zum Beispiel in der Tschechoslowakei. Dort hat Benesch nach dem Krieg drei Millionen Volksdeutsche vom Sudetenland nach Deutschland geschickt, und praktisch alle fanden das in Ordnung... Ich glaube, Premier Schamir denkt wie ich... der Trend der Zeit und aller Wähler richten sich gegen... alle sozialistischen und Friedensexperimente. Ich weiß, daß meine Ideen vom Tranfer schon heute eine Mehrheit in Israel haben...« Das war 1991 zielbewußt so gesagt und ist elf Jahre später offensichtlich Scharons Regierungspolitik. Die USA unterstützen oder dulden es, die UNO kann es nicht verhindern, die schwächelnden arabischen Staaten ertragen es. Wer zu widerstehen suchte, kann als Schurkenstaat Ziel von Raketen werden. Möglicherweise weitet sich der Krieg der Staatsterroristen und der suizidären Partisanen geographisch aus wie ein Flächenbrand. Wer dies nicht will, sollte einen freiwilligen palästinensischen Exodus als Nachfolge des jüdischen Exodus vor 2000 Jahren erwägen. Beginnen wir mit dem wahrhaft bescheidenen Angebot eines Lazaretts als Hilfe für Verwundete und Verstümmelte beider Seiten - auch für die Geschockten und seelisch Kriegsversehrten. Lenken wir beharrlich den Exodus in unser nachkommenschwaches Deutschland. Mal sehen, was daraus wird, wenn wir unsere Herzen nicht verschließen. Die Kosten wären allemal geringer als der Aufwand für militärische Weltreisen. Und nutzbringender, um es auf die Ebene der Finanzwarte zu heben. Ein Deutschland, das es bis 1945 nicht schaffte, mit seiner jüdischen Minderheit zu leben, es aber fertigbrachte, in der Not viele Millionen Vertriebene aufzunehmen, wird nicht überfordert, öffnet es sich jenen Palästinensern, die zu den Nachfolgeopfern des Holocaust zählen.
Erschienen in Ossietzky 7/2002 |
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