»Man kann mühelos über den gegenwärtigen Weltkonflikt reden, ohne Deutschland
besonders erwähnen zu müssen«
Georg Fülberth in »konkret«
Das Ziel ist alt, der Weg neu. Zweimal im zwanzigsten Jahrhundert hat der Kriegseintritt der USA den Griff Deutschlands zur Weltmacht vereitelt. Das soll nicht noch einmal passieren.
Im Golfkrieg vor zehn Jahren habe ich mich mit der Behauptung beliebt gemacht, die deutsche Politik führe einen Kalten Krieg gegen die USA. Ich habe damals in einem Streitgespräch unter anderem mit Thomas Ebermann gesagt: »Wenn Deutschland Kriegspartei war, so jedenfalls nicht auf der us-amerikanischen Seite.« Dem wurde mit dem Hinweis widersprochen, dass die Bundesregierung die USA durch Landerechte und Solidaritätserklärungen unterstütze – was sich ja nicht bestreiten ließ. Es war damals nicht verständlich zu machen, dass, erstens, die Antipoden dieses neuen Kalten Kriegs zugleich Partner sein und als solche im Kampf gegen Dritte zur selben Zeit und am selben Ort gemeinsame und gegensätzliche Interessen verfolgen können. Und, zweitens, dass dieser Kalte Krieg, anders als sein Vorgänger, Posaunentöne nach Art von Radio Free Europe nicht erlaubt. Anders gesagt: dass in diesem neuen Kalten Krieg die Kriegserklärung auch als Solidaritätsadresse daherkommen kann.
1992, also nach den Erlebnissen der USA mit ihren europäischen Partnern im Golfkrieg, wurde unter dem Präsidenten George Bush sr. und seinem Verteidigungsminister Dick Cheney im Pentagon der »No Rivals Plan« entwickelt, in dem es heißt: »Unser Ziel ist es, den Aufstieg eines globalen Rivalen zu verhindern. Wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten zuvorzukommen.« Bushs damaliges Angebot an die Deutschen, Partners in Leadership zu werden, nämlich Juniorpartner, war einer dieser Versuche, der nicht verhindern konnte, dass im Laufe der neunziger Jahre in Deutschland und Europa der Antiamerikanismus, der krude des Mobs wie der perfide des Leitartikels, wuchs und gedieh. Im Mai 2001 schrieb – als ein Blatt für viele – Springers »Hamburger Abendblatt«, »die neue harte Außenpolitik der USA« beruhe »nicht auf gegenseitigem Respekt und Verständnis zwischen den Ländern ..., sondern einzig und allein auf der Stärke der letzten Supermacht, die am liebsten den Rest der Welt zu Bittstellern degradieren würde«. Ein Gedanke, den auch das »Neue Deutschland« täglich denkt.
Die Macht der Supermacht beruht auf dem Dollar als der Weltleitwährung und dem Militär. Der Dollar hat mit dem Euro erstmals Konkurrenz erhalten. Mit der Rüstung verhält es sich so, dass die USA das, was sie im Krieg gegen Jugoslawien gezeigt haben, besser können als alle ihre Konkurrenten zusammen: aufklären, bombardieren, abhauen. Und dann? Wenn der Sieg gewonnen werden muss? Dann geht Holbrooke, und es kommt Hombach, die Deutsche Mark und, weil man ja nicht alles selber machen kann und also Vertrauensleute braucht, die deutsch-albanische Freundschaft bzw. die traditionell engen deutsch-afghanischen Beziehungen aus der Zeit von Amanullah.
Nach dem 11. September hatte die Bundesregierung den USA »uneingeschränkte Solidarität« geschworen. In einem selten zitierten Satz hatte Kanzler Schröder hinzugefügt: »Es geht nicht um irgendeine außenpolitische Strategie; es geht um die Vertretung eigener Interessen.« Worin bestehen die eigenen Interessen? Das erste Interesse deutscher Politik ist es, die gewachsene Verantwortung Deutschlands weiter wachsen zu lassen, das heißt: seine Macht in der Welt zu mehren. Das verlangt, an allen Fronten dabeizusein, wo Weltpolitik gemacht wird, auch an den militärischen. Das zweite Interesse ist es, den gemeinsamen Krieg gegen Dritte zum Geländegewinn im Konkurrenzkampf mit den USA zu nutzen. Das verlangt, den Einsatz gering zu halten und den Eindruck, man tue sich schwer und handle nur unter Pression, so eindrucksvoll wie möglich, damit der Hass, den die bombenden USA auf sich ziehen, nicht auch Deutschland trifft. Die vom Fraktionschef der CDU/CSU gestellte Frage, ob die Bundesregierung bei der Bereitstellung deutscher Soldaten auf eine »amerikanische Anforderung« reagiert oder ob sie »selbst die Initiative ergriffen« hat, blieb ohne Antwort. Das ist kein Manko. Die Amerikaner sollen glauben, die Deutschen hätten sich freiwillig gemeldet, die Feinde der USA sollen glauben, die Deutschen seien von den Amis gezwungen worden. Die Parole deutscher Solidarität mit den USA lautet: so uneingeschränkt wie nötig, so eingeschränkt wie möglich.
Von den Interessen des deutschen Kapitals verstehen sogar die Leitartikler der Bürgerpresse was. Und so wird der von der »Frankfurter Allgemeinen« schon recht gehabt haben, als er am Tag nach der Kriegserklärung des Bundestags die »neue Wirklichkeit« so beschrieb: Der Beschluss, in den Krieg um Afghanistan einzutreten, bedeute eine »Entgrenzung des Raumes ..., in dem deutsche Militäreinsätze in Betracht kommen«, und eröffne der deutschen Politik eine neue Perspektive. Im Aufmacher des »Spiegel« hieß es am selben Tag: »Deutschland meldet sich endgültig auf der Weltbühne zurück.« Es sei »in der Nachkriegsrealität angekommen – zögernd zunächst, aber dann fast ungeduldig: wenn schon, dann zügig.« Auf der Weltbühne zurück und Entgrenzung des Raums – der Zwang, sprachlich dort anzuknüpfen wo das Volk ohne Raum zuletzt hat aufhören müssen, ist übermächtig.
Das Ziel ist alt, der Weg neu. Zweimal im zwanzigsten Jahrhundert hat der Kriegseintritt der USA den Griff Deutschlands zur Weltmacht vereitelt. Das soll nicht noch einmal passieren. Aufgabe der Berliner Politik ist es deshalb, den goldenen Schnitt zu finden: zwischen den deutschen Interessen und den deutschen Möglichkeiten. Das heißt: nicht als erste sich an die Front melden, sondern sich von Dritten und Vierten bitten lassen. »Es bringt nichts«, sagte der Bundesaußenminister über den 11. September und die Deutschen, »nur die Muskeln spielen zu lassen. Je mehr wir international eingebunden sind, desto mehr können wir erreichen.« Und: »Für mich ist wichtig, was man bewegt. Wenn ich in der letzten Reihe am meisten bewege, setze ich mich in die letzte Reihe. Wir Deutschen sollten immer mehr sein als scheinen.«
Die Jahre seit der Wende von 1989/90 haben die Vision oder den Alptraum, dass das Kapital kein Vaterland kenne und deshalb die kapitalistische Supranationale die Nationalstaaten und ihren Chauvinismus überwinden werde, gründlich blamiert. Was wir seither erleben, ist der Siegeszug des Standort-Kapitalismus, der auf seinen Staat baut.
Die USA und Euro-Deutschland können nicht wählen, ob sie miteinander konkurrieren wollen oder nicht. Sie sind Dienstleister ihres jeweiligen Kapitals, und der ungehinderte Zugang des einen – etwa zu den Rohstoffen – bedeutet eine Behinderung des andern. Beide Blöcke haben Pläne, wie die Welt zu ihrem Vorteil gestaltet und aufgeteilt werden müsste. Und so wird kein Konflikt auf keiner Südseeinsel mehr ohne Bezug auf die jeweils für die Region formulierten Interessen auch Deutschlands zu verstehen sein. Georg Fülberths Satz, so meiner kurzen Rede noch kürzerer Sinn, ist falsch.
Hermann L. Gremliza ist Herausgeber der Zeitschrift konkret.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 260 der iz3w - blätter des informationszentrums
3. welt.
https://sopos.org/aufsaetze/3cb6e4731f575/1.html