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Zum Balkan, Thema im ersten Teil, fallen ihr nur der "neue Frieden" und die alten Werte "Schönheit, Wahrheit, Sittlichkeit und Gemeinschaft" ein, die "Rettungsinstrumente". Nichts mehr erinnert an das Thema außer der Musik und den Musikern Fritz Feger, Philipp Haagen und Michael Verhovec, die zur Premiere stärkeren Beifall als die Schauspieler bekamen. Der "Engel Balkan" ist noch im Programmheft aufgeführt, aber in heutigen Zeiten reiche ein Engel nicht mehr aus, sagt Tomaz Pandur. Deshalb wohl ist jeder, außer Dante, Vergil und Beatrice, zum Engel geworden - oder Büßer oder Kellner im Paradies. Vieles spielt sich auf einer eisernen Brücke ab, deren linkes Drittel unsichtbar gemacht wurde. So das choreographische Pinkeln der halbnackten Engel, sehr wirkungsvoll von weit oben in die Fluten des Fegewassers. Da oben wird Schach gespielt, wird geküßt - wo bleiben die Qualen? Was unten, im trüben Wasser geschieht, ist schwer auszumachen. Wenn weiße Tücher herabschweben, wenn Beatrice (Fritzi Haberlandt) mit einem altmodischen Apparat telefoniert - dazu fällt dem Zuschauer noch etwas ein, vielleicht. Wenn die Tücher auf die Büßer herunterfallen, die sich durch Turbane in Muslime verwandeln, Gebete murmelnd, dann die Tücher waschend, Szenen wie im türkischen Bad, na ja, auch dabei kann man sich was denken. Was aber bedeutet das? Da werden Fäden aus dem Kopf gezogen - oder wird genäht? In der 15. Reihe, links draußen, ist es nicht zu erkennen. Unter dem weitausladenden Rang auf einen Platz gebannt, von dem nur drei Viertel der Bühne zu sehen sind, blieb es ein Rätsel. Später lese ich irgendwo, Dante (Thomas Schmauser), wurden die Augen zugenäht, auf daß er sehe. Manchmal aber geht es lustig zu im Fegefeuer. Oben blättert Vergil (Dietmar König) in einer Zeitung. Unten paddeln die Büßer, nun mit runden Hüten auf dem Kopf, in Gummischläuchen im Wasser und tun dasselbe, lesen. Einer bemüht sich, ein Transistorradio in Gang zu setzen - Strandidylle. Nur Dante versucht, sich sportlich zu betätigen, mit einer langen Stange, die er mit sich herumträgt. Er kämpft - auch gegen sich selbst. Kleine Feuer gibt es im Purgatorium. Büßer mit roten Grablichtern in den Händen schlängeln sich das Wasser entlang, die gebogenen Arme wie Kraken. Die Bilder, an alte Gemälde erinnernd, und die leise Ironie manchmal hätten unterhaltsam sein können, wären da nicht die bedeutungsschweren esoterischen, oft auch akustisch unverständlichen Szenen. Ich höre: "Die Farbe blau... ich bin deine schöpferische Identität." Gab es das Wort wohl schon zu Dantes Zeiten? Bekanntlich ist das Paradies der langweiligste Ort, der sich denken läßt. Was war zu erwarten? Das Paradies, auch Lux genannt, überraschte. Eingegrenzt von Wellblechwänden, hellglänzend, ein leuchtend-rotes "Exit" als Trost oder Warnung ganz oben. Das Wasser, den Boden bedeckend, ein Milchsee. Alles ist hell und leer und still. Nur ein langer Tisch auf der Bühne. Und Beatrice, die etwas sagen will, kein Wort kommt heraus. Sie kämpft minutenlang, bis sich langsam das Wort "ich" formt. Wie von sehr weit hergeholt. Das Paradies macht sprachlos. "Meine Heimat ist die Stille, meine Nahrung ist das Schweigen." Sie schafft es endlich, sich mitzuteilen. Wem? Sie schenkt Tee ein ohne Unterlaß, alles fließt, fließt daneben. Dante ist stumm, hört er sie? Ganz kurze Szenen wechseln sich ab, wie Filmsequenzen. Dante steht am langen Tisch und schwankt. Beatrice ist verschwunden. Wie Dante schwankt, das ist sehenswert. Nicht wie ein Betrunkener, der wäre längst umgefallen in dieser Schräglage. Ein schlaftrunkenes Hin- und Hertaumeln, unendlich langsam. Vielleicht liegt das Paradies unter dem Meeresgrund, ist ein versunkenes Schiff, das von den Wellen bewegt wird. Die Stille ist keine. Von außen dringen Geräusche wie Meereswellen, ein Gluckern, Blubbern, Rauschen ins Wellblech-Paradies - das Wasser bedeckt schon den Boden. Ein Abendmahl soll zelebriert werden - oder eine Stehparty? Es kommen immer mehr Kellner herein, stellen Gläser hin. Vorher ist dem armen Dante das Service mit leisem Klirren vor den erstaunten Augen zur Decke entschwebt, nur die Untertasse blieb in der Hand. Er sieht traurig hinterher. Im Paradies gibt's nur Wasser, das die Gläser füllt, oder Trauben. Beatrice zerquetscht sie mit den Händen. Sie lieben sich, aber sie können zusammen nicht kommen - nicht im Paradies. Nimmt Dante seine Beatrice wirklich wahr? Sie liegt auf dem Tisch, er schwankt. Sie legt dem Schlafenden den Telefonhörer auf die Brust - keine Verbindung. Auch die wundersame Glas-Musik, von den Kellner-Engeln auf den Trinkgläsern hervorgezaubert, kann Dante nicht aus dem Schlaf-Schwanken wecken. Beatrice hievt etwas Eckiges auf den Tisch. Nur weil es mit einer Kette verbunden ist - ein Detail aus dem ersten Teil der Trilogie - ahne ich, was es ist: ein Buch, Dantes Werk. Das Buch, eingeschlossen in Eis oder Kristall - Beatrice zerschlägt es mit einem Beil, unendlich mühsam. Zum Schluß schwebt ein nackter Dante von oben herab auf den Tisch, an dem ein Kellner, der "Engel Balkan", einsam sitzt. Roter Regen fällt in die Gläser, bringt Farbe ins Paradies. Farbe - oder Blut. Schöne Bilder, die nicht haften, nicht in die Tiefe gehen. Leider lösten Teil zwei und Teil drei nicht ein, was das "Inferno" versprach.
Erschienen in Ossietzky 6/2002 |
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