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Die Selbstverteidigung überschreitend entsteht eine aggressive Militanz, die den Krieg unausweichlich macht. Das abschreckende Muster ist aus dem Europa des 19. und 20. Jahrhunderts nur zu gut bekannt. Großen Anteil am explosiven Nahostkonflikt hat eben diese europäische Vergangenheit, insbesondere ihr konservativer Antisemitismus, der schon die frühen europäischen Emanzipationsbewegungen mit dem Attribut "jüdisch" versah und vom "jüdischen Geist", "jüdischen Marxismus", "jüdischen Bolschewismus" sprach. Bis in die jüngste Zeit gefiel sich die konservative Presse darin, den jüdischen Anteil an Revolutionen herauszustreichen. Da weder Lenin noch Stalin Juden waren, traf es vor allem Marx und Trotzki. Das Modell reichte noch bis zu Joachim C. Fest und Ernst Nolte. Daß "unter denen, die der schon bald in Chaos und Schrecken auslaufenden Münchner Räterepublik vorgestanden hatten, nicht wenige Juden gewesen waren", schrieb Fest bedeutungsvoll in der FAZ vom 29. 8. 1986, nachdem Nolte in der FAZ vom 6. 6. 86 die Historikerdebatte mit der scheinheiligen Frage eröffnet hatte: "War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz?" Kein Gedanke daran, daß der Holocaust, für den Auschwitz als Synonym steht, an die Massaker der konterrevolutionären weißen Armeen im russischen Bürgerkrieg anknüpfte. "Im Bürgerkrieg wurden die Juden in die Arme der Bolschewiki getrieben, denn der Sieg der Weißgardisten hätte ihre Auslöschung bedeutet", erklärt Arno Lustiger ("Rotbuch: Stalin und die Juden"). "Zwischen 1917 und 1921 kam es zu 1236 Pogromen in 530 Städten und Stetls, bei denen 60 000 Juden ermordet wurden." Nach dem Ende von Sowjetunion und DDR orientierten sich jüdische Intellektuelle immer stärker nach Israel. Während sich eine kleine Anzahl jüdischer Genossen, zu Israel auf schweigsamer Distanz bleibend, Erneuerungsbewegungen wie der PDS anschloß oder damit sympathisierte, reagierte die Mehrzahl proisraelisch, jedoch weniger politisch als vielmehr patriotisch, was die israelische Rechte erstarken ließ, während die Linke zunehmend schwächelte. Daß Stefan Heym bei einem Heinrich-Heine-Kongreß in Israel verstarb, bewegte das deutsche Feuilleton. Von der Teilnahme Wolf Biermanns wurde kaum berichtet. Der aber verkörpert in Person den Übergang von der jüdisch-kommunistischen Vergangenheit zum Israelismus in seiner rechtskonservativen Form. Historisch gesehen langt die ursprünglich universale jüdische Emanzipationsrevolte beim Scharonismus an, was einen Diskurs zwischen Biermann und Uri Avneri höchst interessant machen würde. Stellvertretend für Biermann wäre auch Henryk M. Broder denkbar, der im Spiegel, den Scharon spielend, vorführt, wie ein Linksradikaler aus der Kölner Undergroundszene zum fundamentalen Bellizisten mutiert. In einer Spiegel-Polemik vom 16. 12. 1991 gegen "Intellektuelle" mit "Sympathien... für die untergegangene DDR" nahm er neben anderen notorisch Verdächtigen besonders Stefan Heym und Stephan Hermlin aufs Korn, deren jüdisch-kommunistische Vergangenheit dem Henryk Engherz die Stirnader zur veritablen Hämorrhoide aufschwellen läßt. Überschrift des Spiegel-Sermons: "Ein moralischer Bankrott". Direkt darunter das Foto des tapferen Schneiderleins, das als Autor den Bankrott behauptet. Die Streithammelei nach dem DDR-Exitus ist der späte Endzustand des früheren Konfliktes zwischen Intellektuellen, deren eine Seite von Adorno, Horkheimer, den beiden Marcuses u.a. vertreten wurde, die andere von revolutionären Ostparteigängern wie Bloch, Lukács, Mayer. Eine dritte Riege vervollständigte und dislozierte zugleich die Auseinandersetzung, indem Kommunisten wie Koestler zu Ex- wo nicht Antikommunisten wurden. Die Debatte erreichte dadurch eine qualitative und stilistische Höhe, von der aus die Streitereien der Nachfolger so platt wirken, wie sie sind, wenn die Idee zur Ideologie verkommt. Inzwischen ist aus der in Ost und West zweigeteilten jüdischen Diaspora eine unilaterale geworden, und der strategische Übergang Israels von der Landesverteidigung zum aggressiven Militärstaat findet in der jüdischen Diaspora seine nicht weniger aggressiven Verteidiger, deren Verrat in der völligen Abwendung von ihrer früheren universalistischen Emanzipationshaltung besteht. Traditionell geschieht das im Muster des alten Europa, wo linker Beginn und rechtes Ende zusammengehören, wie es die Galerie der Vorfahren - von Richard Wagner bis zu Mussolini - aufzeigt; nur Deutschland leistete sich einen Adolf, der von Anfang an dem dümmsten Nationalismus verfallen war. Wogegen die neue Rechte wieder links unten begonnen hat: Biermann/Broder blicken auf revolutionäre Jugendstreiche zurück, genauso Fischer/Schröder. Inwieweit sie in der politischen Praxis mit den jugendlichen Eierschalen auch die universelle, humane Grundhaltung abwerfen, erweist sich an ihren der Karriere geschuldeten Taten. Ilja Ehrenburg in der Sowjetunion, Albert Norden in der DDR, auch Trotzki und Trotzkisten wie Ernest Mandel oder Jakob Moneta und selbst Exkommunisten wie Koestler, Orwell, Kantorowicz blieben der Marxschen Analyse in "Zur Judenfrage" und ihrer universellen Grundthese verbunden. Wer sie aufgibt, gerät in die Gefahr ethnischer Nationalismen, anarchischer oder durch Religionsunterschiede begründeter Kriege. Das vergangene im Streit zerrissene Europa erfährt weltweite Fortsetzung im Dschungel von Ethnien, die oft erst neu entdeckt oder erfunden werden. Die Parteigänger des Kriegsverbrechers Scharon in der heutigen Diaspora verlieren das intellektuell-kritische Potential, das die jüdischen Philosophen, Schriftsteller und Künstler als Verbündete der Aufklärung auszeichnete und sie zur Zielscheibe partikularistischer Rechter werden ließ. An dieser Stelle erinnere ich mich mit Wehmut jener jüdischen Kommunisten, die, Stalins Verfolgung entkommen, im sowjetischen Besatzungsgebiet bis in die DDR-Jahre hinein als Kulturoffiziere und Professoren wirkten. Ihnen entsprachen die jüdischen Emigranten, die als US-Offiziere im Westen antifaschistisch tätig waren. Beide Spezies verschwanden bald. Der beginnende Kalte Krieg setzte andere Prioritäten und verlangte erneut den statuarischen Krieger, der den Konflikt ungescheut bis zum heißen Krieg optimiert, worüber Julien Benda in "Der Verrat der Intellektuellen" abschließend urteilt: "Die Geschichte wird lächeln bei dem Gedanken, daß Sokrates und Jesus für diese Spezies gestorben sind." Das meinte Benda zwar in einem anderen Sinne, doch können wir jetzt so manche vergangene Flammenschrift deutlicher lesen. Das Marxsche "Zur Judenfrage" darf heute lauten: "Zur Menschenfrage". Es geht alle an.
Erschienen in Ossietzky 6/2002 |
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