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Die Achse des Guten

von Sven Ehlers (sopos)


"Das Böse ist leicht zu finden, denn es ist eine Menge da; das Gute ist beinahe einzig. Aber eine gewisse Art des Bösen ist ebenso schwer zu finden als das, was man gut nennt und oft macht man unter diesem Namen das besondere Böse als Gutes gelten..."
Pascal

Wer sich als selbsternannter Guter des Bösen bedient, hatte noch immer den Finger am Trigger. Die anderen wußten um Widersprüche.

Es bedarf keiner großen Kenntnis über das Böse, um zu wissen daß das Gute im Bestehenden keine adäquate Antipode bietet. Wem einmal das Vergnügen einer guten Predigt alten Stils zuteil wurde, wird dies wissen: Der Charme eines reaktionären Pfaffens kann vielerlei Sinnkrisen lösen. So schätzte John Steinbeck die Schrift Gottes sehr, gab sie ihm doch das Gefühl von Lebendigkeit und Seinsfülle wieder. Die kleinste Banalität erschien den Zorn des Herrn hervorzurufen. Ein kleiner Beischlaf hier und da, ein lüsterner Gedanke und ein kleiner Betrug beim Finanzamt reichten für gewöhnlich, um solchen zu erregen. Steinbeck bekam dann erklärtermaßen Lust, seinen Hund zu treten - einfach so -, um das Gefühl zu haben, daß sich Gott denn doch noch für einen interessiere.

Der "gute" alte Katholizismus kannte wenigstens die Beichte. Für ein Ave-Maria und drei Rosenkränze war die Gnade Gottes wieder hergestellt. Mancherorts wird noch behauptet, daß die Beichte lediglich zum Sündigen geschaffen wurde. Ähnlich verhält es sich mit der Tugend: Je tugendhafter die Person, desto tiefer der Fall des Sünders. Wer die Vorstellungen der braven Christen über das angeblich Böse kennt, wundert sich nicht schlecht. Die Bilder eines Hieronymus Bosch zeugen von solchem. Auch die Bibel weiß von den 10 Plagen zu berichten, die den Ägyptern zu Teil wurden, da diese den Auszug des auserwählten Volkes nicht dulden wollten. Solch martialisches vermag nur überzeugte Tugend sich vorzustellen. Ähnlich verhielt es sich von 1933-45, als ein sich selbst auserwählt habendes Volk Raum erobern wollte. Die angebliche Lasterhaftigkeit der Juden drückte sich in den antisemitischen Schmähschriften aus, geschrieben von der Hand selbsternannter Tugend. Weise Zitate wähnten von je her, daß durch den Türspalt der Tugend der Lichtstrahl der Sünde hell schimmerte. In der Vorstellung der Bösartigkeit und Verruchtheit der Anderen zeigt sich das wahre Gesicht der Tugend. Da lodert die heiße Seele der Leidenschaft hell auf, und die Augen leuchten bei den Schilderungen, was die Anderen denn so treiben.

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Die heutige Tugend hat viele Gesichter. Die Obertugendianer werden heute durch die US-amerikanischen Republikaner verkörpert. Von erschreckender Naivität zeugt deren Kampagne zur Schwangerschaftsprävention junger Mädchen: No sex until marriage lautet das Credo. Das Mittel der Repression gegenüber der Sexualität und dem freien Leben gehörte von schon immer zum Handwerkszeug der Tugend. Die Nazis verbrannten die Bücher Freuds mit den Worten: "Gegen die seelenzerstörende Überschätzung des Sexuallebens und für den Adel der menschlichen Seele." In allen Fällen ging es um den angeblichen Schutz der Menschen vor dem Bösen. Die Tugend bedient sich stets der Repression als vermeintlichem Schutzwall gegen das Verderbende und Zersetzende. Ebenso bei den afghanischen Taliban: Frauen werden bei Bekanntwerden von vorehelichem Geschlechtsverkehrs schlichtweg gesteinigt. Ist solch martialische Repression wirklich undenkbar in zivilisierten Ländern, der Achse des Guten?

Das Handwerkszeug des Guten bereichert sich momentan um Thermobomben und sog. Mini-Atombomben, wie aus dem Nuclear Posture Review hervorgeht. Die Achse des Guten besitzt die grauenerregendsten Waffen, die Menschen je erdacht haben. Eine Neutronenbombe als das Werkzeug des Guten im Rucksack zu tragen, steht in ungebrochener Kontinuität zu aller selbsternannten Tugend in der Geschichte. Wer sich als selbsternannter Guter des Bösen bedient, hatte noch immer den Finger am Trigger. Die anderen wußten um Widersprüche.

Einen modernen Krieg, der sich nicht gegen die Zivilbevölkerung richtet, gibt es nicht. Jede Armee und jedes Militär ist unter dieser Perspektive nichts anderes als organisierter Terrorismus.

Das selbsternannte Gute besitzt die Reichtümer der Welt und alle Waffen um sie zu verteidigen - mehr noch: In der Logik ihrer Waffen stecken Zukunftsmodelle. Sie sind bereit, den ganzen Globus aus dem Universum zu radieren, falls nötig. Die Dummheit Husseins und Milosevic', Amerika ein zweites Vietnam bescheren zu wollen, haben die jeweiligen Bevölkerungen mit Leichenbergen bezahlen müssen. Welche andere Form des Krieges als die, das zivile Leben zu attackieren, kann denn überhaupt noch stattfinden? Wieviel tugendhafte Dummheit ist von Nöten, um anzunehmen, daß ein einziges Land es wagen könnte, sich dem atomaren Vernichtungspotential entgegenzustellen? Nur die, die sich aus ihrer eigenen Sicht als tugendhaft begreifen, können zu solchen Wahnsinn fähig sein.

Wer vorgibt, einen Krieg der Anständigen gegen den Terror zu führen, der weiß nicht oder verschweigt, daß seit dem deutsch-faschistischen Luftangriff auf Guernica im Jahre 1936 die moderne Kriegsführung sich terroristischer Mittel bedient. Die terroristische Form des Krieges bescherte den Nazis ihre Kriegserfolge zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Sie wurde dann von den Alliierten aufgegriffen; die Zerbombung des zivilen Dresdens etwa steht im krassen Gegensatz zur geringen Zerstörung der deutschen Industrie durch die Alliierten (anders wären auch nicht das schnelle "Wirtschaftswunder" und der "Wiederaufbau" Nachkriegsdeutschlands zu erklären). Seit dem Zweiten Weltkrieg war Krieg immer Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Die Amerikaner bestimmten für ihre Bombardements in Vietnam die Zeit, in der ihre Angriffe möglichst hohe Opferzahlen verursachten. Die "peak killing-time" wurde als 9 Uhr und 16 Uhr bestimmt - der Zeit also, zu der die Menschen zur Arbeit und Schule und wieder nach Hause gingen.

Einen modernen Krieg, der sich nicht gegen die Zivilbevölkerung richtet, gibt es nicht. Jede Armee und jedes Militär ist unter dieser Perspektive nichts anderes als organisierter Terrorismus. Doch wenn das Böse nur groß genug erscheint, so ist zu dessen Vernichtung jedes Mittel legitim. Die zahllosen Filme Hollywoods zeigen deutlich genug, wie mit dem Bösen umgesprungen werden sollte.

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Tugend hat in Amerika Tradition: Daß die Sowjetunion das Reich Diavolos war, konnte man dem Munde Reagans entnehmen. Die gegenwärtigen Töne erinnern in hohem Maße an den Antikommunismus. Der Austausch von Hammer und Sichel durch Halbmond und Vollbart brauchte nur 15 Jahre. Die Roten werden einfach durch wilde Moslems ersetzt. Man fragt sich ob der Geschichte Amerikas, warum der elfte September nicht schon Jahre vorher stattfand.

Bei aller besten freiheitlichen Tradition der europäischen Aufklärung steht in deren Widerspruch die brutale Unterjochung der Welt und allem was sich nicht dem Messias des homo oeconomicus unterwirft.

Die Allianz des Guten gründet selbst auf eine Geschichte von Massakern. Der Völkermord des belgischen Königs Leopold II. im Kongo, der 50% der Bevölkerung vernichtete, die französischen Kolonien in Nordafrika, die britischen in der ganzen Welt, der Algerienkrieg, Amerikas zahllose Invasionen, der Sturz von Jakobo Arbenz in Guatemala 1954, die Beseitigung Allendes, die Gemetzel in Vietnam und die Politik der verbrannten Erde in El Salvador (um nur einige zu nennen) tragen die Handschrift der Achse des Guten, in deren Mitte sich der neuerstarkte Meister des Todes einreiht. Es gibt nicht die geringsten Indizien dafür, daß diese Allianz auch nur einen Funken des Guten in sich tragen könnte. Bei aller besten freiheitlichen Tradition der europäischen Aufklärung steht in deren Widerspruch die brutale Unterjochung der Welt und allem was sich nicht dem Messias des homo oeconomicus unterwirft. Die neuen Religionen haben die alten Gottheiten zugunsten des Glaubens an den Markt eliminiert. Zu Nietzsches "Gott ist tot" muß ausgerufen werden: Aber der Markt - er lebt! Und er produziert erneut die Verdammten dieser Erde - und damit das Bedürfnis nach Religion.

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McCarthys, Reagans und Bushs Art des Denkens kennt einen religiösen Vorläufer: den persischen Weisen Mani. Der lebte um 250 n.C. und bezeichnete sich als den letzten Propheten nach Buddha und Christus. Wichtigster Aspekt der Lehre war die dualistische Teilung des Universums in die Reiche des Guten und des Bösen. Mit diesem Wissen vermochte die menschliche Seele die Begierde zu überwinden und ins Reich Gottes emporzusteigen. Die Manichäer unterteilten sich in zwei Klassen: Jene der Erleuchtung, die in Abstinenz lebten, und jene, die an dieser spirituellen Würde nicht teilhaben durften.

So veraltet dieses Denken auch ist, so verbreitet ist es dennoch: Auch heute kennt die Welt ihre Einteilung. Jene, die beseelt von der ökonomischen Erleuchtung mit der Hand an der Brieftasche den heiligen Kreuzzug in die Welt brüllen, wähnen sich dem Herrn näher. Dank neuer Thermo- und Atombomben kann das Böse nun auch in den Höhlen und Niederungen verbrannt, erstickt und verseucht werden, und eine weitere Siegesparade der Tugend steht bevor. Eckart Spoo fragt mit Recht, ab wann man denn eigentlich von einem Weltkrieg sprechen könne. Krieg gegen Iran, Irak und Nordkorea, Krieg auf den Philippinen und unzählige schmutzige Militärunterstützungen, um den Vorhof des Himmels zum Schutzwall des Guten auszubauen.

Heute, da die deutsche Armee in Dschibuti, Afghanistan, Georgien, Kuwait und auf dem Balkan mit 10.000 Soldaten unterwegs ist, muß an die Tugend des Pazifismus erinnert werden. Erinnert werden muß an den aufrechten Gang: Zu wissen, daß nichts mehr Charakter und Stärke erfordert, als im vollen Bewußtsein gegen den Geist seiner Zeit zu stehen und laut zu sagen: Nein. Das hätte etwas wahrlich Tugendhaftes. Auch die deutsche Geschichte hatte ihre leidenschaftlichen Kämpfer gegen den Krieg. Sogar der Romantiker Matthias Claudius wußte neben "Der Mond ist aufgegangen" noch anderes zu schreiben:

"'s ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!"

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