Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Höllen- und Himmelfahrtvon Anne Dessau Den »Totentanz« nach Strindberg im Deutschen Theater Berlin intoniert »La danse macabre«, op. 40, von Camille Saint-Saëns, höllisches Vorspiel für Alice und Edgar, Ehepaar seit fünfundzwanzig Jahren, das einander tanzend und Spitzhacke schwingend in den Orkus treibt. Die Bühne ist weit, ihr Boden eine schräge Scheibe, die zur Eisfläche wird, auf der die Figuren lebengefährdet schwanken, straucheln. Im Hintergrund ein kinoleinwandgroßer Kasten, die Fläche milchig-transparent, Projektionsfläche für das Schattentheater »Szenen einer Ehe«, welche das Paar aus besseren Zeiten gespeichert hat. Eine virtuelle Welt, in die sie sehnsüchtig flüchten, wenn ihnen die gelebte Gegenwart keinen Ausweg läßt. In diesem imaginären Raum gehen »Furie und Vampir« liebevoll Arm in Arm, tanzen, singen, parlieren entspannt. Ihre Gegenwart, Einsamkeit zu zweit, teilt ein behaartes Nackttier, unterwürfiges Wesen, Erfindung des Regisseurs Neuenfels, der die von ihm gestrichenen Nebenfiguren gebündelt hat in dieser leckenden Wau-Wau-Kreatur. Diese Entscheidung ist vermutlich dem Stilwillen des Regisseurs nachzusehen. Von Strindberg vorgegeben ist die Seelenlandschaft dieser Ehe, ursprünglich möbliert mit Vogelkäfigen, Blumenetageren, Chaiselongue, Büfett nebst Lorbeerkränzen und Hängelampen, dazu einem Pianino und - ! - einem Quecksilberthermometer. Das alles gibt es nicht bei Natascha von Steiger (Bühnenbild), ihre Ausstattung geht mit der hochstilisierten Inszenierung Hand in Hand. Aber nicht jeder Eingriff in das Stück ist plausibel. Warum ist der Kurt, der autobiografische Züge des über 50jährigen Strindberg trägt, mit einem jungen Schauspieler (David Rott) besetzt? Warum läßt man ihn, anders als bei Strindberg, unentschieden zwischen dem Paar taumeln läßt? Das blieb mir verschlossen. Der Abend beginnt magisch. Für einen Augenblick hält man den Atem an, so verführerisch ist die Szenerie. Edel, leuchtend, wie Mondstein und Opal. Dann erlischt der schöne Schein, ein Ehe-Krieg tobt über unsicherem Grund, einer saugt des anderen Lebenskraft, verbale Verletzungen treiben Edgar (Jörg Gudzuhn) in Fallsucht und komatöse Zustände, während Alice (Elisabeth Trissenar) das Ableben dieses »Despoten mit der Sklavennatur« herbeisehnt. Zwischendrein ermatten sie am tödlichen Spiel, wiederholen ihre Sätze gleich Tonschleifen, durchleben die Tage, deren eingeschliffene Verhaltensmuster wie ferngesteuert, um unvermittelt aufzulodern in gegenseitigem Haß, in Verachtung für den anderen. Das Ausgeliefertsein, die Lebenslüge - ein ewig aktuelles Thema, an dem sich die Literatur seit Strindberg in unendlichen Variationen abarbeitet, dieser Ur-Stoff, der Ur-Fragen nach Lebenssinn und Wahrheit aufwirft, ist hier komprimiert auf die »kleinste Zelle der Gesellschaft«, ein Paar, härter noch: ein Ehe-Paar. Bis zur Atemlosigkeit schlagen sich Strindbergs affektgestörte Figuren auf ihre Herzen, voller Sehnsucht nach dem Leben treiben sie sich in den Tod. Ich sehe das, höre es, aber es erreicht mich nicht geht mich nichts an. Es bleibt Design, wirkt wie der Modellentwurf eines Bühnenbildes mit Figurinen. Schön anzusehen, darstellerisch wunderbar »gegeben« (so sagte man früher, ein Schauspieler »gab« die und die Rolle, hier paßt es), ich aber fühle mich ausgeschlossen, nicht mitgenommen auf die irrwitzige Reise durch die Ganglien ichgestörter Hirne von Individuen in unserer Gesellschaft. * Noch ein Totentanz: »noBody« in der Schaubühne, Tanztheater der Sasha Waltz, letzter Teil ihrer Trilogie Mensch/Körper. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, den die Regisseurin und Choreographin zu den Spannungsfeldern Anatomie, Biotechnologie, Geschichte und Architektur ins Verhältnis setzt, reicht vom Ursprung des Lebens über die Sinnlichkeit und deren Ambivalenzen bis zum Ende seiner Erdentage, und sie weist darüber hinaus mit ihrem Nachsinnen über Transformation von Materie und Energie, dem Nachspüren von Körper-Gedächtnis und Unsterblichkeit. »noBody« - Metapher für Körperlosigkeit - formuliert eine starke Herausforderung. Der Kunst der Tänzer, mit ihren Körpern zu erzählen, ist eine Verneinung entgegengesetzt, die Kampfansage und Ermunterung sein kann. Was hat Sasha Waltz visualisiert? Wieder sitzen wir in Etagen vor dem nackten Beton, der diesmal ein Halbrund bietet (Bühne: Thomas Schenk/Sasha Waltz). Ein düsterer Raum, Licht flackert. Dumpfes Wummern setzt ein in Schattenland, Vorland zum Hades. Tänzer, vereinzelt, ziehen ihre Spuren durch den Raum, begegnen, schleppen, meiden einander. Trommeln skandieren den Sound und nun beherrscht die Truppe die silbergraue Fläche. Im Miteinander, trotzdem einsam, entstehen Begegnungen, man liegt, fällt, zappelt, rennt, Formationen wachsen, stürzen zusammen. Die Musik (Hans Peter Kuhn), rhythmisch hart und schnell, treibt, fegt, wirbelt die Körper über den Boden. 25 Solisten streben stetig zueinander, voneinander, zucken, strampeln, stürzen übereinander. Fauchender Wind läßt sie fliehen, springen, sich winden und rollen. Fantastisch die Homogenität der Gruppe, aus der sich die Soli, Zweier- und Dreiergruppen entwickeln, bewegt durch diffusen Maschinenlärm, Bremsgeräusche, ein Fauchen und Quietschen wie auf dem Betriebsgelände eines Eisenbahndepots. Diese Geräusche steigern sich, vereinnahmen jetzt auch die Körper der Zuschauer, man bebt, ist durchtost von dem gewaltigen, gewalttätigen Klang, einer Attacke auf das eigene Sein. Sasha Waltz´ Produktionen faszinieren durch die beinahe unbegrenzten Möglichkeiten ihrer Assoziationskraft und der, die sie mit ihren zeichenhaften Erfindungen auslöst beim Betrachter. Das ganze menschliche Reservoir der Empfindungen wird in Bewegung gesetzt. Im Zuschauerraum sitzen die Menschen gebannt, hypnotisiert von den Vorgängen auf der Szene und in ihrem Kopf. Als dann, kurz vor der Erschöpfung, unvermutet eine weiße Wolke seidig aus dem Plafond quillt, schwarzer Regen über alle flutet, ist die Vision Atompilz perfekt. Die Tänzer-Körper rennen angsterfüllt davon, werfen sich zu Boden, werden von dem wabernden Ding gejagt, getrieben, erstickt. Existentielles Schreien hebt an, Todeszucken, Sterben und Trösten. Inferno total. Still, ergeben, wie in Trance verlassen Tänzerinnen und Tänzer die Bühne, nur eine bleibt weinend zurück, dann tritt Stille ein, absolute Stille, wie Rauschen im Ohr. Ein Glöckchen frißt die Lautlosigkeit, noch einmal hebt ein neues Rasen an, bis sich die bedrohliche Wolke über alle legt wie ein Leichentuch. Danach aber krabbeln sie munter aus dem Ballon, wie Jonas aus dem Fisch, und gemeinsam zertreten sie das Ding. Die Luft ist raus. Besiegt? Wieder ließe sich sagen, man kann in diesem Abend zwei oder auch drei Schlüsse erkennen. Vielleicht eine Schwäche der Waltz. Sie findet kein Ende. Ich finde diese Eigenschaft liebenswert, und ihr begeistertes Publikum kann gewiß sein, in dieser Arbeit bereits wieder Zitate für die folgende gesehen zu haben. Gut so. * Wieder einmal die Neuköllner Oper, wieder ist Freundliches zu berichten. »Gesualdo«, ein »madrigales Spiel«, heißt es im Programmheft. Das verschafft dem Zuschauer (ausverkaufte Vorstellungen!) die reizvolle Begegnung mit dem Fürsten von Venosa (1560-1613), Komponist, Lautenspieler, Sänger auch. Gesualdo erneuerte das Madrigal in »kühner, Neuland erobernder Melodik und Harmonik«, heißt es in meinem zerfledderten Musiklexikon. Winfried Radeke (Musikalische Einrichtung und Leitung) und Rudolf Danker (Dramaturgie und Regie) bemächtigten sich etlicher Madrigale, die von Tod, Einsamkeit, Leid und Schmerzen fünfstimmig klagen, bestückten die ausgewählten Piecen mit einer minimalistischen Biographie des durch Jahrhunderte ruhmreichen Mannes, der schwermütig war, sein treuloses Weib nebst Geliebten und Säugling metzelte, eine zweite Frau verstieß, mit Jünglingen der Liebe pflegte, dem Wahnsinn verfiel und alsbald in Venedig starb. Was davon Wahrheit, was Legende ist, ob auch er seufzend die gleichnamige Brücke zum Verlies in Venedig überqueren mußte, bleibt im Dunkel der Vergangenheit. Zugegeben: Manchmal lächerte es mich heftig, wenn die Erstochenen das Singen nicht lassen konnten/durften oder eine Zündholzschachtel bei erforderlicher Nutzung sehr gegenwärtig klapperte. Dann lugte ganz kurz der Herr Theaterdirektor Striese hinterm Vorhang hervor. Er war vergessen, sobald Cembalo, Glöckchen, Laute und alte Blasinstrumente erklangen. Die Stimmen der Sänger nicht zu vergessen (Michael Bielefeldt, Konstanze Gast, Viktor Köpke, Bettina Ranch, Linda Naumann). Ein interessanter Versuch, eine reizvolle Begegnung mit dem Komponisten. Für das besondere Vorhaben wurde eine angemessene Form gefunden. Der Darstellungsstil ist gestisch sparsam, Gemälde aus der Zeit standen Pate für die Posen der Akteure, der goldene Schnitt gerät bei den szenischen Arrangements in den Sinn. Das Bühnenbild mit neonleuchtenden, elastischen Stricken (vor schwarzem Hintergrund) stellt Assoziationen her zu Leonardos Skizzen für Apparate und Geräte. Die Aufführung vermittelt auf lebendige Art ein Stück Musikgeschichte.
Erschienen in Ossietzky 5/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |