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Natürlich schafft er Phantasielandschaften - aber die entstehen aus dem, was er spürte und sah, hörte und erkannte. Alles Binsenweisheiten? Gewiß. Doch Binsenweisheiten lassen sich kaum außer Kraft setzen. Es sei denn, der Schriftsteller habe zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gelebt. Dann sollten ihm eigene Erlebnisse suspekt sein. Wie ich das meine? Folgendermaßen: Ich habe ein Büchlein verfaßt, das vom Wetter erzählt. Übers Wetter reden alle, warum nicht auch Schriftsteller. In die Wettergeschichten hinein gerieten mir Begriffe, die ich zwar erkläre, die aber in eine bestimmte Zeit verweisen: »Nimm ein Ei mehr!«, »Roter Stern«, »Kampfgruppe« - gemach: Ich verweise in den Erzählchens auf die schlimmen Zeiten, denen die Worte entsprangen; ich erläutere die Worte; ich rede so, wie man über ferne Inseln spricht. Doch aufmerksamen Verlegern entgeht nichts. Mußt Du denn immer wieder die DDR bemühen? Du kannst doch so schöne, gänzlich DDR-freie Geschichten erzählen - laß uns die verlegen! Sieh mal, der Leser im Schwarzwald - ach, was rede ich: Unsere Vertreter wissen genau, was geht! Was nicht geht, ist DDR. In ein paar Ostalgieblättchen kannst Du sowas schreiben. Aber der Masse unserer Leser müßte man viel zu viel erklären. Und denen man es nicht erklären muß - die wollen's nicht. Für die ist die Vergangenheit abgeschlossen. Außerdem gibt's doch prächtigere Vergangenheiten als nun gerade diese grauslige, diese graue, olle DDR. Ich will mein Buch ja auch verkaufen, zumindest erst mal an den Verleger. Also schneide ich Problematisches aus meiner Vergangenheit heraus. Zwar bleibt nicht mehr viel übrig, aber Kompromisse bin ich schließlich aus der grausligen, der grauen, ollen Zeit der Zensur gewöhnt. Einer Rundfunkkollegin erzähle ich von einem anderen Vorhaben. Sie fragt nach, findet Gefallen, findet das Projekt interessant - und findet den Pferdefuß: Das spielt doch in der DDR? Naja, sage ich verlegen. Sehe ich kaum Chancen, meint sie. Wir machen Radio nicht für einige wenige. Wir senden von der Nordsee bis zum Bodensee. Deine Geschichte spielt weder an Boden- noch Nordsee. Mal drüber nachdenken? Ich denke nach und setze mich an eine neue Geschichte. Eine ganz neue Geschichte. Sie soll vom Theater erzählen und den Theatermachern, die mitten in ihrer Welt sich ein eigenes Universum schaffen: Theaterleute sitzen immer im verwunschenen Berg, bauen ihre eigene Welt für die Leute da draußen. Wenn im Theater die wildesten Revolutionen passieren, wenn der Intendant gestürzt wird und die Souffleuse bei der Besetzung mitreden soll - die Nichttheaterwelt interessiert das nicht. Und umgekehrt: Wenn Aktien stürzen und Parteien abdanken, wenn in der Welt plötzlich alles sich ändert - oder doch ändern soll -, im Theater lebt man auf der Insel der Seligen. Auf der Aufstände noch geprobt werden, wenn sie draußen längst niedergeschlagen sind. Ja, eine solche Geschichte will ich erzählen; das Theater kenne ich aus eigener Arbeit. Und eine solche Geschichte, wo das Theaterinnen und das Weltdraußen so weit auseinanderklaffen wie sonst kaum, paßt hervorragend in die DDR. In diesem Umfeld muß man das erzählen, klar! Wir spielten mal am DDR-Theater ein Stück »Weiße Ehe«, das von sexuellen Beklemmungen und Verkrustungen erzählte. Autor Rozewicz hatte es am Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt - da war die Spannung zwischen freier Sexualität und bürgerlicher Wohlanständigkeit am größten. Er hätte es im Polen der fünfziger ansiedeln können oder in der Zeit vor der Dreiteilung Polens. Nein, er steckte seine Figuren ins Korsett einer Zwangsmoral, damit sie um so heftiger daraus hervorplatzen können ... Kann ich meine Geschichte dort ansiedeln, wo sie am besten zu erzählen ist - weil ich die Zeit kenne, die Details, die Argumente und die schauerlich schönen Schiffbrüche? Nein, ich muß Rücksicht nehmen, auf den Zeitgeschmack der Vertreter. Und der öffentlichen Meinungsmacher. Wenn ich schon über die DDR schreibe, dann muß es grau, nicht lustig zugehen. Bissel grotesk darf es sein und lächerlich. Geheimdienstvoll, aber nicht geheimnisvoll. Meine Leute müssen auf jenes Maß zurechtsgestutzt werden, das heute das Maß aller Dinge ist. In meiner Geschichte, fürchte ich, feixen die Leute, sind viel zu oft ungezwungen, lachen sogar laut über sich und ihre Welt. Sie heulen, weil der Freund sie betrügt, und sie spinnen Intrigen, weil am Theater Intrigen dazugehören. Und sie lachen schon wieder viel zu laut; nicht nur hämisch, nicht nur sarkastisch, nicht nur höhnisch, sondern ganz offen, ganz frei ... Doch darf das sein? Hat nicht auch meine Kindheit nach heutigem Muster gestrickt zu sein? Sagt nicht Guido Knopp im ZDF uns, wie die Welt war? Haben die Vertreter nicht recht, wenn sie meinen, meine Zeit soll ich mal vorsichtig aus meinen Geschichten herausschneiden, dann sind sie auch prima verkäuflich? Was bleibt mir anderes übrig, als zu schreiben, was ich will? Die öffentliche Welt hingegen denkt, was sie soll. Und der Vertreter verkauft, was er muß. Daß er nicht mich verkauft, damit kann ich vielleicht noch ein paar Jahre lang leben. Das von Matthias Biskupek eingangs bescheiden erwähnte neue Büchlein hat den Titel »Wetterbericht« und informiert aufs vergnüglichste über solche metereologischen Phänomene wie Eisheilige, Hundstage, das Azorenhoch, die Wasserhose und die Gewitterziege. Mit Illustrationen von Peter Gaymann ist es im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienen (100 Seiten, 10 Euro).
Erschienen in Ossietzky 5/2002 |
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