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Vielleicht meint sonst der Sudetendeutsche, er habe 1945 den Krieg gewonnen und müsse dafür auch was gewinnen wie im Lotto oder wie 1940 nach Frankreichs Niederlage. Vielleicht sollte Frau Steinbachs ersehntes Zentrum für Vertriebene schleunigst errichtet werden, damit das Wahlvolk, das Schröder und Stoiber einander auszuspannen versuchen, begreife, wer wann wen warum woraus vertrieb. Und dann mag es den lieben Edmund wählen, der ehrlich und exakt vorher schon ankündigt, daß es gegen die Tschechen geht und die Bundeswehr vergrößert werden muß. Da weiß man doch, was man an ihm hat und wohin der Weg führen soll - nachdem Makedonien und Afghanistan schon erreicht sind. Nie wieder Krieg und Nie wieder Auschwitz krähte der Hahn dreimal, und als er zur Wiederwahl anstand, fand er betont friedliche Töne. Welch eine Bande von Wortverdrehern regiert hier eigentlich? Oder sind es die letzten Satzkaskaden von Hirntoten? Wann verlangen sie Schadenersatz für hussitische Feldzüge? Und was tat der österreichische Marschall Tilly uns an, als er 1631 Magdeburg zerstörte und, lies nach bei Schiller, so viele Menschen umbringen ließ wie die Alliierten am Aschermittwoch 1945 in Dresden zu Tode bombten? Wann verjährt Massenmord? Bleibt Vertreibung länger strafbar? Wann holen wir uns die zivilen Luftangriffsopfer von Dresden und Hamburg zurück ins schöne deutsche Leben von 2002? Was ist mit dem untergegangenen Ostpreußen, dem verlorenen Schlesien, wer spricht endlich die gehenkten Keitel und Jodl frei? Na, wir wollen nicht übertreiben. Es wird nichts so heiß gegessen, sagte die Brandbombe, und die Mine entschuldigte sich höflich, als sie ein kleines Kind zerriß. Ich kenne vertriebene Schlesier und Sudetendeutsche, die sich in der DDR aus guten Gründen für den Sozialismus engagierten. Sind die nun deswegen schuldig? Und falls sie Antifaschisten waren, sind sie deshalb nun wohl angesehen oder schlecht? Gilt unsere Einsicht, daß der Krieg von Deutschland angefangen wurde, auch heute noch oder nicht mehr? Sollen Deutsche am europäischen Tor stehen und entscheiden, wer rein darf und wer draußen zu bleiben hat? So wie Deutsche entschieden, wer ins Feuer mußte? Weshalb bietet das rotrotregierte Berlin dem tschechischen Premier Zeman nicht die Ehrenbürgerschaft für offene Worte an? Neben dem regierenden reiseunlustigen Gerhard regt und reckt sich der Theologe Richard Schröder, der jüngst den Pazifismus als fundamentalistische Verirrung des Christentums brandmarkte, was ihn gewiß zu Stoibers Feldprediger prädestiniert. Und unsere Kirchen haben noch so manchen in petto, der strahlend, ist der Kampf entschieden, als Widerständler ans Tageslicht kriecht, um den nächsten Krieg vom hohen Roß im Troß mit vorzubereiten. Auf Wolke Nr. 7 schwebt unser Freund Wolfgang Ullmann vorbei, der das 21. Jahrhundert als »Jahrhundert des Pazifismus« auszurufen wagt, ohne zu bedenken, welcher verdammte Christenfundamentalist sich damit in ihm entlarvt. Die Christen Schröder aber (Gerhard und Richard), die Christin Steinbach und der Bayernchrist Stoiber sind überzeugt von ihrer Jungfräulichkeit. Wurde Johann Hus 1415 in Konstanz etwa zu Unrecht verbrannt? Es hatte alles seine Ordnung. Weshalb bot Prag vom 1933 bis 1938/39 so vielen Gegnern Nazi-Deutschlands Unterschlupf? Weshalb vertrieben die Tschechen 1945 die Deutschen, statt ihren Mord an SS-Heydrich zu bedauern? Weshalb nahmen sie ihnen Eger weg, statt ihnen Prag zu schenken, wo doch die älteste deutsche Universität ihren Platz hatte und Franz Kafka deutsch schrieb? Aber gewiß doch, wir übertreiben gewaltig. Leider wird hierzulande aus der heutigen Übertreibung blitzschnell die morgige volkstümliche Schlagzeile der Bild-Zeitung. Meine beiden Großväter waren Böhmen und gehörten im Ersten Weltkrieg der k.u.k.-österreichischen Armee an. Der erste Soldat, der im Juli 1943 in Sizilien neben mir mit einem Granatsplitter im Herzen starb, war Sudetendeutscher. In der per Feldpost zugeschickten Todesanzeige las ich dann etwas vom Heldentod. Ach ja, wir waren tolle Helden. Meine Frau Ingrid ist als Elfjährige aus Liegnitz/Niederschlesien vertrieben worden. Als ich mich 1956 mit meiner Partei, der SED, anlegte und Aufklärung über Katyn verlangte, blieb nur noch die Flucht in den Westen. Als ich mich im Bundestag für die Wehrmachtsdeserteure engagierte, war die Schwarze Front, die ein paar Mitstreiter und mich dafür beschimpfte, so alt wie die Bundesrepublik. Denn in Deutschland überdauert die Dummheit von gestern noch das Übermorgen. Reemtsma, gib uns die alte unkorrigierte Wehrmachtausstellung zurück. Sie war den Nazis wenigstens eine Bombe wert. Die neue Präsentation ist Volkshochschule. Derlei gibt's überall. Die Lehren der Geschichte jedoch, die ihren Provokationswert verlieren, räumen den Platz nur für neue ungebremste Hybris. In Ossietzky Nr. 3 riet ich dem Berliner Kanzler, nach Prag zu reisen und am Hause Melantrichova 1 einen Blumenstrauß niederzulegen, denn dieses Haus barg von 1933 bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1939 die Redaktion der aus Berlin geflüchteten Neuen Weltbühne, die antifaschistischen deutschen Intellektuellen ein Forum bot. Krieg, Holocaust, Niederlage, Vertreibung wären nicht geschehen, hätten deutsches und sudetendeutsches Volk auf die letzten Warnungen gehört. Da Gerhard Schröder kürzlich an der Totenfeier für Stefan Heym teilnahm, sollte er wissen, auch der junge exilierte Heym warnte via Prag vor dem drohenden Krieg. Dies alles nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist die Verweigerung des Ausgangs aus selbstverschuldeter Unwissenheit. Dies zu wissen und dennoch alte Konflikte neu zu beleben, ist politisch so kriminell wie 1933 und 1939. Da der Kanzler neuerdings gern Schriftsteller zu Lesungen einlädt, bin ich ausnahmsweise bereit, mit diesem Text zu ihm zu kommen und ihm die Reise dringlich ans Herz zu legen. Wer jetzt aus Wahlkampftaktik kneift, gibt dem Affen nur Zucker. Wenn's drauf ankommt, muß man standhalten. Alles andere führt zurück zu München 1938. Der deutsche Kanzler gehört jetzt nach Prag wie einst der Kniefall Willy Brandts nach Warschau. Zwar sind die vielverfolgten Mitarbeiter der alten Weltbühne wie die der nachfolgenden Neuen Weltbühne fast alle verstorben, doch ihre Warnungen blieben leider bis über Lidice hinaus aktuell. Wer diese Worte wieder in den Wind schlägt, mag Sturm ernten.
Erschienen in Ossietzky 5/2002 |
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