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Auwi!« Auwi - der Spottname ist längst in Vergessenheit geraten. Im »Preußenjahr 2001« wurden zumeist Friedrich »der Große« und Wilhelm »der Reichsgründer« genannt, wenn vom Hause Hohenzollern die Rede war. Auch Auwi gehörte zu dieser Sippschaft: August Wilhelm Prinz von Preußen, geboren im Jahre 1887 als vierter Sohn Wilhelms II., mit Promotion abgeschlossenes Studium der Staatswissenschaften, königlich-preußischer Oberst. Blieb in Deutschland, als sein Heldenvater im November 1918 vor seinen revoltierenden Soldaten nach Holland floh. Militanter Gegner der Republik. Über den nationalistischen »Stahlhelm« im Jahre 1930 zur NSDAP. Erhielt auf Weisung Hitlers die niedrige Mitgliedsnummer 24, obwohl die Partei bereits einige hunderttausend Mitglieder hatte. Als »Reichsredner« bei den Wahlen bis 1933 ein einflußreicher Stimmenfänger der Nazipartei in monarchistisch gesinnten Kreisen. Im Jahre 1933 mit dem Goldenen Parteiabzeichen ausgezeichnet, Preußischer Staatsrat, Mitglied des Reichstages für den Wahlkreis Potsdam. 1939 zum SA-Obergruppenführer befördert und damit einer der ranghöchsten SA-Führer. Es muß ein Abend im Jahre 1942 gewesen sein, als mein Vater freudig erregt mit der Nachricht nach Hause kam, endlich werde Seine Königliche Hoheit Prinz August Wilhelm unsere kleine Stadt besuchen, um einen Vortrag zum Thema »Preußentum und Nationalsozialismus« zu halten. In seiner Funktion als »Kreisvolksbildungswart« hatte sich mein Vater seit Jahren um die Ehre bemüht, den Prinzen als Redner begrüßen zu können, auch aus persönlichen Gründen. Als Sproß eines preußisch-protestantischen Pfarrhauses war mein Vater bis in die frühen 30er Jahre beim »Stahlhelm« mitmarschiert, im Frühjahr 1933 hatte er gerade noch rechtzeitig den Sprung in die Nazipartei geschafft und sich damit eine kleine provinzielle Karriere gesichert. Er blieb der einzige Nazi unter sechs Geschwistern und bekam deshalb in der Familie eine sanfte, jedoch schmerzliche Mißbilligung zu spüren. So erblickte er wohl in Auwi, dem Kaisersohn im SA-Hemd, eine glanzvolle Bestätigung seines eigenen Weges. Was ein echter Hohenzollern-Prinz sagte und tat, konnte ja für einen märkischen Pfarrerssohn nicht ganz falsch sein. Jetzt, da Auwis Gastspiel in unserer kleinen Stadt beschlossene Sache war, ging mein Vater mit Fleiß und Eifer daran, das große vaterländische Ereignis gebührend vorzubereiten. Um das träge Bürgertum zum Besuch der Veranstaltung zu bewegen, mußte wochenlang die Werbetrommel gerührt, mußten Plakate gedruckt und täglich neue Zeitungsmeldungen geschrieben werden. Gut, dieses Handwerk hatte mein Vater als Redakteur gelernt. Schwieriger war die protokollarische Aufgabe, den Gast seinem Rang und Namen entsprechend zu empfangen und vorzustellen. Auch dieser Auftrag blieb meinem Vater vorbehalten. Da saß er einige Abende am häuslichen Schreibtisch und dachte nach, wie die Begrüßung zu formulieren sei, wie die zahlreichen Namen, Titel und Rangbezeichnungen in korrekter Reihenfolge genannt werden sollten: Erst die Königliche Hoheit oder der Parteigenosse? Erst der Preußische Staatsrat oder der SA-Obergruppenführer? Und was, um Himmels willen, was konnte ein »Kreisvolksbildungswart« tun, um sich die verwirrend vielen Details in der richtigen Reihenfolge einzuprägen und nicht vor versammeltem Publikum in hilfloses Stammeln zu geraten? »Mach dir einfach 'nen Spickzettel!« sagte meine Mutter. Und so geschah es. Auch ich, der blonde Stammhalter in Jungvolkkluft, sollte dem Prinzen präsentiert und mußte für diese Szene trainiert werden. »Antworte immer mit Königliche Hoheit!« sagte mein Vater. »Jawoll, Königliche Hoheit! Danke, Königliche Hoheit! Und mach einen tiefen Diener, wenn der Prinz dir die Hand reicht!« - »Soll ich nicht mit Heil Hitler grüßen?« fragte ich. - »Doch, selbstverständlich!« sagte mein Vater. »Deutlich und laut Heil Hitler, und dabei stramm die Hacken zusammenschlagen! Und dann einen tiefen Diener machen!« Die Aula der Gustav-Freytag-Schule war mit Blumen und Hakenkreuz-Fahnen geschmückt, ältere Damen in Spitzenblusen und viele SA-Leute füllten die Sitzreihen, als mein Vater in der Uniform eines Politischen Leiters, den Spickzettel in der Hand, die Stufen zum Podium erklomm. Seine Halbglatze glänzte von Schweiß, sein Koppel spannte sich straff über dem Speckansatz des Oberbauches. Die Begrüßung aber klappte tadellos, dank gelegentlicher kurzer Blicke auf den Zettel: »Es ist mir eine große Ehre, heute Seine Königliche Hoheit, SA-Obergruppenführer Dr. August Wilhelm Prinz von Preußen, Reichsredner der NSDAP und Träger des Goldenen Parteiabzeichens, einen treuen Mitkämpfer unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler, in unserer Stadt begrüßen zu dürfen...« usw. Endlich trat Seine Königliche Hoheit ans Pult, groß und schlank, mit einem Oberlippenbärtchen ähnlich wie Hitler, in maßgeschneiderter SA-Führeruni-form, die mit diversen Orden und Ehrenzeichen dekoriert war. In Erinnerung blieben mir vor allem seine Reitstiefel, elegante Langschäfter aus wunderbar glänzendem, kastanienbraunem Leder. Wie armselig nahmen sich dagegen die für einen Kleinstadt-Nazi fast schon luxuriösen Stiefel meines Vaters aus, die meine Mutter mühsam vom Haushaltsgeld abgespart hatte! Was Auwi an diesem Abend einem von vornherein wohlwollenden Publikum zum Thema »Preußentum und Nationalsozialismus« erzählte, habe ich vergessen. Doch es gehört kein großer Aufwand an Phantasie dazu, die Grundgedanken seines Referats zu rekonstruieren. Nach siegreichen »Blitzkriegen« in Ost und West, nach dem triumphalen Einzug Hitlers in Paris, nach der Eroberung großer Teile Europas und den schnellen Erfolgen beim Überfall auf die Sowjetunion stand das Naziregime auf dem Höhepunkt seiner militärischen Macht. Welche Erkenntnisse ein zum »Reichsredner« aufgestiegener Hohenzollernsproß in dieser historischen Situation zu verkünden hatte, war durch die großmäulige Sprachregelung aus dem Propagandaministerium vorgezeichnet: Endlich, nicht wahr, hatte sich Deutschland im Geiste Preußens den gottgewollten »Platz an der Sonne« erkämpft. Die »Schmach von Versailles« war gerächt. Von den glorreichen Eroberungskriegen des großen Friedrich über die Niederwerfung Napoleons 1813 und die Reichsgründung 1871 im besiegten Frankreich führte eine stolze preußisch-deutsche Traditionslinie geradewegs zur militärischen Unterwerfung Europas durch Hitlers siegreiche Heere. Was die Preußenkönige begonnen hatten, war unter der Führung des »größten Feldherrn aller Zeiten« ruhmreich vollendet worden. Noch fehlte die traumatische Erfahrung der Katastrophe von Stalingrad, noch war eine Verschwörung preußischer Generale zum Tyrannenmord undenkbar, noch schien sich preußisches Geschichtsbewußtsein problemlos mit dem Großdeutschen Reich identifizieren zu können. Dafür stand Auwi, und dafür gab's viel Beifall aus dem mit gleicher Kurzsichtigkeit geschlagenen Publikum. Der Abend endete mit dem üblichen Ritual. Nach dem gemeinsamen Absingen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes begann sich der Saal zu leeren. Um Auwi sammelte sich ein Grüppchen von örtlichen Honoratioren, um Anbiederung bemüht. Der Bürgermeister war dabei, der Kreisleiter der NSDAP, auch der Direktor der Schule. In einem günstigen Augenblick ergriff mich mein Vater an der Schulter, schob mich in den Kreis, direkt vor den Prinzen: »Königliche Hoheit, darf ich Ihnen meinen Stammhalter, meinen Sohn Heinz-Jürgen, vorstellen?« Da stand ich in meinem frisch gebügelten Braunhemd mit Schulterriemen, ein kleiner Pimpf vor einem großen Nazibonzen, und wäre viel lieber zu Hause in meinem Kinderzimmer gewesen. Aber ich knallte die Absätze meiner Schnürschuhe zusammen, riß den rechten Arm hoch und krächzte: »Heil Hitler, Königliche Hoheit!« »Heil Hitler!« sagte Auwi desinteressiert, gab mir für einen flüchtigen Augenblick die Hand, die stark nach Parfum duftete, und ich machte einen tiefen Diener, den tiefsten meiner Kindheit wohl, und das will etwas heißen, denn meine Kinderjahre waren voll von Leuten, die eine tiefe Verbeugung erwarteten. Ich behielt diesen Abend in peinlicher Erinnerung. Peinlich erschien mir das Auftreten meines Vaters, peinlich meine eigene Bereitschaft, mich vorführen zu lassen, am peinlichsten aber dieser SA-Obergruppenführer mit Hitler-Bärtchen, der nach Parfum duftete und »Königliche Hoheit« genannt wurde. Er entsprach einfach nicht meinem idealisierten Bild vom Preußentum. Erst sehr viel später wurde mir klar, daß ich wie in einem Brennglas die moralische Fäulnis der Hohenzollern-Dynastie gesehen hatte. Bei Kriegsende wurde August Wilhelm Prinz von Preußen von der US-Army verhaftet und zwei Jahre lang in einem Internierungslager festgehalten. Er wurde im Entnazifizierungsverfahren als »Belasteter« eingestuft und mit der Einziehung von 40 Prozent seines Vermögens bestraft. Mein Vater wurde von der britischen Besatzungsmacht zwei Jahre lang im Lager Neuengamme interniert und als »Mitläufer« eingestuft. Ich habe nie verstanden, daß er sich über diese Charakterisierung freuen konnte wie über eine gute Schulzensur.
Erschienen in Ossietzky 1/2002 |
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