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Mit dem Einsatz der Langen Kerls in Potsdam präsentiert Ihnen die Landeshauptstadt Potsdam die Potsdamer Wachtparade. Im Jahre 1713 zog Friedrich Wilhelm I. mit mehr als 600 riesigen »Roten Grenadieren in Potsdam ein. Potsdam war als Residenz des Königs erwählt, die Entwicklung zu einer der schönsten Städte Europas nahm ihren Anfang. Friedrich Wilhelm I. hat als »Soldatenkönig Preußen in seiner 27jährigen Regentschaft den Frieden erhalten...« Das Einzige, was an diesen Zeilen stimmt, sind die Zahlen und Daten. Alles andere ist Schwindel. Was es mit den Langen Kerls, dem teuersten Spielzeug des Königs, auf sich hatte, habe ich in Ossietzky 4/2001 dargestellt: Diese mit List oder Gewalt aus vielen Ländern zusammengetriebene Truppe, die Friedrich Wilhelm I. fast täglich stundenlang zu uniformierten Automaten dressierte, symbolisierten, seit sie am 3. Juli 1713 zum Schrecken der Einwohner in die Stadt eingezogen waren, den preußischen Militarismus, dessen Metropole Potsdam mehr als zwei Jahrhunderte hindurch blieb, bis die Stadt kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs von britischen Bombern in Schutt und Asche gelegt wurde. Statt »wirtschaftlichen Aufschwungs«, den Platzeck erstaunlicherweise auf die Langen Kerls zurückzuführen scheint, begann damals die Verlagerung der staatlichen Aufgaben von Wissenschaft, Kultur und Bildung auf Waffen- und Munitionsfabrikation, auf Uniformschneiderei und auf den Bau von Kirchen, die der Monarch für unentbehrlich hielt, gemäß seiner für den geistigen Drill der Soldaten gedachten Losung: »Mit Gott für König und Vaterland!« Daß er 27 Jahre den Frieden erhalten habe, ist ebenfalls eine üble Täuschung. Friedrich Wilhelm I. nahm am Nordischen Krieg teil, wofür er von seinem russischen Verbündeten mit beträchtlichem Gebietszuwachs belohnt wurde. Außerdem beteiligte er sich am Spanischen Erbfolgekrieg. Und wenn es in seinen Landen Proteste oder Aufruhr gab, setzte er auch dagegen seine Bataillone in Marsch. Was schließlich »eine der schönsten Städte Europas« betrifft: Einige neue Fassaden verdeckten nicht die Hohlheit, Brutalität und Armut des vom »Soldatenkönig« und seinem Sohn Friedrich II. geprägten Kasernenlebens. Auch unter Friedrich Wilhelm II. beherrschte die beim Militär ausgeübte Gewalt das Stadtbild. Alle Folterungen bis zum Erhängen wurden nach wie vor auf öffentlichen Plätzen vorgeführt. Überall trat den Einwohnern das Despotische dieser blutigen Herrschaft entgegen: die Züchtigungen, der Zwang, die Arroganz der Offiziere, die sklavische Unterwürfigkeit der Gemeinen. Potsdam blieb vermauert, vergittert, ein Käfig, aus dem ein geknechteter, zermürbter, rechtloser Soldat nur unter Lebensgefahr entrinnen konnte. Von diesen dunkelsten Seiten der Hohenzollern-Herrschaft war in den offiziellen Veranstaltungen zum »Preußenjahr 2001« nichts zu sehen und nichts zu hören. Die »Langen Kerls«, die der Potsdamer Oberbürgermeister aufziehen ließ, wirkten mal bei einem »Preußischen Gala-Diner«, mal bei Ausstellungseröffnungen, mal bei einem »farbenprächtigen Spektakel« mit »Pferden, Fuhrwerken und Kanonen« im Filmpark Babelsberg mit, zu dem 50 Mark Eintritt erhoben wurden. Das Traurigste war, daß sich viele, zu viele Bürger daran beteiligten, aber nach solchen amtlich verbreiteten »Informationen« konnte das nicht überraschen. Der manipulierte Bürger ist ein zuverlässiger Bürger. Zum Auftakt des »Preußenjahrs« bejubelten am 18. Januar 2001 im Berliner Schauspielhaus die Herren Diepgen und Stolpe die »preußischen Tugenden« - die sich aber bei den Hohenzollern-Herrschern schwerlich finden lassen. Stolpe ging so weit, am Ende seiner Ansprache zu beklagen, daß immer wieder vom »preußischen Militarismus« die Rede sei. Damit müsse man wohl leben, »aber«, so schloß er, »die Wahrheit ist es nicht.« Ich will dem nur einige wenige Zitate entgegenhalten: »Man breitet seine Macht auf zweierlei Weise aus: durch reiche Erbschaften oder durch Eroberung.« (Friedrich II.) »Der Stier muß Furchen ziehen, die Nachtigall muß singen, der Delphin muß schwimmen, und ich... muß Krieg führen.« (Friedrich II.) »Preußen ist in einer Kanonenkugel geboren worden. Das Lebensgesetz Preußens ist der Krieg.« (Graf Mirabeau) »Die 123 Feldzüge der friderizianischen Zeit haben dem kriegerischen Geist des deutschen Volkes und Heeres für immer seine Eigenart gegeben.« (Heinrich von Treitschke) »Jede menschliche und soziale Tätigkeit hat nur dann Berechtigung, wenn sie den Krieg vorbereitet... Der Mensch darf an nichts mehr denken als an den Krieg.« (General Erich Ludendorff) Ich könnte tausend ähnliche Zitate hinzufügen. Aber ob das Herrn Stolpe, der sich immer wieder voller Stolz als einen »Preußen-Fan« bezeichnete, reichen würde, um sich zu korrigieren? Auf manche Preußen-Schwärmer machen noch so viele Beweise keinen Eindruck. Auch die deutsche Presse war im »Preußenjahr« voll von kritikloser Schwärmerei, unter systematischer Auslassung preußischer Menschenrechtsverletzungen, Fehlleistungen und Untaten. An Friedrich I. und seine Selbstkrönung am 18. Januar 1701 in Königsberg, den unmittelbaren Anlaß für das »Preußenjahr« 300 Jahre danach erinnerten viele Gedenkartikel. Daß Friedrich I. die für die Krönung notwendige Erlaubnis des Kaisers mit der Lieferung von 30 000 preußischen Soldaten für dessen Krieg um Spanien erkauft hat, wurde unterschlagen - es paßte nicht so recht in den Jubiläumsrausch. Ebenso schwieg man über die Rolle der preußischen Armee bei der Niederschlagung der 1848/49er Revolutionen in Berlin, in Dresden, in den Rheinprovinzen und in Baden, bei denen Tausende und Abertausende Kämpfer für eine demokratische Gesellschaft hingemordet wurden. Auch die zahllosen preußischen Eroberungskriege ließ man am liebsten unerwähnt. Fast alle Kommentare ähnelten ehrerbietiger Hofberichterstattung. Die durchgehend katastrophale Lage des Volkes - Hunger, Seuchen, Mißernten, Zerstörung, Invalidität und »Heldentod« - spielte kaum eine Rolle. Im Gegensatz dazu standen Mitte August im Fernsehen des Ostdeutschen Rundfunks - nach einem kitschig-verlogenen Film über Königin Luise - zwei Filme mit den Titeln »Preußen - Tugend oder Größenwahn« und »Preußen - ein Streitfall«. Beide ließen einen vom üblichen Schema abweichenden Grundton erkennen. Sie präsentierten sich sachlich, kritisch, mit angemessener, oft ironischer Zurückhaltung gegenüber den »großen Leistungen« der preußischen Herrscher, völlig frei von Jubel. Der Abspann klärte das Wunder auf. Er war zweisprachig abgefaßt, deutsch und französisch. Als Co-Produzent war der deutsch-französische Sender arte (Straßburg) ausgewiesen. Zu diesem TV-Wunder gesellten sich zwei Zeitungsbeiträge von erstaunlich kritischer Tendenz - einer im Neuen Deutschland, der zweite im Tagesspiegel. Das ND veröffentlichte ein Interview mit dem Potsdamer Geschichtsprofessor Peter Michael Hahn. »Was Preußen angeht,« sagte er, »wundert und erfreut mich wenig, daß es von vielen Zeitungen zum Anlaß genommen wird, preußische Mythen wiederzubeleben. Doch schon im 19. Jahrhundert haben kluge Kritiker zu Recht von den gothaischen und kleindeutschen Geschichtsbaumeistern gesprochen. Die preußische Legende wurde gestrickt, um militärisches Geschehen im Nachhinein historisch zu legitimieren... Preußen steht weder für Bürgertugenden noch für Rechtsstaatlichkeit, noch für eine besondere Toleranz und auch nicht für eine höhere Bildung - dies alles sind Schimären... Preußen... war ein Obrigkeitsstaat, in dem die ländliche Elite und angepaßte bürgerliche Beamte den Ton angaben. Das gelegentliche Aufbegehren einzelner ist zum Mythos der Zivilcourage stilisiert worden... Preußen war ein gottlob rasch absterbender Ast innerhalb der deutschen Geschichte.« Eine wohltuende Stimme im sonstigen schrillen Preußenjubel der Medien. Professor Julius H. Schoeps, Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für Europäische Studien in Potsdam und Gründungsdirektor des Berend-Lehmann-Museums für jüdische Geschichte und Kultur in Halberstadt, beschäftigte sich im Tagesspiegel mit dem Antisemitismus der preußischen Könige und bedauerte, daß die Ausstellung »Preußen 1701. Eine europäische Geschichte« die Möglichkeit verschenkt habe, die Rolle der Juden in den Anfängen des Preußenstaates gebührend zu würdigen. Er sagte: »Ein falsches, sogar verzerrtes Bild entsteht, wenn im Stile borussischer Geschichtsschreibung preußische Geschichte allein als Geschichte des Hohenzollern-Hauses oder als Abfolge militärischer Feldzüge und Siege begriffen wird.« Schoeps erinnerte an die West-Berliner Preußen-Ausstellung 1981, über die man bei Walter Grab nachlesen kann, welche Schwierigkeiten er als Beiratsmitglied hatte, abweichende Akzente zu setzen. »Grab«, so schrieb Schoeps, »machte damals den auf schroffe Ablehnung stoßenden Vorschlag, einen der 20 berühmten Porzellan-Affen aufzustellen, die Moses Mendelssohn anläßlich seiner Heirat mit Fromet Guggenheim von der königlichen Porzellanmanufaktur zwangsweise hatte abnehmen müssen.« Das waren Affen mit verzerrter Fratze, mit denen sich zeigen ließe, wie wenig geschätzt die Juden im Preußen Friedrichs II. waren. Die erzwungene Abnahme eines solchen Affen war eine Art abgepreßter Steuer, womit die Behörden zu erkennen gaben, daß es ihnen »nicht nur um die Ausbeutung der Juden, sondern auch um deren Verhöhnung ging«. Auf Grabs Hinweis, mit der Präsentation eines solchen Porzellan-Affen könne vielleicht doch »Bedenkliches über das Preußen der Aufklärung und seine viel gepriesene Toleranz ausgesagt werden«, kam die Antwort: »Nein! Damit werden wir unsere schöne Ausstellung nicht verschandeln!« Der durchgängige preußische Antisemitismus, mit dem sich der letzte Kaiser, Wilhelm II., besonders hervorgetan hat (Ossietzky 23/01), blieb auch im »Preußenjahr 2001« ausgeblendet. Damit wollte man das schöne Preußen-Bild auch diesmal nicht »verschandeln«. In den Veranstaltungen wurden fälschlich immer wieder die mit den ersten preußischen Schulen erreichten Bildungsfortschritte gerühmt. Wenn man aber vergleicht, wann in den einzelnen deutschen Fürstentümern die ersten Schulen gegründet wurden, steht Preußen am Ende der Liste, hundert Jahre nach Bayern. Die »Schule« war im allgemeinen eine Wohnschlafkammer des »Lehrers«, die meist auch Haustiere und Hühner beherbergte. Der »Lehrer« war, besonders unter dem Eroberungskrieger Friedrich II., in vielen Fällen ein Kriegskrüppel, der selbst nicht lesen und schreiben konnte. Der königliche Despot meinte, es genüge, wenn die Kinder beten und arbeiten lernten, , eben das, was sie dort, wo sie aufwuchsen, brauchten. Kriegskrüppel als »Lehrer« - das gehörte zum Versorgungssystem für Unteroffiziere oder Feldwebel. Die niedrigeren Chargen wurden mit Bettelerlaubnisscheinen in ihre Dörfer zurückgeschickt (s. Ossietzky 6/01). Der sozialgeschichtliche Ansatz der Veranstaltungen zum »Preußenjahr 2001« war so dürftig wie die Behandlung demokratischer Bewegungen. Die revolutionären Kämpfe kamen kaum bis überhaupt nicht vor. Ebenso wenig die militärischen Aktionen gegen die Proteste und Aufstände. So hatte die polnische Zeitung Polityka recht, als sie das »Preußenjahr« als »propagandistische Schau« charakterisierte, die Preußen als »fortschrittliches Staatsmodell« darstelle und kritische Fragen - etwa zur Behandlung der Juden, zum Militarismus, zum Weg in den Nationalsozialismus - vermissen lasse. Die drei Teilungen Polens und die Unterdrückung der polnischen Bevölkerung durch die preußischen Machthaber, Junker und Offiziere sind im Nachbarland nicht vergessen. Neben staatlich geförderten Veranstaltungen gab es - und gibt es noch - zwei private Preußen-Shows, veranstaltet von zwei Millionären mit Preußenfimmel, die in brandenburgischen Schlössern residieren: in Gusow bei Seelow der Berliner Peter Engelhardt, in Wustrau am Ruppiner See der gebürtige Sachse Ehrhard Bödecker. Letzterer, ein pensionierter Bankier, hat sich sein auf dem ehemaligen Gut des preußischen Husarengenerals Hans Joachim von Zieten eingerichtetes Hobby nahezu sieben Millionen Mark kosten lassen. Sämtliche Begleittexte zu seinen Exponaten hat er selbst geschrieben. Auch den 120 Seiten umfassenden Museumskatalog hat er verfaßt. »Didaktische Schuttbeseitigung« nennt Bödecker sein Werk, bei dem er fachliche Beratung ablehnte. Er habe, so betont er, eine tiefe Abneigung gegenüber Berufshistorikern. Er strebe an, »Wissenslücken über Preußen, diesen erstaunlichen Staat, schließen zu helfen«. Und so wird in Wustrau ein durch und durch subjektives Preußenbild geboten, Friedrich Wilhelm I. zum Beispiel als »Erfinder der Abschreckungsstrategie« dargestellt und Friedrich II. zum »Grundsteinleger für die spätere Einigung Deutschlands« erklärt. Als »Höhepunkt deutscher Geschichte« preist der Millionär das Kaiserreich Wilhelms I., mit dem Deutschland zum führenden Land der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Rechtsstaatlichkeit in der Welt geworden sei. Die preußenverherrlichende Show in Wustrau hatte bisher 70 000 Besucher, und der Strom reißt nicht ab. Das »Brandenburg-Preußen-Museum« ist auch im Winter geöffnet. Nach vorheriger Anmeldung steht an den Wochenenden Herr Bödecker für Führungen zur Verfügung. Angesichts der Radikalität der dort unter dem Motto der »Didaktischen Schuttbeseitigung« betriebenen Geschichtsverfälschung hätte längst der brandenburgische Innenminister einschreiten müssen. Doch dieser, der Ex-General Schönbohm, zeigt sich mit dem Ex-Bankier seelenverwandt: So wie sich Bödecker für die Presse neben einer Statue Friedrichs II. ablichten ließ, so posierte Schönbohm schon auf dem CDU-Landesparteitag, auf dem er zum Vorsitzenden gewählt wurde, mit einer überlebensgroßen Statue »Friedrichs des Großen« neben seinem Rednerpult. Nach dem üblen Verlauf des »Preußenjahrs 2001« ist eine Dauerausstellung über die Kriegsverbrechen Preußens-Deutschlands-Großdeutschlands überfällig. Aber von wem kann die Initiative ausgehen? Von Schönbohm gewiß nicht, vom Potsdamer Oberbürgermeister Platzeck auch nicht. Und ebensowenig von einem Bundeskanzler Schröder, der Besuchern in seinem neuen Amtssitz an der Spree auf dem Schreibtisch das Bild seines Vaters in Nazi-Wehrmachtsuniform zeigt und die »Enttabuisierung des Militärischen« verkündet.
Erschienen in Ossietzky 1/2002 |
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