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Als der Hals der Hydra ausgebrannt war, bemächtigte sich Herakles darum ihrer geschwollenen Galle samt der Steine, zermalmte sie, bestrich damit seine Pfeile gegen einen neu gesichteten Feind und brachte ihm damit offen schwärende unheilbare Wunden bei. Durch diese neue Waffe, der man nicht mehr den Kopf abschlagen konnte, wurde er die nächste, die zweite Hydra, und der mit den nicht vernarbenden, unheilbaren Wunden wurde dann die Dritte. Man kann leicht erkennen: Wäre der ersten Hydra nicht der Kopf abgeschlagen worden, hätten ihr nicht sogleich zwei neue Köpfe nachwachsen können. Und hätte sie ihre Galle, ihre Steine behalten, wäre sie langsam - »weil in der Zeit die größte Klugheit steckt« (Rabelais) - an ihr dahingegangen. Jetzt haben sich die USA in Afghanistan zur zweiten Hydra emanzipiert mit der Hinrichtung ganzer Dörfer. Aus ihr wird jetzt kommen die Dritte, mit den offenen, schwärenden Wunden der Dritten Welt, die jene schmerzhaften Steine, die in der Galle wuchern, auf uns schleudern wird, wo immer sie uns treffen kann - unseren unchristlichen Hochmut, unser mörderisches Pharisäertum mit den Menschenrechten, unsere Begierden, die kein Überfluß stillen kann, unsere Eroberung des Himmels in die Verwandlung zur geöffneten Hölle. Dafür und für sehr viel mehr seit über 500 Jahren erbittet die Ohnmacht, erbittet das Elend der Welt von seinem Himmel die Rechnung: daß er die schwarze Galle in einer göttlichen Metamorphose wie dichten Hagelschauer in Steinen, in Felsbrocken vom Himmel schleudert auf die erste Welt für ihren Verrat an Gott und den Menschen seit 500 Jahren - weil sie der Einsicht über diese 500 Jahre nicht fähig ist, weil sie bis zum Nimmermehrtag auf ihr Geld setzt, weil sie sich den Himmel gekauft hat mit einer Kreditkarte, der das Elend der Welt jetzt keinen Kredit mehr gewährt. Und auch wir, die unsere Hände an den christlichen Feiertagen der großen Heuchelei nicht im Schoß zu halten vermögen, um aufzuschreiben, daß auch an solchen Tagen der Tod die B-52-Bomber besteigt, um gezielt 100 Menschen auf einmal hinzurichten, bekommen bald nur noch »das Lob der Torheit« zu hören, das uns lächelnd sagt: Du kannst die Welt nicht ändern. Und es hörend suchen wir weiter nach den noch nicht verbrauchten, durch ständiges Wiederholen noch nicht gestorbenen Wörtern. Wörter suchen wir, die die Leute aus ihren Häusern laufen lassen, um zu schreien: Es sind Kinder, es sind Mütter, die ihre umbringt; Wörter, die ihnen sagen, daß sie Barbaren sind, von millionen Müttern Verfluchte im Irak und jetzt in Afghanistan - und andere Wörter, noch nicht verbrauchte, durch ständiges Wiederholen noch nicht zu Asche gewordene, Bildwörter wie in früherer Zeit das vom weich gewordenen Stein, mit dem man Leute kenntlich machen konnte, die, vor eine notwendige Einsicht gestellt, nicht Riegel und Schlösser hängen, um dann hinter verschlossenen Türen aus Angst zu verrecken - wenn sie jetzt z.B. von einem aus Afghanistan Zurückgekehrten, noch einmal Davongekommenen hören, was er über den Haß in Afghanistan weiß, den Haß auf ihre mörderischen Befreier, Mörder ihrer Kinder, Mörder ihrer Mütter, wo- rüber er berichtet noch mit Asche im Munde wie eben jetzt der bedeutendste unter den Berichterstattern aus Afghanistan, Robert Fisk. Er teilt uns mit, wie Afghanen in einem Dorf mit Flüchtlingen ihn erst mit Kieselsteinen, dann mit Feldsteinen auf den Kopf blutig schlugen, bis seine Augen im Blut schwammen, bis er vor Blut nichts mehr sehen konnte; wie ein Junge fragte, ob er Bush sei; wie immer mehr Leute sich um ihn sammelten und hundert Männer auf ihn eindrangen; wie ein alter Mann ihn dann wegführte und sein Leben rettete. Er spricht auch über sein mit Blut und Tränen verschmiertes Gesicht, seine Hände - und dieser englische Staatsbürger und weltberühmte Berichterstatter beendet den Bericht über den Angriff der Afghanen auf ihn dann folgendermaßen: Die Leute, die angegriffen wurden, waren die Afghanen. Die Narben wurden ihnen von uns zugefügt, von B-52-Bombern. Nicht von ihnen selbst. Und ich sage es wieder: Wenn ich ein afghanischer Flüchtling in Kila Abdullah wäre, hätte ich genau das getan, was sie taten. Ich hätte Robert Fisk angegriffen. Oder jeden anderen Abendländer, den ich finden könnte. Mancher, der jetzt nach Afghanistan geht, kann mit der Frage, ob er Bush sei, konfrontiert sein. Für diese Frage brauchen die Afghanen keine Schulen, schreibt Robert Fisk. Und sie werden auch wie bei Robert Fisk die Antwort nicht abwarten. Vermutlich werden sie gar keine Fragen mehr stellen - die machen tote Frauen und Kinder nicht lebendig. Die jetzt nach den Bombengeschwadern ins Land kommen, die leicht erkennbaren Eindringlinge aus dem Abendland, werden den Gott, der Steine wachsen ließ - diese erste und letzte Waffe des Menschengeschlechts -, fühlen; wohl fühlen den gesammelten Haß gegen die erste Welt: einen Haß aus dem Grund der Seele. Die erste Welt kann nicht mehr hoffen auf Gnade vor Gott. Nachdem sie IHN aus seiner angestammten Wohnung vertrieben hat, ist er ein Flüchtling geworden unter Flüchtlingen und wird, wo immer er sich aufhält, die Steine segnen.
Erschienen in Ossietzky 1/2002 |
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