Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Käthe Reichels Dorf Ai Tuvon Eckart Spoo Alle sollen was bauen Die Schauspielerin Käthe Reichel, Schülerin Bertolt Brechts, die bis ins vorige Jahr zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin gehörte, faßte damals, als sie 75 Jahre alt wurde, den Entschluß, in Vietnam ein Dorf für hundert Familien zu errichten. Alle Gratulanten sollten mit Spenden dazu beitragen. Käthe Reichel erinnert sich oft an Demütigungen in ihrer Kindheit: wie sie, als sie viereinhalb Jahre alt war, und dann noch einmal im Alter von neun Jahren mit ihrer Mutter »exmittiert«, d.h. auf die Straße gesetzt wurde, weil das Geld für die Miete nicht reichte. »Es war November, Regenwetter. Unsere Möbel standen im Hausflur. Da kam der Hauswirt und sagte in ganz ruhigem Ton: ›Bitte stellen sie die Möbel auf die Straße, der Flur ist mein Eigentum.‹ So lernte ich den Begriff Eigentum kennen. Und seitdem weiß ich, was Arbeits- und Obdachlosigkeit bedeuten. Die beiden Grundfreiheiten des Menschen sind ein Dach überm Kopf und ein Einkommen, um Brot zu kaufen.« Der Vorschlag, in Vietnam zu helfen, kam vom Solidaritätdienst international e.V. (SODI): In der Provinz Quang Tri, unweit des 17. Breitengrads, der ehemaligen Trennlinie zwischen Süd- und Nordvietnam, waren während des Krieges der USA gegen das vietnamesische Volk fast tausend Dörfer vernichtet worden. Die Überlebenden aus dem Dorf Ai Tu ließen sich in der sandigen Niederung des Flusses Thach Han nieder, wo das, was sie bauten und anbauten, jedes Jahr mindestens einmal überschwemmt wurde. Aber auf den Hügel nach Ai Tu konnten sie nicht zurück – bis mit Hilfe von SODI und ehemaligen Soldaten der DDR-Armee das Gebiet von Bomben, Minen und Granaten geräumt war. Käthe Reichel griff die Idee auf und machte sie sich zu eigen. Ein Haus aus Stein, so erfuhr sie, kostet umgerechnet nur 1000 Mark, wenn die Vietnamesen es selber bauten. Sie nahm sich vor, mit Hilfe ihrer Freunde hundert Häuser zu finanzieren, das ganze geplante Dorf. Sie benötigte also 100 000 Mark. So viel Geld zusammenzubringen, dauerte länger, als sie zunächst angenommen hatte: zehn Monate. Jetzt, im Februar 2002 konnte sie nach Vietnam fliegen, um Ai Tu, ihr Dorf, zu besuchen. Denn alle Häuser sind fertiggestellt – jedes anders als die anderen, je nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Familien. Einige Kollegen vom Theater, an die sie sich als erste gewandt hatte, reagierten schnell und großzügig. Der Regisseur Benno Besson – es ist kein Geheimnis – trug allein schon das Geld für vier Häuser bei. Auch der Gewerkschafter Horst Schmitthenner half nach Kräften. Steffi Eisler, die Witwe des Komponisten Hanns Eisler, rief an: »Schick mir noch zehn Briefe zum Weiterschicken.« Andere kopierten den Brief selbst – und wenn sie Käthe Reichels Empfehlung folgten, riefen sie die einzelnen Adressaten an, bevor sie den schriftlichen Spendenaufruf versandten. Am Stadttheater Cottbus wurden 1668 Mark gesammelt. Zwei Rentner, Mann und Frau, spendeten je 500 Mark: 1 Haus. Ein besonders eifriger Mitsammler war ein ehemaliger Wiederaufbauhelfer in Vietnam, der 2650 Mark überbrachte. Aber nicht alle, auf die Käthe Reichel gehofft hatte, beteiligten sich. Die Frau eines bekannten Schauspielers schrieb zurück: »Käthe, Du kannst die Welt nicht ändern.« Das, findet Käthe Reichel, »ist eine besonders schäbige Art, den Geiz zu verbergen.« Zeitweilig kamen Ängste, es nicht zu schaffen. Aber: »Wenn ich mir selber ein Versprechen gegeben habe, würde ich es nicht aushalten, es nicht zu erfüllen.« Am 1. Mai 2001, wenige Wochen nach dem 75. Geburtstag, saß Käthe Reichel den ganzen Tag, von 9 bis 19 Uhr, auf einem Platz in Potsdam, um für ihr Projekt zu werben. »Da kam eine alte Frau, die sagte, sie beziehe eine kleine Rente und könne daher nur zwei Mark geben. Ein Mädchen, vielleicht 17, schlicht, ja ärmlich gekleidet, hielt ein Markstück in der Hand und stotterte: ... ob ich das nähme. Ich bin aufgestanden und habe sie umarmt. Am späten Nachmittag hatte ich 1830 Mark gesammelt, da fehlten also 170 Mark an zwei Häusern – denn ich habe immer gezählt und gezählt, auch jeden Abend vor dem Einschlafen. Und ich sagte es einer Frau, daß noch 170 Mark fehlten. Die ging dann auf dem Platz herum und sagte: Da sitzt Käthe Reichel und sammelt, und ihr müßt ihr helfen. Schon fünf Minuten später kamen zwei Leute mit je 50 Mark. Am Abend hatte ich zuletzt sogar 300 Mark mehr.« Im Herbst – der Sommer war flau gewesen – las Käthe Reichel im Alten Museum Stralsund Anatol France. Das ist, neben Brechts »Heiliger Johanna der Schlachthöfe«, eins der Programme, mit dem sie gern auftritt. Nach der Lesung kam ein greiser Mann auf sie zu, der von dem Projekt gehört hatte. Sie gingen zusammen ein Bier trinken, er erzählte ihr sein ganzes Leben – und daß er kürzlich für erlittene Verluste 4000 Mark bekommen hatte. Er gab ihr davon 400. Anfang 2002 waren nicht nur die 100 000 Mark zusammen, sondern noch 20 000 Mark mehr, wofür sich Käthe Reichel längst eine Verwendung ausgedacht hatte: »Jeder Bauer bekommt ein Schwein, ein paar Hühner und Futter für die Tiere.« Ach wie schön ist doch zu geben
Erschienen in Ossietzky 4/2002 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |