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Ein solches Programmheft ist das zu der Inszenierung »Erniedrigte und Beleidigte« in der Volksbühne Berlin. Es hat ca. 180 Seiten, enthält elf Beiträge verschiedener Autoren und zudem 22 Hunde-Porträts; es trägt den Titel: »Erniedrigung genießen« und den Untertitel: »Kapitalismus und Depression III«. Ich fühle mich von den meisten Texten sowohl erniedrigt als auch beleidigt; einen Genuß bietet mir die Lektüre nicht. Erniedrigung kann ich nicht genießen. Das ist gedruckter Unfug. Der beste, weil entlarvende, ansonsten zynische Satz steht auf Seite 139. Autor Franz Liebl zitiert, was ich nun wiedergebe: »Wissen Sie, bei Procter haben wir ein Sprichwort, das heißt: ›Halten Sie die Leute nicht für blöd, aber vergessen Sie nie, daß sie es sind.‹» Wenn das die Haltung nicht nur der Marktstrategen ist (gewiß), sondern auch der Bühnenleiter, muß man sich über viele Seiten des heutigen Theaters gar nicht mehr wundern. Aber nun zur Aufführung. Dostojewskis Roman »Erniedrigte und Beleidigte« ist nicht sein bester, eher ein Gelegenheitswerk des Großmeisters. Nachgestaltet wird ein Rußland von Gutsbesitzern oder deren Verwaltern, verkrachten Fürsten, die bereits Kapitalisten sind, verlorenen Einzelmenschen, meist Frauen, Waisenmädchen wie Nelly (Kathrin Angerer) oder Damen mit der großen Geste wie Natascha (Jeanette Spassova), Ärzten, die an ihrem Tun zweifeln (später stellte Tschechow sie ins Zentrum), und immer wieder gescheiterten Schriftstellern, die stets Großes wollen – für Menschheit, Staat und den Menschen. Martin Wuttke spielt einen solchen, mit Russen-Schapka: begabt und nicht eben kreativ, mit großer Geste, die in die heroische Phrase abgleitet und klein wird, am Ende bleibt die eigene Lust, und nicht mal die schafft er. Man weiß genau, der will was für die Änderung der Verhältnisse, vielleicht gar für die Revolution tun – und weiß ebenso genau, mit dem kommt gar nichts. Diesen Widerspruch des Unvermögens spielt Wuttke. Das ist schwer, fürwahr. Er vermittelt Einsichten, an denen man verzweifeln kann. Aber schön! Und er läßt offen, daß andere es vielleicht besser könnten. Mit ihm und Jeanette Spassova spielen die gleiche, zumindest ähnliche Erkenntnislage: Bernhard Schütz als Vater, Henry Hübchen als Fürst, Astrid Meyerfeldt als Puffmutter, Irina Potapenko als Katja, Susanne Düllmann und Hendrik Arnst. Alte Volksbühnen-Tradition eins mit den Jungen, vom Intendanten/Regisseur Castorf geprägt. Ergebnis: ein schönes. Freilich darf man nicht den Bühnenbau von Bert Neumann vergessen: Es ist das russische Haus oder die moderne Datscha, schon mehr Bungalow, bekannt aus den »Dämonen« des fast gleichen Ensembles desselben Regisseurs vor drei Jahren – doch anders: Hier ist Winter, der künstliche Pool vereist wie die Seelen der Figuren und wie unsere, denn die Gesellschaften sind ähnlich. Auf dem Glatteis rutscht man ständig aus, stürzt wie der Schriftsteller (Wuttke) oder wie Wuttke (der Schriftsteller). Aber solch ein Einfall verbraucht sich schnell, wie gekonnt-artistisch er auch gemacht ist. Achtung Langeweile! Die Bühne dreht sich ständig, die Jahre gehn und die Zeit. Das will man uns sagen. Man tut es fast vollendet und sehr schön. Das versöhnt mit der matten Botschaft, selbst wenn der Steiß nach fast fünf Stunden wehtut. Könnte sich solche Schönheit nicht in Hoffnung umsetzen: daß Leben auch anders sein, andere Möglichkeiten haben könnte!? Eigentlich ist Theater gleichermaßen für Gegenentwürfe zuständig! Oder? * 1973 war es ein Ereignis: »Das Sparschwein« von Eugène Labiche aus dem Jahr 1864 unter der Regie von Peter Stein in der Berliner Schaubühne, damals noch am Halleschen Ufer. Eine nahezu perfekte Inszenierung mit großen Schauspielern von geradezu atemberaubender, gefährlicher, den Atem erstarren lassender Komik. Da kam der Kleinbürger in seiner präfaschistischen Gemeinheit daher – in Gestalt einer Klamotte, denn so hatte man das Stück immer aufgefaßt. Stein machte es möglich. Und zwar auf der Basis einer dramaturgischen Bearbeitung durch Botho Strauss, als der noch gut war. Um so größer jetzt die Enttäuschung. Inszeniert hat Patrick Schlösser, es spielen Schauspielstudenten der Hochschule »Ernst Busch« Berlin. Ich bin dafür, daß Schauspielstudenten große Aufgaben auf großer Bühne vor richtigem Publikum bekommen. Aber hier hat man sie im Stich gelassen. Eine Provinzbürger-Gruppe unternimmt eine Parisreise, die sie aus einer Spielkasse (Cagnotte, wie der Originaltitel des Stückes lautet) finanziert. Dabei gerät sie in verwirrende Situationen, in Konflikte mit kapitalistischer Realität, die sich zur Katastrophe auswachsen. Doch hier wirkt das alles harmlos, nur sehr laut. Damals in der Schaubühne war zu sehen, wie Menschen zu Schweinen werden. So ist es in Strauss' Text zu lesen. Keine Spur davon jetzt auf der Kammerbühne. Am Ende ein friedlich-versöhnliches Eiapopeia. Das steht auch im Text, aber als verlogene Farce. Hier wird es brav ernst genommen. Aus der von Strauss/Stein entdeckten realistischen Komödie ist wieder ein braves Salonstück geworden. * Wochenlang Marlene Dietrich – in Kinos und TV-Kanälen etliche ihrer Filme, auch die letzte Dokumentation aus ihren Lebzeiten von Maximilian Schell (1983), die Ausstellung am Potsdamer Platz, das Marlene-Stück von Gems/Kühn zum 375. Male im Renaissance-Theater, und im Hebbel-Theater Hans Bräunlichs Collage »Ich gehöre nur mir ganz allein«, übertragen von Bayern 2 und anderen Sendern. Das alles dem Genius der einstigen Berlinerin, die jetzt wirklich heimgekehrt zu sein scheint, nachdem sie als Antifaschistin jahrzehntelang beschimpft worden war. Vor neun Jahren fand sie ihren Ruheplatz auf dem Friedhof in Friedenau, ihr Nachlaß im Filmmuseum. Der Bräunlich-Abend ist eigentlich ein Cora-Frost-Abend. Die junge Schauspielerin und Diseuse hat etwas von dem Schillernden, Verwirrenden und doch genau Kalkulierten des großen Vorbildes. Etwas. Von jedem etwas. Und singen kann sie auch. Das Ensemble mit ihr bilden Angela Roy, Joachim Nimtz und Ulrich Noethen; jazzig spielt das Michael Fuchs-Quintett mit. Gegen Ende wird die zweistündige Folge von Liedern, Briefen und im Hintergrund einigen Film-Bildern traurig und dunkel. Das wäre nicht in Marlenes Sinne gewesen. Sie leuchtete.
Erschienen in Ossietzky 4/2002 |
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