Derwischt

von Wolfgang Eckert

In meinem kleinen Lottoladen lockt nicht nur die Hoffnung, Millionär zu werden, es locken auch betäubende Glanzfolienromane über echte Fürstenliebe, Sex, Frauenärzte, arme standeshungrige Mädchen und dergleichen weltbewegende Themen. Wenn ich in der Schlange warten muß, drehe ich am Bücherständer und denke überwältigt: Das also ist unsere Literatur. Fast hätte ich ein kleines Heft übersehen. Bescheiden steckte es unter all dem Glanz und schien mir – wie in dem Märchen »Frau Holle« die Brote – zuzurufen: Zieh mich heraus, ich bin schon lange braun!

Es hieß schlicht »Der Landser«. Und in den Untertiteln: »Nachtschnellbomber - Die Geschichte eines Eliteverbandes der Luftwaffe«. Aha, endlich einmal etwas über unsere Bundeswehr! Man hört doch so wenig von ihr. Doch das Titelbild machte mich stutzig: Eine Focke-Wulf inmitten krepierender Flakgranaten, im Strahl suchender Scheinwerfer und der Spur von Leuchtgarben. Am Höhenruder das Hakenkreuz. Und das Ganze hieß zusätzlich noch: »In der Flak-Hölle über London«. Ich wollte schon immer die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg wissen. Deshalb kaufte ich das Werk und trug es erwartungsvoll gestimmt nach Hause. So erfuhr ich denn durch die Gestaltungskraft des Autors und seine Burschikosität, wie in einer Elitetruppe von eleganten Jungs dieser Krieg eine sportliche Disziplin war und die Sieger auch demgemäß geehrt wurden. Das erkennen drei Oberfähnriche, die wettkampfgestimmt zur Elite stoßen, gleich zu Beginn. »Die Tatsache, daß hier kaum einer ohne das Eiserne Kreuz I. Klasse herumlaufen würde, war ihnen schon vorher klar gewesen,« erfahre ich. Manche sind unter ihnen mit gepflegten Oberlippenbärtchen wie zum Beispiel Oberleutnant Seeberger. Aber was wäre das alles ohne die Freude am Mittun in diesem Krieg! Bald sind wir in der Luft, und später erleben wir wie am eigenen Leibe die Begeisterung mit, als Leutnant Schuller mit Hallo empfangen wird: »Mensch, Rolf, ich hab' schon gehört! Drei ›Lancaster‹ abserviert! Gratuliere! Menschenskind, das mußt du uns erzählen, wie du das gemacht hast!« Oberfähnrich Merz legt einige Seiten danach seine Bombe genau ins Ziel. »I hab's derwischt!« brüllt er wie wild. »Derwischt hab i die hinterfotzigen Hund!« Natürlich gibt es dafür zur Siegerehrung das Eiserne Kreuz, ausgehändigt von einem »bombastischen, im Ledermantel steckenden Koloß. Den Marschallstab in den behandschuhten Linken...« Er hat später in Nürnberg eine Ampulle mit Gift zerbissen. Aber das gehört nicht hierher. Hier sausen die eleganten Jungs wie Mitglieder eines Segelfliegerklubs durch die Lüfte und machen sich gegenseitig auf ihre Luftspiele aufmerksam: »Wie wär's mit der Hauptstraße nach Fugères?« fragte Merz. »Gut, pack ma's!« Lustig und schneidig ist so ein Jagdbomberleben! Und vor allem sauber. Nirgendwo Tote, kein Blut, keine abgerissenen Körperteile, keine toten Zivilisten – Männer , Frauen, Kinder –, keine Todesschreie. Es wird fern da unten gestorben. Nur Siegesschreie. Und wenn die Jungs in der Elitetruppe schon einmal ein paar Kratzer mitbekommen, werden diese lässig abgetan. »Dafür gab es zum Heiligen Abend hübsche Geschenke! Oberfähnrich Hans Merz wurde Leutnant und bekam das EK I.« Gelegentlich fallen auch anerkennende Worte für den Feind, wenn er sich gekonnt vom Boden aus verteidigt. »Hier wird nicht wild in die Gegend geballert, hier wird diszipliniert und effektiv gearbeitet.« Das ist es! Der Krieg als Arbeit. Als Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Wenn dieser hier auch verloren ging, so ist er doch jahrelang hochgekommen und also Mühe und Arbeit gewesen. Die tollkühnen Jungs mit ihren Menjoubärtchen, das weiß ich jetzt, haben ihr Bestes getan. An ihnen lag es nicht. Und ihre Gebeine klappern mit ihren Ritterkreuzen um die Wette, wenn sie im Fliegerhimmel weiter ihre Bomben werfen. Wären alle so wie sie gewesen, hätten wir den Krieg gewonnen. Zum Glück, schrieb einst Erich Kästner, gewannen wir ihn nicht. Aber darf man jetzt noch Kästner zitieren, wenn die Enkel, geistig-moralisch angeleitet durch den Verlagskonzern Heinrich Bauer, der hiermit schon das 2255. »Landser«-Heft vorlegt, neue Kriege gewinnen wollen?

Erschienen in Ossietzky 4/2002