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Oder mit einem banalen Hintergedanken, etwa: »Jedem das Seine, und mir ein bißchen mehr!« Unmißverständlich ist der Sinn von Jedem das Seine! jedenfalls nicht. Doch ist ohnehin nicht die Eindeutigkeit, sondern die Deutungsvielfalt intelligenter Sätze das Normale. Schon deshalb, weil sich der geistige Gehalt eines Textes ohne dessen jeweiligen Kontext nicht erschließen läßt. Und dieser wandelt sich wie alles in der Welt; rascher jedenfalls als Worte, die versteinerten Gedanken. Worten wohnt kein Begriff inne. Es sind die Menschen, die etwas bezeichnen und begreifen – oder auch nicht! Zum Schlagwort ist Jedem das Seine! dadurch geworden, daß der (übrigens in einem Dorf bei Skopje geborene) oströmische Kaiser Justinian das Suum cuique! seinen fünfzig Bücher umfassenden Pandekten von 533 u. Z. als Rechts- und Gerechtigkeitsprinzip zu Grunde legen ließ. So ist noch ein Jahrtausend danach bei Shakespeare zu lesen: Suum cuique is our Roman justice (Titus Andronicus I, 2). Und Justinians Gesetzgebungswerk erwies sich als die folgenreichste Kodifikation der Weltgeschichte: Ihre Regelungen wurden in ganz Europa rezipiert; sie galten in Deutschland zumindest partiell bis ans Ende des 19. Jahrhunderts und sind noch im heutigen Bürgerlichen Gesetzbuch nachweisbar; europäisches Recht wiederum infizierte mittels europäischer Macht das Recht im Rest der Welt. Und damit wurde auch Jedem das Seine! zur Gerechtigkeitsformel schlechthin: »Das Recht ist die Kunst des Guten und Gerechten.…Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren. Die Regeln des Rechts sind die folgenden: ehrbar leben, andere nicht verletzen, jedem das Seine zubilligen« (Digesten 1, 1, 1 u. 1, 1, 10). Wenn auch Justinians Corpus iuris civilis als Quelle des künftigen Schlagwortes Suum cuique! und dessen deutschsprachiger Version Jedem das Seine! gelten mag (womit dieses den Status eines über Jahrhunderte hin verbindlichen Rechtsprinzips innehatte!), so ist das Recht Roms doch nicht die Quelle des diesem Schlagwort zu Grunde liegenden Gedankens. Die Digesten selbst verwiesen auf den 223 u. Z. von einer Prätorianergarde ermordeten Ulpian, aus dessen Regelwerk die Suum-cuique-Passagen exzerpiert worden seien. Und von diesem höchst produktiven Juristen darf angenommen werden, daß er zumindest einige der Schriften des Cicero kannte, welcher wiederum in mindestens acht seiner Werke den Suum-cuique- Gedanken anerkennend erörterte. Vor Cicero hatten schon Seneca (Epistolae morales 81, 7) und, wie Aulus Gellius (Noctes Atticae XIII, 24) berichtet, der ältere Cato das Suum cuique! formelhaft verwendet. Daß die Römer wie in so manchem anderen auch hierbei in der geistigen Schuld der Griechen standen, war zu vermuten; es ist nachweisbar: Bereits Aristoteles definierte die Gerechtigkeit als eine Tugend, durch die Jeder das Seine erhält (Rhetorik 1366 b), und Platon ließ aus dem Munde von Sokrates unter Berufung auf den Dichter Simonides von Keos (556-468 v. u. Z.) behaupten, das Gerechtsein bestehe darin, daß man einem jedem erstattet, was ihm gebührt (Politeia 332). – Man verzeihe die aufdringliche Akkuratesse bei der Spurensuche. Aber bei nicht allzu vielen Schlagworten dürfte neben seiner eigenen Quelle auch noch deren intellektuelle Vorgeschichte detailliert nachweisbar sein. – Nun aber, endlich, in die Gegenwart. Und die hat es in sich! Denn Jedem das Seine! ist ins Gerede gekommen. Sehr sogar, und mit politischer Brisanz. Ein Schlagwort also, das Schlagzeilen macht. Auch das ist nicht das Gängige, zumal dieses Schlagwort uralt und der Skandal brandneu ist. Normalerweise droht Schlagworten eher das Schicksal, daß sie bis zur buchstäblichen Sinnlosigkeit abgegriffen werden. Oder sie rutschen ins Banale. So hätte die Gerechtigkeitsformel Jedem das Seine! zum Spaßgesellschaftsmotto Jedem Tierchen sein Pläsierchen! abflachen können. Es kam jedoch ganz anders. Die Reklametexter einiger Großfirmen hatten sich nämlich auf das Sprüchlein mit seinem werbeträchtigen Allquantifikator »jeder« besonnen. Statt die mediale Fremdbestimmung des Käuferverhaltens mit: »Katzen würden Whiskas kaufen« oder mit: »Persil, da weiß man, was man hat« zu fruktifizieren, suggerierten unter anderem Microsoft, Burger King, Nokia, REWE und Telekom dem ehrenwerten Publikum mit Jedem das Seine!, daß sich eben ein »jeder«, der etwas auf sich hält, »sein« Handy, »sein« Grillzubehör, »sein« Laptop-Programm oder »seinen« Hackfleisch-Sandwich der entsprechenden Handelsmarke kaufen müsse. Es waren nicht etwa die Altphilologen, die dagegen protestierten, daß des schnöden Mammons wegen mit antikem Gedankengut Schindluder getrieben und ein Sakrileg begangen werde, indem ein ehrwürdiges Gerechtigkeitsmaß zu einem profanen Werbeslogan herabgewürdigt worden sei. Vielmehr empfand es eine historisch-politisch sensibilisierte Öffentlichkeit als obszön, daß für Kapitalistenkommerz mit einem Text geworben werde, den die Nazibarbaren in das Eingangstor ihres Konzentrationslagers Buchenwald hatten einschmieden lassen, um ihre Opfer auch noch zu verhöhnen. In das auf dem Ettersberg bei Weimar eingerichtete KZ Buchenwald mit seinem Einlieferungsmotto Jedem das Seine waren von 1937 bis 1945 an die 240 000 Menschen aus 32 Nationen verschleppt worden, von denen etwa 56 000 den Terror nicht überlebten, darunter der Kommunist Ernst Thälmann, der Sozialdemokrat Rudolf Breitscheid und der Pfarrer Paul Schneider. In den 136 Außenkommandos dieses KZ waren die Häftlinge zu Sklavenarbeit gezwungen worden, unter anderem bei den kapitalistischen Rüstungsbetrieben BMW, Bochumer Verein, Braunkohle-Benzin-AG, IG-Farben, Junkers, Krupp, Rheinmetall-Borsig und Wintershall. Daß die Nazis Meister perversester Demagogie waren, gehörte bekanntermaßen zu ihren Wirkungsbedingungen. Daß zu den Geschäftsbedingungen von Werbetextern nicht grade Sensibilität für inhumane Assoziationen ihrer Slogans gehört, sondern bedenkenlose Interessenwahrnehmung für die Warenproduzenten und - verkäufer, ist eine Binsenwahrheit. Den Reklamemachern von heute entgeht doch nicht, daß die Schlüsselkategorie der bürgerlichen Gesellschaft, was auch immer der Verfassungstext besagt, nicht die Würde der Menschen ist, sondern deren Wert für die Mehrwertgewinner. Empörend ist es allerdings, daß sich bundesrepublikanische Firmen angesichts eskalierender neofaschistischer Untaten in Deutschland, einer immer wieder in Nationalismen entgleisenden Offizialpolitik und der jämmerlichen Querelen um die Entschädigungszahlungen an die NS- Zwangsarbeiter weigerten, die in ihrem Auftrag hergestellten (steuerabzugsfähigen!) Werbematerialien mit Jedem das Seine! umgehend aus dem Verkehr zu ziehen, wenn sie schon der Hinweise von außen bedurften, um ihrer frivol, wenn nicht gar sadistisch wirkenden zumindest Gedankenlosigkeit gewahr zu werden. Hatten aber seinerzeit die Nazis mit ihrer jedenfalls provokativen Verwendung von Jedem das Seine! für ihr Ausbeutungs- und Mordregime dieses Schlagwort mißbraucht oder doch bloß gebraucht? So einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist diese Frage gar nicht zu beantworten. Die Meinungen, ob im Falle des KZ Buchenwald ein Gebrauch oder ein Mißbrauch des Schlagwortes vorliegt, gehen diametral auseinander. Während der deutsche Rechtsphilosoph Arthur Kaufmann die Benutzung von Jedem das Seine! durch die Nazis als Beweis für deren Frivolität wertete, mit der sie Recht und Gerechtigkeit verhöhnten, meinte der österreichische Philosoph Ernst Topitsch, daß gegen diese Inschrift »vom rein logischen Standpunkt nichts einzuwenden« sei. In diesem Meinungskontrast widerspiegelt sich zugleich der noch fundamentalere Deutungsgegensatz über den eigentlichen Sinn des Schlagwortes selbst. Die einen würdigen nämlich Jedem das Seine! als Ausgangspunkt eines jeglichen Nachdenkens über das Wesen der Gerechtigkeit und zählen es zu deren grundlegenden Prinzipien (so Helmut Coing), während andere diese in der Gedankengeschichte der Menschheit jedenfalls am häufigsten verwendete Gerechtigkeitsformel für inhaltsleer halten: Da sie kein Kriterium dafür anbiete, was einem jeden als das Seine zusteht, sei sie tautologisch (so Hans Kelsen). Auch wenn es hier nur paradigmatisch belegt werden kann: In seiner zweieinhalbtausendjährigen Verwendungsgeschichte ist mit dem gedanklichen Inhalt von Jedem das Seine! auch Verschiedenartiges, ja Gegensätzliches gemeint und damit gerechtfertigt worden. Selbst die begnadetsten Hermeneutiker dürften außerstande sein, eine Deckungsgleichheit zwischen den Auffassungen über Jedem das Seine! zutage zu fördern, wie sie etwa (in zeitlicher Reihenfolge) von Platon, Aristoteles, Cato, Seneca, Cicero, Ulpian, Paulus (Galater VI, 5), Augustinus (De civitate dei XIX, 21), Hobbes (Leviathan I, 15), Spinoza (Tractatus politicus II, 23), Kant (Einteilung der Rechtslehre A) oder Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches I, 92) vertreten wurden. Um konkret zu werden: Als sich am 18. Januar 1701 der Kurfürst von Brandenburg eigenhändig zum Preußenkönig gekrönt hatte, stiftete anläßlich dieses Ereignisses der nunmehrige Friedrich I. als höchste preußische Dekoration den Schwarzen Adlerorden, ein achtspitziger silberner Stern mit schwarzem Adler in orangefarbenem Felde und darüber als Devise SUUM CUIQUE. Der jeweilige Preußenkönig war Großmeister, jeder seiner Söhne geborener Ritter dieses Ordens, der auch an auswärtige Fürsten, deren allervornehmste Würdenträger sowie an inländische Militärs und Beamte höchsten Ranges verliehen werden konnte. Beim Schwarzen Adlerorden handelte es sich also nicht wie bei anderen Orden um »Spielzeug für alte Knaben«, wie Kuno Fischer solcher Art von Dekor bezeichnete, den allerdings auch sein Meister Hegel ein Jahr vor seinem Tode nicht verschmähte, als man ihm in Berlin den – freilich nur – Roten Adlerorden 3. Klasse verlieh. War aber das Suum cuique auf dem Preußenorden (seit 1918 Hohenzollernorden) ein Gebrauch oder ein Mißbrauch von Ulpians Gerechtigkeitsformel? Hatte die mit dem Gesetzestext der Digesten geadelte Selbstbeweihräucherung gekrönter Adliger etwas mit zum Beispiel der Ansicht des Großdenkers Leibniz (De Jure et Justitia; Tria Praecepta) zu tun, der zwei Jahrzehnte zuvor das Suum cuique! zu den drei ewigen Gerechtigkeitsmaximen gezählt hatte, woran im September 2001 der in Berlin tagende VII. Internationale Leibniz-Kongreß aus gegebenem Anlaß in einer speziellen Resolution zu erinnern für erforderlich hielt? Oder, um einen anderen Gesichtspunkt ins Argumentationsspiel zu bringen, verbietet des Thomas von Aquino Inanspruchnahme von Suum cuique! als Begründung für die Rechtmäßigkeit von Sklaverei und Leibeigenschaft (Summa theologica II-II, 57, 4) jedem, der diese beiden Ausbeutungs- und Herrschaftsformen hinter sich gelassen haben will, sich in welchem Zusammenhang auch immer auf das Schlagwort zu berufen? Und könnte man nicht die Nazi-Verwendung von Jedem das Seine! als angemessene Fortsetzung jener Legitimation des Herr/Knecht- Verhältnisses durch den Scholastiker betrachten? Aber was hält man dann davon, daß sich die 1956 gegründete Schule für Feldjäger der bundesdeutschen Bundeswehr das Suum cuique! zum Motto erkoren hat? Ernst Bloch jedenfalls setzte dem patriarchalischen Suum cuique! als dem Maßstab einer Gerechtigkeit von Oben die Kardinaltugend einer Moral ohne Herr und Knecht, doch mit dem radikalen Anspruch: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« entgegen, womit auch Marx mit eben dieser von den Saint-Simonisten angeregten Formel zum Zuge käme, dessen Jedem das Seine! ein ganz anderes Kriterium dafür anböte, was einem jeden als das Seine zusteht. Um noch einmal auf das Skandalon in der Verwendungsgeschichte von Jedem das Seine! zurückzukommen: Der Mißbrauch eines Schlagwortes hebt dessen künftige Brauchbarkeit nicht auf; eher umgekehrt, denn eine unbrauchbare Formel kann gar nicht mißbraucht werden. Freilich setzt der weitere Gebrauch eines inzwischen mißbrauchten Schlagwortes eine Sensibilität voraus, die man zumindest von denjenigen wird erwarten dürfen, deren Beruf im Umgang mit Worten und deren Bedeutung besteht. Die Historiker Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker hatten die Idee, die Sinngeschichte von Schlagwörtern zu erforschen. Aus der Idee entstand ein zweibändiges Werk, das zur Leipziger Buchmesse vorgestellt werden wird: »Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte« (Militzke Verlag Leipzig). Der Rechtsphilosoph Hermann Klenner ging dafür dem Schlagwort Jedem das Seine! auf den Grund.
Erschienen in Ossietzky 4/2002 |
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