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Im Zentrum des Diariums steht nicht nur die Betrachtung Budapests und der Magyaren, sondern er nutzte die Ortsveränderung, um vom Rand her auf sein zuletzt haßgeliebtes Land, die DDR, und unter dem vielfach hin und her gewendeten Begriff der "Wandlung" auf sein eigenes, bis dato fünfzigjähriges Leben zu blicken. Ein Kompositionsprinzip, das Fühmann auch Jahre später in seinem Essay "Vor Feuerschlünden" wählte: In dem 1982 erschienenen Buch verbindet er die Dichtung Georg Trakls mit der eigenen Biographie (Fühmanns Vater hatte den Expressionisten und Morphinisten gekannt). Den Prozeß der Wandlung machte Fühmann gleich zweifach durch: Zunächst ein begeisterter Anhänger des Nazismus, wurde er nach Krieg, Gefangenschaft und Antifa-Schule ein eiserner Verfechter des Stalinismus und, in den Reihen der Blockpartei NDPD, ein braver, mithin betonköpfiger Parteisoldat. Spätestens 1968, nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" und einer Alkohol-Entziehung, entsagte Fühmann allen Ideologemen. Die Verwerfungen, die das "Jahrhundert der Extreme" in seinem Lebenslauf hinterließ, führten dazu, daß er in späten Texten den Leser Anteil an seiner fast masochistisch wirkenden Grübelei über die (Un-)Möglichkeit zur Wandlung nehmen läßt. Das war auch das Thema des ersten von vier Referaten auf einem Fühmann-Symposium, das am 19. Januar anläßlich des 80. Geburtstages des Dichters in Potsdam stattfand. Ursula Heukenkamp (Berlin) wies in ihrem Beitrag "Der Status der Hoffnungslosigkeit" nach, daß Fühmann in den Kriegserzählungen, die den Autor in den fünfziger Jahren bekannt machten, das "Phänomen des Unwandelbaren" variiert. Seine Figuren, allesamt verblendete Wehrmachtssoldaten, die sich schwerer Verbrechen schuldig machen (so in der Novelle "Kameraden"), sind unfähig zur Erkenntnis und damit zur ethischen Wandlung. Von einer "kathartischen Wirkung", so Heukenkamp, wollte Fühmann nichts wissen. Damit stand er in der Antikriegsliteratur der DDR auf einem einsamen Posten, da es zu deren ungeschriebenen Gesetzen gehörte, die Protagonisten einen Läuterungsprozeß vollziehen zu lassen, aus dem sie, wie von der Kulturpolitik gewünscht, als neue Menschen hervorgingen (vgl. Dieter Nolls "Die Abenteuer des Werner Holt"). Doch war Fühmann zu wenig; die Absolution, die die DDR-Literatur den Mitläufern im Falle der Umkehr "heim ins Menschliche" (Heukenkamp) bot, wollte er, der sich selbst dazu zählte, nicht erteilen. Das zeigt sich in den frühen Erzählungen durch typisierte und uneinsichtige Figuren, die zur Identifizierung nicht taugen und in einem eng begrenzten Radius interagieren. Dazu paßt eine von der Referentin "kalt und akribisch" genannte Erzählhaltung. Und eine alttestamentarische Auffassung von Schuld und Sühne. "Wie Fühmann die Bibel zu lesen lehrt" war das naheliegende Thema von Friedrich Schorlemmer. So spannend die Frage auch ist, unter welcher Perspektive sich der katholisch sozialisierte und später atheistische, aber als Schriftsteller von mythischen Problemen magisch angezogene Fühmann - beginnend 1968 - der Heiligen Schrift zugewendet hat, so enttäuschend war, was der Wittenberger Theologe und Publizist zu sagen hatte. Man wird, will man sich diesbezüglich informieren, zu Fühmann selbst greifen müssen; etwa zu der von Schorlemmer grob umrissenen Erzählung "Erzvater und Satan" oder zu dem Essay "Meine Bibel; Erfahrungen". Das Nacherzählen biblischer Geschichten für Kinder, ein Projekt, das Fühmann 1974 verfolgte, blieb leider unausgeführt. Was dem Leser dadurch entgangen ist, zeigen Fühmanns Bearbeitungen des "Prometheus"-Stoffes und des "Sommernachtstraum". Aufschlußreich und feurig in der Präsentation war der Vortrag des ehemaligen Defa-Dramaturgen Rudolf Jürschik (Berlin) über Fühmanns Arbeiten für den Film, die als Band 8 der Werkausgabe im Rostocker Hinstorff-Verlag erschienen sind. Fühmann adaptierte mit Vorliebe fremde Stoffe für den Film: das Nibelungenlied, den ersten großen Roman der deutschen Literatur, Grimmelhausens "Simplicius Simplicissimus", Goethes "Wilhelm Meister" und E.T.A. Hoffmanns "Das öde Haus". Jürschik, der nach eigenem Bekunden nicht zum Überschwang neigt, bekannte, daß er in der Filmgeschichte kein Szenario kenne, das solch ein "großer Wurf" sei wie Fühmanns Gestaltung des "Simplicius". Alle genannten Arbeiten verbindet freilich, daß sie filmisch nie umgesetzt werden konnten. Das hatte oft praktische, nicht selten auch politische Gründe. Vorsichtige Schätzungen ergaben, dass etwa für die Produktion des "Simplex"-Films mindestens 16 Millionen DDR-Mark hätten aufgewendet werden müssen, was damals dem halben Jahresetat der Defa entsprach. Christel Berger (Berlin) betrachtete Fühmanns Wirken als Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Bereits 1961 im ungewöhnlich jungen Alter von 39 Jahren aufgenommen, steuerte der seit 1957 als freier Schriftsteller tätige Fühmann zunächst einen kompromißlosen Kurs und votierte 1961 mit dafür, daß Heiner Müllers Produktionsstück "Die Umsiedlerin" nicht aufgeführt werden dürfe. Nach dem für Fühmann "schlimmen Jahr" 1968 in vielfacher Hinsicht eines Besseren belehrt, nutzte er seine Akademie-Zugehörigkeit vor allem, um den Schriftstellernachwuchs zu fördern. Er setzte sich für Talente wie Uwe Kolbe und Wolfgang Hilbig ein. Aber sein Versuch, mit Hilfe der Akademie eine Anthologie junger Dichtung (die Kolbe und Sascha Anderson herausgeben sollten) zu verwirklichen, verhungerte auf den langen Fluren der Kulturbürokratie. Wie Christel Berger aus eigenen Erfahrungen zu berichten wußte, konnte der sonst so milde Franz Fühmann bisweilen "rechthaberisch und arrogant", "verbohrt, radikal und stur" sein. Trotz seiner Resignation, die vor allem aus den kulturpolitischen Verhärtungen der siebziger Jahre resultierte, blieb er ein bis zu seinem Tode kämpferisch-engagiertes Akademiemitglied. Noch aus seiner "Matratzengruft" in der Charité erhob er sich, um auf einer Akademie-Veranstaltung zum 100. Geburtstag Franz Kafkas 1983 dessen Erzählung "Schakale und Araber" zu lesen.
Erschienen in Ossietzky 3/2002 |
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