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Aber ein Gerichtsverfahren ist kein Journalistenstammtisch und das Haager Tribunal (noch) kein Militärtribunal à la Ashcroft, selbst wenn die US-Administration es lieber so sähe und selbst wenn, wie beabsichtigt, maskierte Zeugen präsentiert werden sollten. Der Ablauf des Verfahrens wird entscheidende Bedeutung für die weitere Zukunft der internationalen Gerichtsbarkeit haben, die noch mit etlichen Geburtsfehlern beschwert ist. Milosevic hält seinen Vorwurf der Illegalität des Tribunals aufrecht. Die drei vom Gericht bestellten, aber vom Beschuldigten abgelehnten Prozeßvertreter, die sogenannten "amici curiae" (Freunde des Gerichts), haben diesen Vorwurf inzwischen übernommen. Der Einwand zielt auf das rechtliche Fundament, auf dem das Tribunal errichtet worden ist. Der Sicherheitsrat hatte als Grundlage das VII. Kapitel der UNO-Charta herangezogen. Dieses ermächtigt ihn nur zum Erlaß von Sanktionen und Zwangsmaßnahmen zur Sicherung des Friedens, nicht aber zur Errichtung eines Strafgerichts. Ein Gericht als Sanktionsinstrument wirkt parteilich; in den Geruch eines NATO-Organs haben es schon der zeitweilige NATO-Chefpropagandist Jamie Shea und andere gebracht. Es wird weitgehend von den NATO-Staaten finanziert, da die UNO nur 8,6 Prozent des Budgets aufbringen. Welcher Bürger aber würde sich schon gern vor einem Gericht verantworten, welches vom Gegner ausgehalten wird! Der korrekte Weg, wie er zur Gründung des (von den USA bekämpften) Weltstrafgerichtshofs und der beiden Tribunale für Kambodscha und Sierra Leone beschritten worden ist, geht über eine vertragliche Übereinkunft der Staaten mit einer neutralen Finanzierung. Die "amici curiae" haben deshalb vorgeschlagen, die Legitimität des Gerichts durch ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) klären zu lassen. Eine vernünftige Lösung, die allerdings die delikate Frage aufwirft, ob der IGH in der Hierarchie der UNO über dem Sicherheitsrat steht und dessen Entscheidungen überprüfen kann. Die drei Prozeßvertreter haben einen weiteren Einwand von Milosevic übernommen: Sie rügen seine Überstellung durch die serbischen Behörden entgegen der Entscheidung des jugoslawischen Verfassungsgerichts und unter Bruch der jugoslawischen Verfassung und sehen darin ein Verfahrenshindernis. Dieser Einwand gewinnt dadurch an Gewicht, daß die USA für sich selber kategorisch ausschließen, was sie seinerzeit von Jugoslawien verlangt haben: eben die Überstellung eines ihrer Bürger an ein internationales Gericht. Daß die Auslieferung durch politische Erpressung mittels Scheckbuchs erzwungen wurde, mag heute eine allgemein üblich gewordene Methode geworden sein. Vergessen wir allerdings nicht den allgemeinen Beifall, mit dem ein blanker Verfassungsbruch, die kaltschnäuzige Beseitigung einer Verfassungsinstitution durch Djindjic, den Zögling der Friedrich-Ebert-Stiftung, gerade von denen begrüßt wurde, die ihrem Protektorat Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beibringen wollen. Ein absolutes Verfahrenshindernis ähnlich wie im Fall der Entführung Öcalans aus Kenia in die Türkei läßt sich aber hieraus nicht überzeugend konstruieren. Es sind eher die Begleitumstände der Prozeßvorbereitung, die dem Verfahren sein "Geschmäckle" geben. Während die forsche Anklägerin Carla Del Ponte keine Zurückhaltung in der Bedienung der Medien kennt, ist es dem Beschuldigten verwehrt, Kontakt zu Medien aufzunehmen und Interviews zu geben. Die Fairness eines Prozesses bemißt sich auch nach der "Waffengleichheit" der Kontrahenten. Die Inhaftierung und Isolation des Beschuldigten ist angesichts seiner Zusicherung, nicht zu fliehen, und der Möglichkeit einer Kaution kaum mehr begründbar. Sie dient weniger der Tataufklärung denn der Stigmatisierung des Beschuldigten. Daß es auch anders geht, beweist die Errichtung eines Tribunals in Kambodscha zur Sühne des Völkermords unter Pol Pot. Dort hat sich die UNO nicht nur bereit erklärt, das Tribunal in Kambodscha selbst tagen zu lassen, mit einer Mehrheit von kambodschanischen Richtern, sie hat auch die Amnestierung der vermutlich Hauptverantwortlichen der Verbrechen, Kieu Samphan und Ieng Sary, durch die kambodschanische Regierung akzeptiert. Die Nagelprobe für das Gericht wird sich bei der Beweiskette zwischen Anklage und direkter strafrechtlicher Verantwortlichkeit des ehemaligen Staatsoberhauptes ergeben. Unmittelbare Täter versuchen sich gewöhnlich dadurch zu entlasten, daß sie die Verantwortung nach oben verschieben. Hier aber muß nunmehr die Anklage lückenlos beweisen, daß die Tat von oben, von Milosevic, angeordnet bzw. bewußt gebilligt wurde. Die Anklage umfaßt jetzt den Vorwurf der Kriegsverbrechen unter Verstoß gegen die Genfer Konventionen von 1994 wie Mord, Folter, Deportation und Zerstörung oder Entleerung von Dörfern - ohne auf Milosevics Argument einzugehen, in legitimer Selbstverteidigung gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gehandelt zu haben. Hinzu kommt der Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschheit wie Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen; hierzu gehören u.a. auch Liquidierungen. Jüngst wurde die Anklage noch um die Vertreibung von Kroaten und anderer nichtserbischer Bevölkerung von kroatischem Territorium in der Zeit vom 1. August 1991 bis Juni 1992 erweitert - unverkennbar in der Absicht, das Argument der Selbstverteidigung zu umgehen. Die 62 Seiten der Anklage stellen zwei große Herausforderungen an das Gericht, denen sich Frau Del Ponte selbst nicht gewachsen zeigte: Zum einen müßte manches zweifelhafte "Verbrechen" wie beispielsweise das von Racak, welches sie umstandslos als serbischen Massenmord darstellt, nachgewiesen, also aufgeklärt werden. Zum anderen müßten nachgewiesene Verbrechen zweifelsfrei als eigene Taten des damaligen Staatspräsidenten Milosevic zugerechnet werden. Zu diesem Punkt fehlen bisher jegliche Beweisangaben, die Verantwortlichkeit wird in der Anklage schlicht unterstellt. Der Londoner Independent sprach deshalb kürzlich davon, daß der "Milosevic-Prozeß vor dem Zusammenbruch" stehe. Für das Gericht geht es in den folgenden Monaten darum, sich aus dem ihm übergestülpten Netz von Parteilichkeit, Vorverurteilung und politischem Druck zu befreien, um den seit Nürnberg entwickelten Prinzipien einer juristisch einwandfreien Rechtsfindung gerecht zu werden. Sollte ihm das gelingen, bleibt eine letzte Hürde auf dem Weg zu einer fairen internationalen Strafgerichtsbarkeit zu nehmen, die diesen Namen verdient: die Ermittlung und gerichtliche Untersuchung der Kriegführung der NATO in Jugoslawien. Doch dafür müßte es sich neu konstituieren, ohne die alten Geburtsfehler.
Erschienen in Ossietzky 3/2002 |
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